Zwei Millionen Menschen frieren in den eigenen vier Wänden – das ist unhaltbar

Mich hat das schon früher gestört, wenn ich las, dass es Zehntausende Obdachlose gibt, die auf Parkbänken und in U-Bahnhöfen schlafen müssen. Da hieß es immer: ja, es ist kein Geld da. Kein Geld da? Für Tausende Gleichstellungsbeauftragte in öffentlichen Verwaltungen oder für aus politischen Gründen geduldete aber abgelehnte Asylbewerber ist Geld in Hülle und Fülle da. Das geht so nicht.
Wahrscheinlich beschimpfen mich einige von Ihnen jetzt als Sozialisten, aber ich finde, es kann nicht sein, dass mitten in Deutschland im Jahr 2021 Menschen, darunter viele Alleinerziehende mit Kindern, in der eigenen Wohnungen frieren müssen.

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Ohne amtliche Ausschreibung ist Menschlichkeit leider nicht möglich

Im Winter ist es kalt. Eine Binsenweisheit, nicht wahr? Für tausende Menschen in unserem Land ist das bittere Realität und eine oftmals lebensgefährdende Bedrohung, während die meisten von uns Weihnachtsgeschenke kaufen und den Gänsebraten vorbereiten. Nach Schätzungen der deutschen Wohlfahrtsverbände gibt es in unserem Land – zur Erinnerung: einem der reichsten der Welt – etwa 200.000 wohnungslose Menschen. Etwa 20.000 von ihnen leben im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Wir sehen sie, zusammengekauert an der Eingangstreppe zum U-Bahnhof, unter Eisenbahnbrücken oder irgendwo anders, wo es ein bisschen warm ist, zum Beispiel im Vorraum einer Sparkasse, wo die Geldautomaten stehen.

Vor rund 30 Jahren lebte ich in Bremen. Da gibt es eine prächtige Einkaufsstraße mit schönen Straßencafés, bunte Blumenkübel davor. Ich war eilig unterwegs zu meinem Büro und sah vor einem dieser Blumenkübel einen vollgekotzten Mann liegen, Landstreicher nennt man das wohl. Das Straßencafé war voller gut gelaunter Menschen, die Sonne schien, es gab Schwarzwäler Kirschtorte, Cappuccino, Amarena-Becher. Niemand, wirklich niemand nahm Notiz von dem Mann am alleruntersten Rand unserer Gesellschaft dieses reichen Landes. Auch ich nicht… Ich schäme mich bis heute, dass ich nichts, wirklich nichts getan habe, um dem armen Kerl zu helfen. Aber ich habe ihn, wie immer er auch hieß, was für ein Schicksal er auch gehabt haben mag, bis heute nicht vergessen.

Als ich vorhin die Rheinische Post las, blieb ich an einer Geschichte aus Grevenbroich hängen. Dort gibt es eine Bürgerinitiative „Warm durch die Nacht“, um rund 40 Obdachlosen in den Wintermonaten zu helfen. Ein Düsseldorfer Unternehmen bot Hilfe an, stellte vier Wohncontainer kostenlos zur Verfügung. Mit Heizungen, Tischen, Stühlen und Betten für jeweils zwei Personen. Strom- und Wasseranschlüsse wollten die Helfer legen und sogar ein Hausmeister stand bereit, der immer mal vorbeischauen wollte.

Doch die Stadt machte der ehrenwerten Initiative den Garaus.Es gebe – leider, leider – kein „unmittelbar verfügbares Grundstück“, sagt der Pressesprecher. Und für Sanitärcontainer, Zu- und Abwasseranschlüsse hätte man eine Ausschreibung starten müssen, die jetzt – leider, leider – zeitlich nicht mehr realisiert werden können. Tja, dann müssen die Obdachlosen halt weiter frieren. In Deutschland muss schließlich alles seine Ordnung haben.

