1

„Mach keine Welle, Alter….!“

Nach 42 Jahren habe ich gestern mal wieder an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen, ganztägig, damit es sich auch lohnt. Und es lohnte sich wirklich, denn ich erfuhr nicht nur viel Neues über Krankheiten und Unfälle im Haushalt, bei der Freizeit oder auf Arbeit. Oder wie gefährlich es bereits ist, wenn man nur bis an zu den Knöcheln im Wasser des Rheins steht. Ich erfuhr auch etwas über die abnehmende Bereitschaft von Teilen unserer Gesellschaft, anderen Menschen in einer Notlage zu helfen. Familienmitglieder wie den eigenen Kindern oder guten Freunden schon noch überwiegend. Aber Fremden? Oder gar ekligen Typen? Da gehen alle vorbei und schauen angestrengt in die andere Richtung. Nächstenliebe? Das steht im christlichen Abendland unserer Zeit nicht mehr hoch im Kurs.

Der Referent gestern, selbst erfahrener Rettungssanitäter, erzählte von einem Vorfall an einem Badesee hier am Niederrhein, wo ein kleines Kind unbeaufsichtigt ins Wasser lief und unterging. Der Kleine war minutenlang ohne Sauerstoff und unter Wasser, bis sie ihn herausholen konnten, Brustmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung und Gott sei Dank, ja, das Kind hat es überlebt. Unser Rettungssanitäter machte daraufhin gegenüber den etwa 60 Badegästen, von denen ganze drei Hilfe angeboten hatten, seinen Unmut über die völlige Interessenlosigkeit der anderen Luft. Da stand einer von seinem Liegetuch auf, ging aus den Retter zu und sagte: „Alter, mach mal nicht so eine Welle hier. Der Kleine hat doch überlebt….“

Was für ekelhafte Mitbürger gibt es.




Will Gott, dass wir wirklich Jeden lieben, egal, was der tut?

Wie Sie in meiner Hauptkolumne heute schon erfahren haben, hat mich die Messe am Morgen und die Predigt des Priesters sehr bewegt. Auch der politische Teil, der nur drei, vier Sätze lang war. Wir Christen haben die Pflicht, alle Menschen zu lieben, die zu uns kommen, die in Not sind und Hilfe suchen. Und wer die nicht alle liebt ist ein Extremist, ein Fanatiker, oftmals würden diese Fanatiker demonstrativ den Rosenkranz beten. Das war die Kausalität, kurz zusammengefasst.

Ich kann mich noch gut an den Herbst 2015 erinnern, an eine Messe damals in der gleichen Gemeinde. Nach dem Schlusssegen wurde die Gemeinde aufgerufen, gebrauchte Fahrräder für die 200 Flüchtlinge zu spenden, die hier aufgenommen würden.

Fahrräder hatten wir damals nicht übrig, aber eine voll funktionsfähige Küche mit allen notwenigen Elektrogeräten. Wir riefen im Pfarrbüro an und kurz darauf meldete sich ein Mann von der Stadtverwaltung um mitzuteilen, dass diese Spende sehr willkommen sei. Ein paar Tage später kam der städtische Bedienstete mit sieben jungen Syrern und einem jungen Mann aus Nigeria. Zusammen bauten wir alles ab und verstauten es im mitgebrachten Fahrzeug. Meine Frau hatte morgens schnell noch acht Umzugskisten gepackt mit Bettwäsche, Geschirr, Kaffeemaschine. Na klar helfen Christen anderen Menschen in Not. Und dabei ist absolut egal, woher sie stammen. Menschen helfen anderen Menschen. Und Christen besonders.

Und so sagte heute morgen mein Priester – übrigens ein wirklich guter Mann – wir sollen alle lieben, sonst seien wir Extremisten. Rechte meinte er sicher. Was sonst?

