Vom „Jürgen“, der wirklich weiß, was die Mächtigen hinter den Kulissen treiben

Was haben wir uns alle gefreut über den Erfolg der freien Medien in den vergangenen Jahren, die zusammen inzwischen Millionen Bürger regelmäßig mit Nachrichten und Meinungen versorgen, die beim publizistischen Mainstream nicht gewünscht sind. Vergangene Woche habe ich eine Übersicht über die Reichweiten der wichtigsten Titel gesehen. Ich kann mich nicht verbürgen für die Korrektheit der Zahlen, halte sie aber für plausibel.

Auf Platz 1 mit etwas mehr als sechs Millionen Zugriffen im Monat lag Tichy’s Einblick, was mich überrascht hat. Auf Platz 2 NIUS, für mich gerade der Trendsetter schlechthin. Dann Reitschuster und neu Apollo News. Alles wunderbare Medien, bunt, vielfältig und konservativ. So wie wir hier, die zusammen mit TheGermanZ/KELLE im Monat etwa 1,2 Mio Zugriffe verzeichnen.

Aber jede Medaille hat seine Kehrseite

Denn obgleich das Internet dafür sorgt, dass nichts mehr unter den Tisch gekehrt werden kann – außer in Nordkorea vielleicht, wo das Internet für die Masse der Bevölkerung einfach abgeschaltet bleibt – ist es inzwischen zu einem Tummelplatz für bezahlte Trolle geworden, die – manche einfach nur naiv und ahnungslos – vielfach bezahlte Agitatoren sind, die professionell Desinformation betreiben. Ausnahmsweise ist das mal ein Feld, auf dem Russland die Nase weit vorn hat und sogar Präsidentschaftswahlen in den USA erfolgreich beeinflussen kann. Ich denke da an die clevere Internetkampagne gegen Hillary Clinton und ihre geleakten Mails, genau passend in die letzten Wochen vor der Wahl im November 2016 platziert.

Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten war vorher (2009 bis 2013) US-Außenministerin und hat in dieser Zeit über ihren privaten E-Mail-Server rund 60.000 Nachrichten verschickt oder erhalten.

Darunter waren streng geheime Informationen, wie das FBI bestätigte. Und da standen Dinge drin, die gar nicht gut ankommen beim Wahlvolk. So zum Beispiel über die langjährige Verflechtung von Außenministerium und der Stiftung ihres Ehemanns Bill.

Auch die – tatsächlich wahre – Geschichte von Hunter Bidens Laptop in einem Computerladen in Washington DC ist leider wahr. Da hat ein neugieriger Ladenbesitzer mal reingeschaut und das dann an die Republikanische Partei weitergegeben. Sagenhaft, oder? Manches kann man sich gar nicht ausdenken. In diesem Fall also mal nicht die Russen, was einige Leser hier beruhigen dürfte.

Ich könnte stundenlang weiterschreiben

Über all diesen Schrott, der gelesen und – schlimmer – geglaubt wird. Von gebildeten Menschen. Dass Ukraines Präsident Selenskyj ein Casino auf Zypern gekauft hat mit 60 Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern. Als ich davon das erste Mal las, musste ich laut lachen. Das können die doch nicht glauben, dachte ich. Aber sie glauben es wirklich, weil sie es unbedingt glauben wollen.

Toll ist auch die Geschichte, wo Frau Selenskyj angeblich in London war – Urlaub vom ungemütlichen Kiew – und für 10.000 Euro in einem Dessousladen Seidenunterwäsche erworben haben soll. Seidenstrümpfe und String – bezahlt vom deutschen Steuerzahler.

Und, als sei das nicht schon lächerlich genug, zeitgleich wurde das Internet über die asozialen Netzwerke geradezu geflutet mit dem Foto der angeblichen Rechnung des Einkaufs. Ließe sich Frau Selenskyj eine Rechnung – nicht Quittung – für solche Einkäufe ausstellen, wenn diese stattgefunden hätten? Wofür? Um sie als Betriebskosten bei der Steuererklärung in Kiew abzusetzen?

Oder ist es einfach neuester Bullshit aus der Kreml-Trollfabrik in St. Petersburg, Hetze gegen den Anführer der Ukraine und seine Familie mit dem Ziel, den Unterstützungswillen der Deutschen für die Ukraine zu brechen? Natürlich ist das das Ziel.

Heute Morgen um 2.42 Uhr schreibt mir eine Frau, die ich seit vielen Jahren kenne

Sie schickt mir ein Video einer offenbar ganz neuen Internetsite namens „Augen-auf-Medien“, in der groß und bunt die alte Geschichte von den angeblichen US-Militärlaboren ausgerechnet in der Ukraine aufgewärmt wird. Wenn man ein Geheimlabor“ betreibt, dann geht man damit ja gerade dort hin, wo der Feind jeden Tag angreift und nicht in die Wüste Gobi, wo man sie nicht finden kann. Logisch, oder? Ein bisschen Nervenkitzel muss sein.

Auslöser des ganzen Hoax ist eine bulgarische Journalistin, die seit Jahren über angebliche Biolabore der USA in der Ukraine (und Georgien) schreibt. Fakten hat sie nicht, aber gruselige Geschichten über zum Beispiel angebliche amerikanische Webseiten mit Informationen dazu, die plötzlich verschwunden seien, als die Russen die Ukraine angriffen (2022). Tatsächlich wurden die Seiten bereits 2005 einfach stillgelegt. Aber die Vermischung von Tröpfelchen Wahrheit mit einer großen Verschwörungsgeschichte klappt immer – egal ob bei 9/11 oder bei Frau Selenskyjs Seidenstrümpfen.

Eigentlich wollte ich Ihnen aber von der WhatsApp-Nachricht meiner Bekannten erzählen.

Sie schickt mir also – garniert mit Beschimpfungen, dass ich ja überhaupt keine Ahnung habe, was wirklich so vorgeht – dieses Schwachsinnsvideo von einer Seite namens https://augenaufmedien.de/ . Und dort weiß man nun wirklich, was passiert auf der Welt.

Auf der Startseite schreiben die Betreiber: „Augen Auf Medien UG ist ein gerade geründetes Unternehmen, dass aus einer Privat-Initiative entstand. Motto: Anders, aber gut!“ Geschäftsführer ist ein „Jürgen“. Unter „Team“ steht …nichts. Auch unter „Geschichte“ und „Karriere“ steht nichts. Ein Impressum gibt es nicht, einen Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes auch nicht, außer „Jürgen“ wahrscheinlich.

Aber sie wissen ganz genau, wie das mit den geheimen Biolaboren der Amis in der Ukraine wirklich ist. Ich glaube, ich werde die jetzt abonnieren…

 




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Unser gern gelesener bürgerlicher Blog wird seit gut einer Woche an jedem Tag mit kyrillischen Kommentaren geradezu bombardiert. Die Filter von WP leisten bisher weitgehend gute Arbeit und wir löschen auch manuell alles Unliebsame so schnell es möglich ist. Im Übrigen hat das nichts mit nichts zu tun, und ich soll nicht immer den Kreml so gemein behandeln. Sind ja unsere neuen Freunde da…