Schmeißt sie aus „Die Mannschaft“!?

Ein Land wie Deutschland muss erfolgsorientiert sein. Bei uns kommt nicht zufällig Gas und Öl aus der Erde, sondern wir müssen entwickeln, arbeiten, erfinden, produzieren und verkaufen. Wir müssen unsere Wirtschaft und die Infrastruktur so aufbauen, dass sie maximalen Erfolg und damit Wohlstand bringt.

Dieses Denken liegt – darf man das sagen? – wohl in unseren Genen. Leistung und Erfolg! Das sind auch die Schlüsselworte beim Profifußball. Gestern erfuhren wir von dem unappetitlichen Propagandaauftritt der ….ja, welcher eigentlich? Nationalspieler Mesut Özil (29) und Ilkay Gündogan (27) mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die beiden Sportler mit türkischen Wurzeln und deutscher Staatsbürgerschaft überreichten ein Trikot, schüttelten Hände, tauschten freundliche Belanglosigkeiten aus und posierten für Fotos, die Erdogans Partei AKP fleißig im Internet verbreitete.

Und zumindest Özil war schon immer in der Kritik, weil er unsere Hymne vor dem Spiel nicht mitsingt. Mich stört beides – der Auftritt mit Erdogan ebenso wie das demonstrative Verweigern der Hymne. Und: Mein erster Impuls gestern: schmeißt diese beiden Spieler aus „Die Mannschaft“, wie das jetzt im bunten Deutschland heißt.

Nun, am Tag danach, ist die Emotion bei mir abgekühlt. Handelt es sich im Profisport insgesamt und ganz besonders in der Fußball-Bundesliga nicht sowieso um modernes Söldnertum? Wer spielt bei Schalke 04 wegen der Bergmannsromantik und der schönen Lieder von früher, als die Fans unter der Woche hauptberuflich die Kohle aus der Grube holten? Wer wechselt zum FC Bayern wegen Oktoberfest und Lederhosen bei PR-Terminen? Und marschiert nicht die Bundeskanzlerin, begleitet von einem Pulk von Fotografen, ab dem Viertelfinale ungerührt in die Mannschaftskabine mit den halbnackten Helden?

Machen wir uns doch nichts vor: Es geht den Spielern um Geld und persönlichen Erfolg – um nichts anderes. Ehre? Stolz? Vaterland? Mit solchen Begriffen beschäftigen sich Leute wie wir hier, aber doch nicht die Multimillionäre im Trikot von wem auch immer. Und insofern gefällt es mir nicht, wenn Özil und Gündogan im deutschen Trikot nicht singen und mit Erdogan schäkern. Aber es liegt in der Natur dieser Sache, unserer Sache. „Deutschland ist Weltmeister“ werden uns die Titelseiten am Tag danach anschreien. Und niemand wird mehr über das Treffen mit Erdogan sprechen…




Der Verzicht auf Wettbewerb ist schlecht für eine Gesellschaft

Der Bayerische Lehrerverband hat eine Idee. Schulnoten, so die Präsidentin Simone Fleischmann, seien nicht hilfreich. Und deshalb solle man „überdenken“, ob es überhaupt noch Noten oder lieber eine „differenziertere und individuellere Leistungsbewertung“ geben solle. Und Fleischmann wird konkret: Lernentwicklungsgespräche sollen zukünftig Schulnoten ablösen. Gespräche seien motivierend für die Kinder, und der Lehrer können dem Schüler in einem solchen Gespräch „Kritisches viel besser“ vermitteln. Und in Presseberichten lese ich, dass der Bayerische Elternverband diese Überlegungen ebenfalls begrüßt.

Nun, wenn Profis etwas überdenken und Vorschläge machen, nehme ich das grundsätzlich ernst. Wir alle wollen das Beste für unsere Kinder, und die Diskussion um Motivation und Leistung sind so alt wie die Menschheit. Es gab vor einigen Monaten in Nordrhein-Westfalen eine Diskussion darüber, ob man die alljährlichen Bundesjugendspiele an den Schulen nicht abschaffen sollen. Weil Kinder, die dabei nicht so gut abschneiden, traurig sind. Und die von der damaligen NRW-Landesregierung Rüttgers eingeführten Kopfnoten, die Benehmen und soziale Kompetenz der Kinder bewerten sollten, wurden von Rot-Grün danach gleich wieder abgeschafft, weil es ja für die Lehrkräfte unzumutbar sei, sich mit jedem einzelnen Kind individuell auseinanderzusetzen.

