„Mach keine Welle, Alter….!“

Nach 42 Jahren habe ich gestern mal wieder an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen, ganztägig, damit es sich auch lohnt. Und es lohnte sich wirklich, denn ich erfuhr nicht nur viel Neues über Krankheiten und Unfälle im Haushalt, bei der Freizeit oder auf Arbeit. Oder wie gefährlich es bereits ist, wenn man nur bis an zu den Knöcheln im Wasser des Rheins steht. Ich erfuhr auch etwas über die abnehmende Bereitschaft von Teilen unserer Gesellschaft, anderen Menschen in einer Notlage zu helfen. Familienmitglieder wie den eigenen Kindern oder guten Freunden schon noch überwiegend. Aber Fremden? Oder gar ekligen Typen? Da gehen alle vorbei und schauen angestrengt in die andere Richtung. Nächstenliebe? Das steht im christlichen Abendland unserer Zeit nicht mehr hoch im Kurs.

Der Referent gestern, selbst erfahrener Rettungssanitäter, erzählte von einem Vorfall an einem Badesee hier am Niederrhein, wo ein kleines Kind unbeaufsichtigt ins Wasser lief und unterging. Der Kleine war minutenlang ohne Sauerstoff und unter Wasser, bis sie ihn herausholen konnten, Brustmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung und Gott sei Dank, ja, das Kind hat es überlebt. Unser Rettungssanitäter machte daraufhin gegenüber den etwa 60 Badegästen, von denen ganze drei Hilfe angeboten hatten, seinen Unmut über die völlige Interessenlosigkeit der anderen Luft. Da stand einer von seinem Liegetuch auf, ging aus den Retter zu und sagte: „Alter, mach mal nicht so eine Welle hier. Der Kleine hat doch überlebt….“

Was für ekelhafte Mitbürger gibt es.




Wenn wir Deutschland erhalten wollen, müssen wir auch seine Traditionen pflegen

Die real existierenden St. Martin-Umzüge am Niederrhein waren wieder farbenfroh, überschwänglich und lehrreich. Tagelang hatten die Kinder auf das Ereignis hingefiebert und in mühevoller Kleinarbeit phantasievolle Laternen entworfen. Dann ging es, begleitet von Feuerwehrkapellen durch die Innenstadt, wo praktisch die komplette Einwohnerschaft versammelt war. Das Fest des Heiligen Martin von Tours, der in einer eisigen Winternacht einen armen und unbekleideten Mann traf, dem er die Hälfte seines Mantels gab, hat in dieser Region eindeutig Volksfestcharakter. Auch wenn in der Metropole Düsseldorf einige Kitas und Grundschulen hip sein möchten, und die wunderbaren Martins-Umzüge zu schnöden „Lichterfesten“ umbenannt haben, zeigte sich auch in diesem Jahr, dass die große Mehrheit in der Bevölkerung die Tradition bewahren will. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass es die gern zitierten Menschen aus anderen Kulturkreisen überhaupt nicht zu stören scheint, ja, dass es ihnen sogar sehr gefällt. Auch beim heutigen Umzug, an dem unsere Jüngste als Schülerin einer katholischen Grundschule teilnahm, waren selbstverständlich auch die muslimischen Schüler mit ihren Laternen dabei – so wie ihre Mütter, einige mit Kopftuch. Sie leben in diesem Land, und sie nehmen am Leben und am Feiern der Traditionen teil. Ein reicher und mächtiger Mann teilt seine Kleidung mit einem Armen – was für eine schöne Geschichte, nicht nur für Kinder.

Ich habe heute, am Straßenrand in der Menge auf die Kinder wartend, viel darüber nachgedacht, warum es in diesem Land Menschen gibt, die bereit sind, alle Traditionen bedenkenlos über Bord zu werfen. Integration kann man von Zuwanderern doch nur erwarten, wenn es irgend etwas gibt, in das die sich integrieren können. Genau das ist doch der Grund, warum Integration anderswo gut funktioniert und in Deutschland eher schleppend, wenngleich es auch hier nüchtern betrachtet bisher besser funktioniert hat, als wir oft annehmen. Noch mal zur Erinnerung: In Deutschland lebten nach vorsichtigen Schätzungen bis zum Beginn der Flüchtlingswelle mindestens vier, wahrscheinlich eher sechs bis sieben Millionen Muslime, größtenteils aus der Türkei. Die überwältigende Mehrheit friedlich im Mit- und Nebeneinander zur Mehrheit der Gesellschaft.

Aber dieses Brauchtum, das ist doch etwas, das uns Deutsche ganz besonders ausmacht, neben dem Hang zur Pünktlichkeit, zur Ordnung und zum Fleiß, die man uns bisweilen nachsagt. Warum unsere Traditionen opfern, obwohl es niemand von uns verlangt? Es ist erbärmlich, was einige Kitas und Grundschulen da tun. Klar, dies ist ein freies Land, und sie dürfen das so entscheiden. Aber es muss uns nicht gefallen. Mir gefällt es so, wie es ist, mit einem Martin hoch zu Ross, mit fröhlichen Kindern, mit Weckmännern und Spielmannszügen. Eigentlich müsste man sich noch viel mehr dafür engagieren, dass dieses Land bleibt, wie es ist. Und dass unsere Traditionen und Sitten nicht unter die Räder kommen in modernen Zeiten wie diesen. Viele Vereine, besonders die, die vom Aussterben bedroht sind, brauchen Unterstützung. Wer geht heute noch und singt in einem Chor mit? Wer engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder in einem Bürgerverein? Wie viele Menschen vertrödeln einfach ihre Zeit vor der Glotze, anstatt sich einmal in der Woche irgendwo hinzubewegen, um etwas Sinnvolles für die Allgemeinheit zu tun? Das Deutschland, das den meisten von uns so gut gefällt – das sollten wir hegen und pflegen. Weniger im politischen Alltagsstreit und mit flacher Unterhaltung als vielmehr, indem wir mitmachen.