Altersarmut und Pflegenotstand: Millionen Menschen fallen in Deutschland durchs Raster

Im Autoradio hörte ich gestern auf irgendeinem Infokanal einen Beitrag über eine alte Dame, die in Berlin unterhalb der „Armutsgrenze“ lebt.
Nun können Sie sagen, Armutsgrenze ist ein weiter Begriff. Als Armutsgrenze definiert der Gesetzgeber ein monatliches Einkommen von 1.314 Euro in einem Ein-Personen-Haushalt inklusive staatlicher Transferleistungen. Wenn Sie sich die Entwicklung der Mieten in Deutschland anschauen, besonders in den Ballungszentren, weiß ich nicht, wie manche Menschen das damit überhaupt schaffen können.

Aber zurück zu der Frau im Radio

Sie hat selber nichts zum Leben, oder sagen wir: sie lebt im wahrsten Sinne des Wortes von der Hand in den Mund. Mit lebhaften Worten schildert sie, dass sie zum Einkaufen noch 5 Euro hat. „Im Edeka“ gebe es gerade Bananen im Angebot, die würde sie gern kaufen, weil da Vitamine drin sind. Und sie brauche auch wieder einen Sack Kartoffeln. Andererseits habe sie übermorgen Geburtstag und möchte ihren wenigen Freunden Kaffee und Kuchen spendieren. Und damit sie sich das leisten könne, verzichtet sie eben auf die Bananen und die Kartoffeln.

Mit schnürt es die Kehle zu, wenn ich sowas höre.

Ich weiß nichts über diese Frau, habe auch ihren Namen wieder vergessen. Was hat sie für ein Leben gehabt? Hat sie hart gearbeitet? Hat sie Kinder großgezogen? Hat sie Enkel? Es wurde erwähnt in dem Beitrag, dass sie sich in einer Berliner Sozialinitiative engagiert – einer von wahrscheinlich Tausenden.

Ich bin Lichtjahre davon entfernt, den Sozialismus für die Lösung von Armutsproblemen zu halten.

Sozialismus führt immer in Armut, weil es die Leistungsbereitschaft der Menschen vermindert, und weil es das Verlangen vieler Menschen, gleichzeitig mehr und immer mehr zu wollen, deckelt, auch mit Zwang. Jeder nimmt sich nur das aus dem großen (gesellschaftlichen) Topf heraus, was er oder sie braucht. Und gleichzeitig leistet jeder vorbildlich alles, was er oder sie kann, für das Kollektiv. Wie absurd ist das? Niemals wird das funktionieren. Weil es der Natur des Menschen widerspricht.

Doch andererseits funktioniert es ja auch nicht (mehr)

Altersarmut ist ein großes Thema in Deutschland.

Ungefähr 3,5 Millionen Menschen ab 65 Jahren sind von Armut bedroht, sagen die Statistiker. Leben in Armut – sage ich. Das sind fast 20 Prozent der Rentner, Frauen mehr als Männer. Und wie viele ältere Menschen machen sich zurecht Sorgen, wie sie die Zielgerade ihres Lebens überstehen sollen? Klar, wenn Sie 5000 Euro oder mehr im Monat verballern können, drehen Sie die Musik lauter und singen mit Udo Jürgens „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an…“ Aber, wer kann das denn?

Der Pflegebedarf in Deutschland ist ein riesiges Thema, die Beschäftigten werden schlecht bezahlt. Letztens postete jemand auf Facebook ein Foto von der Mahlzeit, die man seinem Angehörigen im Pflegeheim vorgesetzt hatte – trockenes Toastbrot, eine Scheibe Käse, ein Gürkchen, Zellophanfolie drüber. Daneben ein Tasse mit Tee, Teebeutel hing noch drin. Ist das unsere Zukunft?

In diesen Tagen haben wir alle lernen müssen, wie einfach es im Grunde ist, mal eben ein paar Hundert MILLIARDEN Euro auf die Beine zu stellen, wenn politischer Wille da ist. Und Brücken, Straßen und Schulen sind in einem bemitleidenden Zustand in unserem Land – weil die Politik auch hier versagt hat. So wie bei der Landesverteidigung, bei unseren Streitkräften, wo jetzt in fünf Jahren das aufgeholt werden soll, was in den 25 Jahren vorher verschlampt wurde.