Nichts gegen Lernentwicklungsgespräche an sich, es ist immer gut, wenn Schüler und Lehrer im Gespräch sind. Aber ein Verzicht auf Wettbewerb ist aus meiner Sicht kontraprodaktiv. Das ganze Leben ist ein Wettbewerb. Nur wer sich im Wettbewerb mit anderen messen lässt, kann seine eigene tatsächliche Leistungsfähigkeit einschätzen. Und erlebt einen Ansporn. Und wer nicht so gut ist, kann das auch als Ansporn verstehen. Und jeder Mensch erlebt Siege und Niederlagen, das ganze Leben lang. Soll nicht die Schule in erster Linie auf das Leben vorbereiten? Man verliert doch nicht nur in der Schule? Man kann auch Misserfolg im Beruf haben oder privat beim Werben um einen möglichen Beziehungspartner. Ich habe nichts gegen Gespräche in der Schule – am liebsten unter Einbeziehung der Eltern. Aber ist halte eine Gesellschaft, die in allen Bereichen immer weicher und lascher wird, für langfristig kaum lebensfähig.

Im Münchner Merkur wird heute der bildungspolitische Sprecher der SPD, Martin Güll, zitiert. Er sagt: „Für viele Kinder und Jugendliche ist der Zeugnistag oft beschämend, wenn sie schwarz auf weiß durch wenige Noten bestätigt bekommen, den Anforderungen in der Schule nicht zu genügen.“ Ja, aber wenn der Schüler den Anforderungen nicht genügt, warum um alles in der Welt soll man es ihm nicht mitteilen, damit er sich mehr anstrengt?




