Frankreich hat gewählt: Sie sind schon ein lustiges Völkchen

Deutsche Radiomoderatorinnen überschlagen sich heute Morgen vor Freude. Die Rechten in Frankreich haben verloren bei der Parlamentswahl, die Machtübernahme Hit….äh, Le Pens findet nicht statt.

Ja, schlimmer noch: Den Hochrechnungen zufolge liegt das Linksbündnis überraschend vorn. Le Pens Rassemblement National (RN) ist nur auf Platz 3 gelandet, Staatspräsident Emmanuel Macron hat mit seiner gewagten Strategie vorgezogener Neuwahlen letztlich doch Erfolg gehabt.

Warum? Fragen Sie mich das bitte später!

Ich verstehe nicht, was unsere sympathischen Nachbarn in Frankreich da an den Wahlurnen veranstalten.

Am Abend kam es in Paris und anderswo natürlich auch wieder zu den traditionellen Straßenschlachten. Warum auch immer. Das gehört irgendwie zur Folklore in der Grande Nation. Gewinnen die Rechten – Straßenschlacht! Gewinnen die Linken – Straßenschlacht!

Verabschiedet die Nationalversammlung ein Gesetz – brennen Mülltonnen. Verabschiedet die Nationalmannschaft kein Gesetz – Autobahnblockade! Irgendwas ist immer.

Ich mag die Franzosen

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen stand das RN knapp vor der absoluten Mehrheit. Die Übernahme der Regierung durch die Rechten schien in greifbarer Nähe. Die linken Parteien hatten ein Verhinderungsbündnis geschmiedet, wie das in Deutschland ja auch immer wieder stattfindet, um hier die AfD außen vor zu halten. Und so wie – außer bei ganz wenigen Einzelfällen – das in Deutschland funktioniert, so klappt das eben auch in Frankreich.

Rechts ist irgendwie pfui, böse, voll Nazi

Weil das so schön einfach zu erklären ist für die, die – sagen wir – politisch nicht so wirklich belesen sind.

Denn die großen Probleme in unseren beiden Staaten – Deutschland wie Frankreich – wurden ohne jeden Zweifel von linken Politikern und Parteien verursacht.

Emmanuel Macron sitzt derweil auf der Terrasse, isst ein Croissant und lehnt sich gemütlich zurück. Oder wieder der Kölner sagen würde: Et hät mal wieder joot jejange…




AfD-Spitzenkandidat Krah verliert seinen Posten im Bundesvorstand

Der skandalverdächtige AfD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl (9. Juni), Maximilian Krah (47), hat nach einem erneuten Auftrittsverbot im Wahlkampf seinen Platz im Bundesvorstand aufgegeben.

Der hatte vorher beschlossen, Krahs dürfe bei allen Wahlkampfveranstaltungen der AfD und anderen Veranstaltungen der Bundespartei nicht mehr auftreten. Ein beispielloser Vorgang in der deutschen Parteiengeschichte.

Immerhin: Der Antrag eines West-Landesverbandes der AfD, Krah komplett die Mitgliedsrechte zu entziehen, wurde abgelehnt. So kurz vor der Europawahl wäre das ein noch größeres Desaster geworden.

Die aktuellen Vorgänge fallen zusammen mit Aussagen der französischen Rechten, die Zusammenarbeit mit der AfD einzustellen. Auch wenn das nicht unerwartet kommt, ist es ein Paukenschlag für die Rechten in Europa, die zuletzt von Wahlsieg zu Wahlsieg eilten. Die Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen bricht endgültig mit der deutschen AfD. Parteichef und Spitzenkandidat Jordan Bardella habe das entschieden, sagte Wahlkampfleiter Alexandre Loubet gestern in Interviews mit der französischen Zeitung „Libération“ und die Nachrichtenagentur AFP.

Der Zwist hatte schon vor einiger Zeit begonnen, von Europaabgeordneten aus der rechten ID-Fraktion ist schon länger zu hören, dass der Abgeordnete Maximilian Krah, der zur Europawahl als Spitzenkandidat der AfD antritt, bereits mehrfach Stein des Anstoßes war, und das nicht nur bei Le Pen, sondern auch bei Parlamentariern anderer rechter Parteien in der ID-Fraktion. Dabei ging es u. a. um Ermittlungen gegen Krah wegen ungewöhnlicher Ausschreibungen für eine Auftragsvergabe, dabei geht es um seine offensichtliche Moskau-Nähe und dass vor Wochen ein jahrelanger enger Mitarbeiter Krahs verhaftet worden ist, weil er für den chinesischen Geheimdienst spioniert haben soll, macht die Sache nicht besser.