Es ist ein selten ausgesprochener Skandal, wie eines der wohlhabendsten Länder auf der Welt mit seinen Alten umgeht. Und ein menschenwürdiges Altwerden nach einem arbeitsreichen Leben – das ist wirklich wichtiger als Klimaschutz und Genderforschung. Geld ist reichlich verfügbar, aber wo ist der politische Wille dieses Staates, eine seiner wichtigsten Kernaufgaben zu bewältigen?




Danke den schlechtbezahlten Helden unserer Zeit!

Anfang Dezember ist meine Mutter gestürzt, anlasslos, einfach wackelig auf den Beinen, wie man in unserer lippischen Heimat sagt. Meine Mutter ist stolze 93 Jahre, wollte nie Mitglied eines Konzernvorstands werden, war nie Emma-Abonnentin. Eine einfache Frau vom Lande, immer fleißig, immer treu. Jeden Mittag stand warmes Essen auf dem Tisch, deutsche Hausmannskost, keine Fettuccine mit Gambas in Champagnersauce, sondern Rinderroulade mit Kartoffeln, Rotkohl und Soße. Waltraud war und ist bis heute eine wunderbare Mutter, auch wenn ihr Körper nicht mehr mitmacht. Ihr kleiner Klaus war immer das Wichtigste, auch als er ein großer Klaus wurde. Und egal, welchen Unfug ich anstellte, sie was immer auf der richtigen Seite – nämlich auf meiner.

Und nun lag sie da auf dem Küchenboden, Blut sickerte aus einer Platzwunde an ihrem Hinterkopf. Aufrecht setzen, Blutung stillen – tut es weh? Ist Dir schwindelig? Nach einer Viertelstunde schien alles wieder in Ordnung, Cappuccino und Kekse, dann schmökern in einigen dieser furchtbaren Billigblätter, die Frauen wie sie zu Millionen am Wochenende lesen. Über Harry und die Queen, Mette Marit, Helene und Florian…

Aber es ist nichts mehr in Ordnung. Inzwischen ist sie ein Plegefall mit Stufe 3. Sie kann nicht mehr gehen, schon lange kaum noch hören. Ohne Hilfe geht nichts mehr – Toilettengang, Haare waschen, Treppe hochgehen…sie sitzt seit zwei Wochen im Rollstuhl. Ihr größte Sorge ist, dass ich für sie rechtzeitig Weihnachtsgeschenke für ihre Enkel besorge und schön einpacke. Ich habe fast alles zusammen…

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Nichts Besonderes, werden Sie denken. Millionen Menschen werden zum Pflegefall, und die erwachsenen Kinder sind jetzt gefragt. Sie müssen das Leben für Pflegefall, Angehörige und sich selbst neu justieren, Anträge ausfüllen, Rat in einer Sozialstation einholen, Pflegedienste kennenlernen und auswählen, zwei Mal in der Woche mit irgendwelchen Ärzten telefonieren. Meine Mutter will nicht in ein Pflegeheim. Sie will die Zeit, die ihr noch bleibt, im Kreise ihrer Familie verbringen. Sie will ganz langsam in den eigenen vier Wänden von allen Abschied nehmen. Sie will hier sterben.

Ich schreibe das auf, um Ihnen zu erzählen, wie gut unser Land in diesem Bereich auch heute noch funktioniert. Ja, es gibt einen Mangel an Pflegekräften. Der verantwortliche Minister versucht, neue Wege zu gehen, um diesen Mangel zu beheben. Aber ich selbst habe in diesen Wochen nur hilfsbereite und freundliche Menschen erlebt – am Telefon, auf Station im Krankenhaus, bei der Krankenkasse. Warteschleifen, die nur 30 Sekunden dudeln, dann ist jemand dran, der unbürokratisch helfen will und kann. Der oder die jede Frage beantworten kann oder „ich stelle mal durch zum zuständigen Sachbearbeiter“ sagt und das dann tatsächlich macht.

Die Männer und Frauen, die in der Pflege arbeiten, die jeden Tag Nächstenliebe praktizieren, schlecht bezahlt werden aber Kranken und Alten ein Stück Menschenwürde bewahren, immer ein freundliches Wort parat haben und gern auch nochmal und nochmal und nochmal ins Zimmer eilen, wenn ein Pflegefall, ein Mensch, den roten Knopf drückt, sie sind die wahren Helden unserer Zeit.