Und spontan schoß mir durch den Kopf: Will Gott wirklich, das wir Menschen lieben, die andere Menschen vor den Zug stoßen, die zu elft eine junge Frau vergewaltigen,und die mit einem Samurai-Schwert einen anderen Menschen am hellichten Tag auf offener Straße zu Tode metzeln wie jüngst in Stuttgart? Ich denke nicht…




Kirche? Nur dann, wenn wir sie plötzlich brauchen

In der Stadt Meppen im schönen Emsland sind 30.000 Bürger aufgerufen, unsere Demokratie mit Leben zu füllen. Der Stadtrat beschloß am vergangenen Donnerstag mit 18 zu 17 Stimmen, eine Bürgerabstimmung über die Frage zu veranstalten, ob eine geplante Kindertagesstätte in städtischer oder katholischer Trägerschaft geführt werden soll. Nun macht mich erst einmal das knappe Ergebnis von 18:17 stutzig, denn wer kann etwas dagegen haben, wenn mal die Bürger, um die es ja irgendwie geht, direkt befragt werden? Ich habe die Diskussion der Ratsherren und -frauen nicht verfolgt, nehme aber an, die Grund für die Nein-Stimmen sind in den Kosten von 50.000 Euro für Einwohnerbefragung zu finden. Demokratie kann teuer sein.

Im Internet können die Meppener übrigens jetzt schon abstimmen, und der Stand ist, dass die Befürworter der katholischen Trägerschaft der Kita mit über 50 Prozent klar vorn liegen. Katholisch…. da war doch was… Ist das nicht diese Kirche alter Männer mit völlig überholten Ansichten? Ist das nicht dieser Prunk-Laden, wo die Zentrale in Rom Goldschätze hortet und Dan Brown den verschollenen Schatz der Templer vermutet? Werden da nicht Frauen ständig unterdrückt und Messdienser missbraucht? Zwingt man da nicht die armen Priester zur Ehelosigkeit und einem freudlosen Dasein? „Niemand will heute mehr heiraten“, sagte mir mal ein Geistlicher in Köln, „aber die Priester, die sollen jetzt müssen…“ Gefällt mir der Satz, der geistreich aufspießt, dass man in diesem Land gegenüber jeder Form von Lebensgestaltung tolerant sein muss. Swinger-Club und SM-Studio, schwarze Messen auf dem Friedhof, Metallringe durch Nase und sonstwo – alles ganz prima im modernen bunt-grünen Deutschland. Aber wenn sich ein junger Mann, der an Gott glaubt, freiwillig dafür entscheidet, Priester oder Ordensmann zu werden, 24 Stunden am Tag für seine Gemeinde und seinen Glauben zu leben und dafür auf Familie, Sex und Malle-Urlaube zu verzichten – dann wollen ihn alle erretten. Schon irre, oder?

Was will ich aber sagen? Viele katholische Kindergärten in Deutschland haben lange Wartelisten. Katholische Krankenhäuser erfreuen sich auch großer Beliebtheit bei evangelischen und sogar muslimischen und zweifellos auch atheistischen Patienten. Ist schon schön, wenn man da so im Krankenbett liegt und nicht nur die Schwester mit der Pillenschachtel kommt vorbei, sondern auch die alte Schwester in der Ordenstracht. Die, die sich Zeit nimmt für den oder die Kranke, die zuhört, die Händchen hält, wenn die Angehörigen keine Zeit dafür haben. Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind der größte Trumpf der Christenheit. Wussten Sie, dass die Caritas, also der Sozialverband der katholischen Kirche mit rund 600.000 Arbeitnehmern der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland nach dem Staat ist? Ist auch ein großes Geschäft, keine Frage, ein Konzern. Aber auf was und wen baut das alles auf? Nicht auf das Bodenpersonal von ZdK und Bischofskonferenz, das mir in Deutschland zunehmend Missvergnügen bereitet. Sondern auf diesen Mann, der vor rund 2000 Jahren mit einer Handvoll Männer im Nahen Osten unterwegs war und von Liebe und Barhmherzigkeit gepredigt hat.

Immer weniger Menschen gehen in unserem Land – anders als rund um den Erdball – regelmäßig zum Gottesdienst. Beten? Nur kurz vor der Abi-Prüfung oder wenn Oma krank ist. Mal etwas in der Bibel lesen? Geht nicht, „Wer wird Millionär“ fängt gleich an. Wir nutzen, die großartigen sozialen Einrichtungen der christlichen Kirchen, die nicht nur Kirchen, sondern Essenausgabe, Hospize, Kindergärten, Altenheime, Drogenberatungsstellen und vieles mehr betreiben. Und wir schimpfen auf ihre Priester, wenn sie zu Demut, Gebet oder – ganz furchtbar – Enthaltsamkeit mahnen. Und wir wollen von ihrer Lehre nichts wissen, die manchmal mühsam ist und uns immer auch mal den Spiegel vorhält. Das ist es, was mir heute morgen zu Meppen einfällt…