Im Februar gab es ein Spitzengespräch, zu dem Marine Le Pen die deutsche AfD-Chefin Alice Weidel eingeladen hatte. Dabei ging es um ein angebliches „Geheimtreffen“ in Potsdam am 25. November vergangenen Jahres, bei dem sich Unternehmer und Politiker der CDU und der AfD getroffenen hatten. Mit dabei war auch Martin Sellner, Chef der rechten Identitären Bewegung (IB) aus Österreich. Angeblich sei dabei über „Remigration“ gesprochen worden, massenhafte Abschiebung auch von Menschen mit deutschem Pass. Hunderttausende zogen daraufhin empört durch die Straßen deutscher Städte und demonstrierten gegen eine vermeintlich bevorstehende Machtübernahme der Rechten. Die meisten der Vorwürfe entpuppten sich bei näherer Betrachtung jedoch als an den Haaren herbeigezogen.

Dennoch war man bei Le Pens RN beunruhigt. Seit Jahrzehnten arbeitet die Partei daran, in Frankreich politische Verantwortung übernehmen zu können. Marine Le Pen ist dabei auch als Person die überragende Figur. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 traf ich mich in Düsseldorf unweit der Kö mit einem damals hochrangigen AfD-Politiker, dessen Namen Sie alle kennen. Ich fragte ihn, wie er die führenden Köpfe der europäischen parlamentarischen Parteien persönlich einschätze, und er sagte: „Eindeutig die Klügste ist Marine…“ Sie hat Ausstrahlung, sie ist klug, sie hat eine Strategie, und sie scheute sich auch nicht, ihre Partei – vormals Front National (FN) ihres Vaters Jean-Marie Le Pen – von einer rechten Maulhelden-Truppe in die Realpolitik der Neuzeit und nahe an die Macht zu führen.

Nun kommt es zum endgültigen Bruch

In einem Interview mit der italienischen „La Repubblica“ hat Krah nun wissen lassen, er werde nicht sagen, dass „jeder, der eine SS-Uniform trägt, automatisch ein Verbrecher ist“. Jeder – das ist ein großes Wort, man müsste ja alle kennen, um das beurteilen zu können. Aber fest steht: Der Nazi-Kampfverband SS (für „Schutzstaffel“) war ein wichtiges Unterdrückungsinstrument der NSDAP, SS-Männer bewachten die Vernichtungslager der Nazis und begingen erwiesenermaßen zahlreiche schwere Kriegsverbrechen. Bei den Nürnberger Prozessen nach dem Krieg wurde die SS zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt.

Es bleibt Krahs Geheimnis, warum es ihm anscheinend schwerfüllt, sich beim Nazi-Thema mit einem eindeutigen Satz klar abzusetzen. Aber: Nicht jeder, der eine SS-Uniform trage, sei automatisch ein Verbrecher. Das ist schon speziell.

Maximilian Krah ist nicht erst jetzt eine Belastung für seine Partei. Viele Beobachter waren konsterniert, dass man ihn zum AfD-Spitzenkandidaten wählte, statt den schon bisherigen EU-Parlamentarier still und leise auf Platz 3 oder 4 der Liste zu setzen. Dann wäre er sicher wieder drin, aber er stünde nicht dermaßen im Fokus wie jetzt. Die AfD lag noch vor vier Monaten in Meinungsumfragen bei 22 Prozent, nun sind es noch 15. Diesen Einbruch hätte sich die Partei ersparen können, wenn sie einen realpolitischen Weg wie den von Marie Le Pen gehen würde.




It’s Realpolitik, Stupid!

Nur Träumer haben ernsthaft daran geglaubt, dass die Türkei und Ungarn den NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens verhindern würden. Zu verflochten ist Europa in vielerlei Hinsicht, aber auch zu sehr aufeinander angewiesen, als dass man einen starken Partner, den man gut gebrauchen könnte, schroff vor den Kopf stoßen würde.

Der türkische Präsident Erdogan und sein ungarischer Amtskollege Orban haben aus verschiedenen Motiven Anlass, eine Sonderrolle auszufüllen. Erdogan ist ein Zocker, der erst einmal nichts als die eigenen Interessen im Sinn hat. Kann man ihm nicht vorwerfen, so sollten Staatschefs im Grunde immer handeln.

Orban muss mit dem „großen Bruder“ in Moskau klarkommen, denn das Land ist zu 100 Prozent anhängig von Energielieferungen aus Russland. Wenn da Missstimmung aufkommt, wird es kalt in den Wohnungen von Budapest. Aber Ungarn ist und bleibt ein verlässlicher Partner Europas und der NATO, und natürlich werden sie auch dem NATO-Beitritt Schwedens zustimmen.

Romantische Vorstellungen wie Orban sei im Grunde ein Verbündeter Russlands, sind grotesk. Orban fährt einen eigenen Kurs, aber wenn es um Sanktionen gegen Russland oder Bündnisverpflichtungen gegenüber den NATO-Partner geht, dann ist Ungarn zu 100 Prozent verlässlich.