In der Düsseldorfer Altstadt starb am 28. Dezember des vergangenen Jahres Elvira „Elli“ Nagel, eine 48-jährige Obdachlose. Nach dem Tod ihrer Mutter zwei Jahre zuvor, war sie in einen Strudel aus Alkohol und Drogen geraten, aus dem sie keinen Ausweg mehr fand. Die gebildete Frau war immer wieder in eine Kirche dort im Zentrum der glänzenden Landeshauptstadt gegangen und hatte in das Gästebuch geschrieben, Briefe an die Gottesmutter Maria. Nach Elviras Tod – sie lag lange auf der Straße zwischen all den herumeilenden Passanten, bis endlich einer mal anhielt und feststellte, dass die Frau bereits tot war – wurden einige ihrer letzten Briefe an Maria veröffentlicht. Einer der letzten Einträge im Gästebuch lautete: „Ich kann nicht mehr. Zwei Nächte habe ich draußen geschlafen. Mit Feuerzeug in der Hand (Angst!) … was soll ich denn tun? Obwohl es kälter ist als anderswo … meine innere Kälte wiegt schlimmer.“

Es gibt Tage, da möchte man an unserem Land, seinen Politikern und auch seinen Menschen verzweifeln…




Wo sind all die Hilfsbereiten eigentlich bisher gewesen?

Es ist rund 30 Jahre her, seit ich in Bremen gelebt habe. An einem Sonnentag war ich in der Sögestraße unterwegs, einer schönen, Großstadt-typischen Einkaufsstraße mit Geschäft an Geschäft. Und als ich da langflanierte, sah ich einen Mann, wohl einen Obdachlosen, vollgekotzt in einem Blumenbeet liegen. Er bewegte sich, lebte also offenbar, hatte sich aber nicht unter Kontrolle. Nur wenige Meter entfernt waren in einem Straßencafé alle Tische besetzt, es gab Eisbecher mit Sonnenschirmchen, Torte und – draußen gibt’s nur Kännchen – Kaffee. Zahlreiche Bummler und Einkaufswillige gingen vorbei – so wie ich auch. Niemand kümmerte sich, eine tragische Existenz vom Bodensatz unserer wohlhabenden Gesellschaft, lag hilflos in seinem Erbrochenen. Ich habe dieses kurze Erlebnis bis heute nicht vergessen, und im Grunde schäme ich mich noch immer dafür, dass ich damals nichts unternommen habe.

Vielleicht hat der ein oder andere beim Vorbeigehen gedacht „Schrecklich, da müsste der Staat doch etwas tun.“ Gar nicht so einfach. Klar, einer hilflosen Person muss man helfen, aber was wenn er morgen wieder da liegt, aus eigener Entscheidung besoffen bis zum Abwinken. Und Obdachlose oder Drogensüchtige einfach einsammeln, gar kasernieren, gegen ihren Willen wieder zurück in die bürgerliche Gesellschaft führen – das darf der Staat in einer freien Gesellschaft gar nicht. Und dann noch das Geld-Argument: Wer sollte denn so ein rabiates Hilfsprogramm finanzieren bei den klammen Kassen unserer Öffentlichen Haushalte?

Und sehen Sie, DAS ist der Grund, warum ich heute überhaupt mit dieser alten Geschichte zu Ihnen, meinen Lesern, komme. Hunderttausende Flüchtlinge strömen derzeit in dieses Land. Und es funktioniert auf einmal alles. Es gibt Unterkünfte, es werden Milliarden Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, Kirchengemeinden und ganz normale Bürger nehmen wildfemde Leute in einer Notlage bei sich auf. Und unwillkürlich stellt sich mir die Frage: Warum hat diese Gesellschaft, warum haben Staat und Kirche früher nicht mit gleicher Hilfsbereitschaft auf unsere Landsleute in Not reagiert? Warum hat man Menschen, denen vielleicht nach einer Scheidung oder Pleite das Leben völlig entglitten ist, nicht ebenso geholfen? Wenn ich jetzt die Bilder von jubelnden Menschen mit „refugeeswelcome“-Schildern sehe, frage ich mich unwillkürlich: Wo wart ihr eigentlich bisher?