Zum Leben gehört auch manchmal das Verlieren

Christine Finke, Mutter, Journalistin und Kommunalpolitikerin aus Konstanz ist im Begriff, berühmt zu werden. Das ist in Deutschland nicht so schwer. Man muss eine durchgeknallte Idee haben, eine Petition starten und dann den „Spiegel“ als Durchlauferhitzer gewinnen. Dann läuft das. Ich bin sicher, dass wir sie schon bald in Fernseh-Talkshows sehen werden, denn Frau Finke hat eine Petition mit dem Ziel gestartet, die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Initiiert vom jeweiligen Bundespräsidenten werden diese Wettkämpfe seit 1951 verpflichtend für Schüler zwischen 8 und 19 Jahren an den Schulen in Deutschland veranstaltet. Die Schüler müssen dabei in sportlichen Wettkämpfen wie Laufen, Springen und Schlagball-Weitwurf bestimmte Leistungsstandards erreichen. Dafür gibt es dann Leistungsurkunden, wer die Standards nicht erreicht, erhält Teilnehmerurkunden.
Frau Finke will das nicht mehr. Der Grund ist so deutsch, dass man fast schon lachen möchte, wenn es nicht um ein Kind ginge. Ihr Sohn nämlich, sei vergangene Woche weinend nach Haus gekommen, weil er „nur“ eine Teilnehmerurkunde bekommen hatte. Und das sei demütigend, beklagt die streitbare Frau Finke. Ihre Internetpetition hat in diesem Moment, da ich hier schreibe, 10.235 Zeichner gefunden, und dank spiegel-online und des zu erwartenden Rauschens im Blätterwald morgen früh werden es wohl noch viele mehr.
Ich war als Schüler kein sonderlich guter Sportler, muss ich an dieser Stelle einräumen. Fußball, Basketball und Tischtennis konnte ich recht gut, aber bei Laufen, Springen und Werfen fielen die Ergebnisse eher bescheiden aus. Bei Bundesjugendspielen war die Teilnehmerurkunde mein ständiger Begleiter. Und es kratzte mich nicht die Bohne, denn ich wusste schon damals, dass so ein Leben immer wieder aus Wettbewerb bestehen würde. Ich war auch nicht gut in Chemie. Einmal, es ist 40 Jahre her und ich weiß es noch genau, holte mich der Lehrer an die Tafel, malte ein paar Formeln auf, die ich weiterentwickeln sollte. Ich hatte keine Ahnung und stand vor meinen Klassenkameraden wie ein Volltrottel. Nach demütigenden Minuten mit weiteren Aufgaben, die mich überforderten, fragte er mich, ob ich die Formel für Wasser kenne. Ich sagte: H 2 O und sicherte mir damit wenigstens eine Fünf. DAS war eine Demütigung, doch ich hatte sie verdient, denn ich war faul und hatte keinen Bock, für Chemie zu lernen. Nach dieser Erfahrung, riss ich mich zusammen, fing an zu Lernen, und verbesserte mich Schritt für Schritt. Man nennt das wohl Leistungsprinzip.
Aber Leistung ist nicht mehr gefragt in unserer Republik, und ich wundere mich immer wieder, wieso dieses Land trotzdem immer noch so gut funktioniert. Starke politische Kräfte betreiben heutzutage die Abschaffung des Leistungsprinzips. Kinder sollen sich nicht mehr mit anderen Kindern messen müssen. Immer wieder wird gefordert, die Schulnoten und das Sitzenbleiben abzuschaffen. Ging es früher darum, dass alle Kinder unabhängig von sozialer Herkunft gleich gute Startvoraussetzungen bekommen, geht es heute zunehmend darum, auch dafür zu sorgen, dass alle zugleich die Ziellinie erreichen. Wer mehr arbeitet, wer mehr kann, ist der Spielverderber, der Streber, der Schleimer. Wer sich irgendwie durchmogelt, gilt als Cleverle.
Eine verhängnisvolle Entwicklung, die – davon bin ich zutiefst überzeugt – mit ursächlich für die mehr als 100.000 Auswanderer ist, die Deutschland jedes Jahr den Rücken kehren. Wir reden viel über die Zuwanderung, aber nie darüber, warum so viele gut ausgebildete Leistungsträger abhauen, und was das für unsere Zukunft bedeutet. Ja, wir müssen die Schwachen fördern, die Gemeinschaft muss sie auffangen und ihnen Perspektiven bieten. Aber wir müssen auch Freiräume für die Begabten schaffen, wir müssen Eliten fördern in Wissenschaft und Technologie, und zwar von klein auf. Und wir müssen den Kindern vermitteln, dass eigene Leistung die wesentliche Grundlage für ihren späteren Erfolg im Leben sein wird. Und sei es, die besondere Leistung bei einem Sportwettkampf. Denn es gibt nicht nur die Traurigen, die es nicht schaffen, sondern es gibt auch die Schüler, die vorn sind und Leistungsurkunden bekommen. Die gewinnen damit Selbstwertgefühl und finden einen Antrieb, noch besser werden zu wollen. Das sollte man ihnen nicht nehmen.




Warum soll man sich denn anstrengen?

Gespräch mit dem Leiter eines der nach PISA-Erfordernissen besten Gymnasien Nordrhein-Westfalens. Er erzählt mir, dass seit Bekanntwerden der hohen Leistungsstandards seiner Schule die Zahl der jährlichen Neuanmeldungen stagniert. Viele Eltern würden nämlich sagen: Da werden unsere Kinder zu sehr gefordert, auf der Schule ist es zu anstrengend – und melden ihre Kinder dann auf Schulen an, wo es vermeintlich leichter ist, einen Abschluss zu erhalten. Eine kleine Geschichte, die ich Ihnen erzähle, weil sie symptomatisch für den Zustand unseres Landes ist. Ja, es geht uns gut, besser als den allermeisten Menschen auf diesem Planeten. Deutschland brummt, die Wirtschaft schreib Rekordumsätze und Gewinne. Aber offenbar ist einem großen Teil der Bevölkerung gar nicht klar, was die Grundlagen unseres Wohlstands sind: Wissen und Fleiß. Wenn das nicht mehr gepflegt wird, ist es irgendwann vorbei mit diesem Lebensstandard. Und dann wird das Gejammer groß sein, größer noch als heutzutage im bereits jetzt schlechtgelauntesten Volk der Erde.