Das Gleiche gilt übrigens auch beim Le Pen-Thema, das gestern hochploppte. Die französische Rechte ist durch und durch Realpolitikerin. In Meinungsumfragen zur nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich liegt sie auch deshlab im Moment zehn Prozent vor Amtsinhaber Macron. Und warum? Weil sie sich in der Realität bewegt und nicht in Schwurbeleien ergeht.

Die sogenannte „Geheimkonferenz“ von Potsdam zur „Remigration“ ist für sie Grund, die gemeinsame Fraktion mit der AfD in Frage zu stellen. Franzosen mit Pass aber Migrationshintergrund nach Afrika schicken – das hält Le Pen für absurd. So wie Meloni in Italien oder die Schwedendemokraten in Stockholm einen EU-Austritt für absurd halten.

Die AfD sollte sich vielleicht mehr mit der Wirklichkeit beschäftigen und zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland Europa und der Westen ist.




Erfolge rechter Parteien in Europa: Die Zauberworte heißen überall „moderat“ und „Realpolitik“

In Frankreich wurde heute ein junger Mann namens Jordan Bardella (27) zum neuen Vorsitzenden der rechten Partei Rassemblement National, die ursprünglich unter ihrem Gründer Jen-Marie Le Pen Front National hieß, gewählt. Bardella gilt als scharfsinnig und absolut loyal zu Marine Le Pen, was eine Selbstverständlichkeit für den Job sein sollte. Wie seine Pläne sind, wissen wir heute noch nicht, aber wir werden ihn im Auge behalten.

Interessanter ist jedoch die Frage: Was plant Marine Le Pen?

Die ist erst 54 Jahre alt und Tochter des Parteigründers.  2011 übernahm sie die Führung des Front National von ihrem Vater, benannte die Partei um und trimmte sie konsequent auf  Realpolitik. Als ihr Vater die Gaskammern der Nazis als «Detail der Geschichte» bezeichnete, schmiss sie ihn raus und ebnete damit den Weg für einen rasanten Aufstieg ihrer Partei. Dreimal trat Marine Le Pen als Präsidentschaftskandidatin an, jedesmal verpasste sie letztlich den Sprung in den Élyséepalast, aber jedesmal gewann sie deutlich Stimmen hinzu. Kaum ein Franzose, der der Juristin das höchste Staatsamt heute nicht zutrauen würde.

Auch in diesem Jahr fuhr der Rassemblement National bei Regionalwahlen in Frankreich Rekordergebnisse ein, in der Nationaversammlung führt Le Pen jetzt die stärkste Oppositionsfraktion an. Wohl auch ein Grund für den Wechsel an der Parteispitze und vermutlich ein Signal, dass sie es bei der nächsten Präsidentschaftswahl nochmal wissen will. Emmanuel Macron darf dann nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten.

Moderat und Realpolitik sind die Zauberworte, wenn man an die Schalthebel der Macht will. Man muss wenigstens ein paar Regeln einhalten, sonst funktioniert das in einer Demokratie nicht. Und deshalb gewinnen die Rechten in Schweden, und sie gewinnen in Italien, nachdem sie mögliche Ausschlussgründe für politische Bündnisse aus dem Weg geräumt haben.  Wer wollte zum Beispiel bezweifeln, dass die Fratelli d’Italia und die Schwedendemokraten EU-kritische Parteien sind? Aber verändern, verbessern – das ist nur möglich, wenn man drin ist. Und das hat zum Beispiel die AfD noch nicht begriffen.

Mit Zustimmungswerten von über 15 Prozent befindet sie sich momentan auf einem Höhenflug. Vielleicht erreichen sie auch noch 17 oder gar 20 Prozent. Aber das ist immer noch weit entfernt von den 50,1%, die man braucht, wenn man die Politik grundsätzlich verändern will.

Beim Treffen der bürgerlich-konservativen Schwarmintelligenz am vergangenen Wochenende in Erlangen sprach auch der frühere BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, der heute einen konservativen Video-Kanal „Achtung Reichelt!“ höchst erfolgreich betreibt und inzwischen mehr Abonennten hat als der des Magazins Focus. Angesprochen in der Diskussion, weshalb er mit der AfD fremdelt, sagte er sinngemäß, so lange das unsägliche „Vogelschiss“-Zitat des AfD-Altvorderen Alexander Gauland nicht von der Partei offiziell abgeräumt sei, halte er die AfD für „unwählbar“ für bürgerliche Wähler. „Vogelschiss“, „Detail der Geschichte“ – merken Sie was? Damit ist das Gleiche gemeint. Nur die französischen Rechten haben daraus die richtigen Lehren gezogen, die deutschen nicht….