Großbritannien beschließt den Brexit: Alle Uhren auf Null!

Ist Demokratie nicht wunderbar? Die Briten haben eine historische Entscheidung über den zukünftigen Weg ihres Landes gefällt. 51,8 Prozent wollen raus aus der europäischen Staatengemeinschaft EU. Das ist ein klares Votum für die Rückgewinnung der Souveränität Großbritanniens. Und so sei es nun! Nigel Farage, Chef der Unabhängigkeits-Partei UKIP machte am frühen Morgen auf Hollywood, als er in der Helden-Pose von Bill Pullman als amerikanischer Präsident in dem Science-Fiction-Film „Independence Day“ verkündete, dass nun auch die Briten ihren Independence Day, ihren Unabhängigkeitstag, feiern werden. Nun ja, bei allem Respekt, aber die europäischen Partnerländer mit dem Angriff von Aliens aus dem All zu vergleichen, das empfinde ich dann doch,..sagen wir… ein wenig…übertrieben.

Was sind die Lehren der gestrigen Entscheidung auf der Insel? Die Welt wird nicht untergehen, und die Europäische Union auch nicht. Großbritannien hatte immer das deutliche Unbehagen, zu viel seiner Souveränität nach Brüssel abzugeben. Und wahrscheinlich war diese Skepsis angebrachter als die oftmals devote Haltung Deutschlands gegenüber der EU. Großbritannien hat entschieden und wird für diese Entscheidung einen Preis zahlen. Zufällig war ich gestern in Brüssel und hatte die Gelegenheit, mit einigen Politikern und auch mit Leuten aus zwei Denk-Fabriken über das Thema Brexit zu sprechen. Unisono sagten sie alle: Wenn die Briten aussteigen, dann werden sie auch wirklich aussteigen. Anders formuliert: Reisende soll man nicht aufhalten. Alle Uhren auf Null! Die EU wird auch in Zukunft mit Großbritannien Geschäfte machen. Und auch wenn sie formal raus sind, gehören die Briten zur europäischen Familie, nicht zuletzt sind sie einer der wichtigsten Partner in der Verteidigungsgemeinschaft NATO. Und sie werden das bleiben. Aber die Regeln des Handels zwischen EU und England werden nun neu ausgehandelt, und ich habe nicht den Eindruck, dass man es den Briten leicht machen will.

Die Börse in London erlebt heute morgen einen „Black Friday“, einen Schwarzen Freitag. Fast 11 Prozent Absturz der Kurse – der schlimmste Rückgang seit 31 Jahren. Das ist ein deutliches Zeichen, was die englische Wirtschaft von der Entscheidung ihres Volkes hält. Die Grundstimmung bei den großen britischen Unternehmen ist an diesem Tag mit deppressiv noch nett beschrieben. Und wenn gleich um 9 Uhr die Frankfurter Börse öffnet, dürfte es auch dort ungemütlich werden. Doch das kann sich auch ändern.

Der konservative britische Premier David Cameron hat verloren, denn er hat sich für den Verbleib seines Landes in der EU engagiert. Viele Beobachter vermuten, dass er heute zurücktreten werde. Warum eigentlich? Er hat großen Mut bewiesen, sein Volk entscheiden zu lassen. Mehr Mut als die meisten Staaten der Europäischen Union – auch mehr Mut als Deutschland. Warum sollte ein Regierungschef der Mut zeigt, in der Sache kämpft und eine Abstimmung verliert, zurücktreten? Ich sehe dafür keinen Grund.

Und die EU? Die bemerkenswerte Chefredakteurin der BILD-Zeitung, Tanit Koch, hat in dieser Woche einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben. Unter der Überschrift „Keine Strahlkraft mehr“ schreibt sie:

„Das große europäische Integrations-Projekt, das stets das Gute will und oft das Schlechte schafft, ist abgekoppelt. Von den Menschen, die statt positiver Ziele (Klimaschutz) nur den Bürokratismus (Glühbirnen-Unsinn) wahrnehmen.

Ob mit oder ohne Brexit – die EU muss ihre Anziehungskraft zurückgewinnen. In dem sie abspeckt, bei Kommission und Regulierung. Und zuhört, den Bürgern.“

Genau das ist es! Der heutige Tag ist ein schwarzer Tag für die EU. Und wahrscheinlich auch kein guter für Großbritannien. Aber er ist die Chance, Europa neu zu denken. Es ist die Chance darüber nachzudenken, was wir, was die Politik, was Brüssel anders machen müssen, um das Vertrauen der Menschen in den Mitgliedsstaaten zurückzugewinnen. So kann aus dem Brexit vielleicht für die Zukunft sogar etwas Gutes wachsen!




Die Volksabstimmung als ein pervertiertes System

Holland hat gesprochen: 64 Prozent von 32 Prozent sagten „Nee“ zu einem Assoziierungsbkommen zwischen der EU und der Ukraine. Interessant sind dabei drei Feststellungen.

Erstens: Nur 32 Prozent der Wahlbürger in unserem sympathischen Nachbarland haben an der Volksabstimmung überhaupt teilgenommen. 68 Prozent war das Thema offenbar völlig schnuppe. Selbst die Organisatoren räumten ein, dass es ihnen bei der Abstimmung nicht um die arme Ukraine geht, sondern um eine Klatsche für die Europäische Union angesamt.

Zweitens: Drei EU-feindliche Organisationen haben das Volksbegehren „gewonnen“. Wenn man zu demokratischen Mitteln greift, darf man EU-feindlich sein. Immer mehr Menschen sind offenbar EU-feindlich in der EU. Immer mehr EU-feindliche Parteien feiern Wahlerfolge Sollte man sich nicht mal mit der Frage beschäftigen, warum das so ist? Läuft vielleicht etwas falsch in der EU? Oder gibt es grundsätzliche Strukturfehler? Ich meine ja.

Drittens: Überall in Europa gibt es Probleme. Da sind Länder, die hoffnungslos überschuldet sind. Da gibt es Länder (Ost), die gern von den Vorteilen des freien Marktes und von satten Subventionen aus Brüssel profitieren, aber wenn Hunderttausende Flüchtlinge vor der Tür stehen, sind sie alle weg. Und da gibt es andere Länder (West), die große Reden von Humanität und Moral halten, ohne ihre eigenen Bevölkerungen in dieser Politik „mitzunehmen“. Da gibt es England, in dem viele von „Brexit“ reden, ohne mal den Taschenrechner zu benutzen und nachzurechnen, wie dramatisch die britische Volkswirtschaft unter einem Austritt aus der Europäischen Union leiden würde. Und es gibt Heerscharen muslimischer Extremisten und Terroristen, die inzwischen innerhalb der EU leben, agitieren und zunehmend Gewalttaten vorbereiten und begehen.

Über viele Jahre war die EU eine schöne Idee. Freizügigkeit, Völkerverständigung, offene Grenzen, gemeinsame Wertvorstellungen, wachsende soziale Standards, freier Handel. Doch der Himmel über der EU wird immer dunkler, obwohl viele Länder – besonders Deutschland – von diesser großartigen Idee nach wie vor profitieren.

Was sind die Lehren der Abstimmung in den Niederlanden? Die Machthaber in Moskau klatschen sich auf die Schenkel, weil ihre linken und rechten „Querfront“-Hilfstruppen ganze Arbeit geleistet haben. Für den mühsamen Weg der Ukraine nach Westen und in die Selbstbestimmung ist diese Volksabstimmung ein ganz schlechtes Zeichen, auch wenn das Referendum nicht bindend für die holländische Regierung ist.

Vor allem aber zeigt die Abstimmung in den Niederlanden die Fragwürdigkeit solcher Abstimmungen, die ja von Vielen als Ausweis eines großartigen Demokratieverständnisses angesehen wird. Noch mal zur Erinnerung: 27 EU-Länder haben dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zugestimmt. Das holländische Parlament und die Regierung auch. Dann mobilisieren EU-Gegner eine Volksabstimmung, von der sie selbst sagen, dass sie das Thema nur vorgeschoben haben und eigentlich einen ganz anderen Zweck verfolgen. Dann stimmen nur ganze 18 Prozent der Wahlberechtigten im einwohnermäßig kleinen Nachbarstaat mit Nein und damit wird wohlmöglich die ganze EU in der Ukraine-Frage gelähmt? Ist das Demokratie, wie wir sie wollen? Das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine, um das es bei der „Volksabstimmung“ ging, umfasst 300 Seiten. Wie viele Menschen in den Niederlanden, die dazu ihre Meinung sagen sollten, haben den Vertrag gelesen? Direkte Demokratie geht anders.

Ich bin dafür, dass es Wege direkter Demokratie auch in Deutschland gibt. Aber Volksabstimmungen – das zeigt das aktuelle Beispiel – sind oft Mittel zum Zweck, um Denkzettel zu verteilen, nicht um Themen sachgerecht zu entscheiden. Auch das darf ein Volk natürlich. Aber ist es der Sinn der Sache? Bei der Debatte um die Staatsschuldenkrise und die Zukunft des Euro vor einigen Jahren forderten Kommentatoren und Politiker eine Volksabstimmung über die Zukunft des Euro. Welcher Bundesbürger von den über 50 Millionen Wahlberechtigten hätte in einer solchen Abstimmung über Fragen von Geldwert und internationalem Finanzsystem eine sachgerechte Entscheidung treffen können? Wie viele Leute, die keine Ahnung von Währung haben, hätten einfach nur abgestimmt, weil sie zum Beispiel Frau Merkel als Bundeskanzlerin los werden wollten? Um dann anschließend mit dem stabilen Euro ihren Sommerurlaub zu buchen…