Thüringen: So macht man auch den letzten Bürgern die Demokratie mies

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!

Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen? Wenn die anderen Parteien nicht mit der AfD gemeinsame Sache machen wollen, dann haben sie das Recht dazu, so für sich selbst zu entscheiden. Wenn sie der Partei aber ständig deren demokratischen Rechte verweigern, dann ist das nicht gut für die parlamentarische Demokratie, und es macht die AfD bei jeder Wahl immer stärker. Weil nämlich das Wahlvolk sieht, was passiert, und – zurecht – beunruhigt darüber ist, wie der seit Jahrzehnten erfolgreich gepflegte Common Sence des Parlamentarismus beschädigt wird.

Konkret: Nach der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags hat die größte Fraktion das alleinige Vorschlagsrecht für den zukünftigen Landtagspräsidenten. Das ist so im Bundestag, das ist so in allen Landtagen, also auch im Freistaat Thüringen.

Aber – wir erleben das seit Jahren mit der AfD, früher aber auch mit der PDS/Linken – einen Kandidaten vorschlagen zu dürfen, bedeutet nicht automatisch, dass die frei gewählten Abgeordneten, den präsentierten Kandidaten dann auch wählen müssen. Das haben wir zigmal erlebt, als die AfD im Deutschen Bundestag jemand der ihren ins Präsidium hieven wollten, das haben wir erlebt bei der Besetzung der Vorsitzende in drei Fachausschüssen, und im Grunde erleben wir es auch zum Beispiel bei der finanziellen Ausstattung einer Parteistiftung. Weil die der AfD im Bundestag längst zusteht, haben die etablierten Mehrheitsfraktionen sogar ein neues Gesetz beschlossen, das die Desiderius-Erasmus-Stiftung für weitere vier Jahre ausschließt von Millionenzahlungen, die andererseits die SED-Nachfolger seit Jahren ganz ungeniert aus unseren Steuergeldern abgreifen. Und wenn die AfD 2025 wieder im Bundestag einzieht – dann ändern die, die die Demokratie „vor Rechts“ schützen wollen, das Gesetz einfach wieder. Demokratie geht anders.

Aber gut, Abgeordnete sind frei und nur ihrem Gewissen verpflichtet

Zurück nach Thüringen. Um die Wahl des alternativ aufgestellten CDU-Kandidaten auf den Weg zu bringen, brachten Union und BSW mit Unterstützung von Linke und SPD einen Antrag ein, um noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten das alleinige Vorschlagsrecht der größten Fraktion aus der Geschäftsordnung zu tilgen. Ein starkes Stück, aber erlaubt. Dabei beantworteten sie die durchaus berechtigte Frage, ob ein noch nicht konstituierter Landtag die Geschäftsordnung ändern kann, mit einem klaren Ja.

In meinen Augen ein klarer Rechtsbruch

Denn die Konstituierung des Landtages erfolgt ja gerade mit der Wahl eines Präsidenten. Ist der noch nicht im Amt, gibt es auch keine Landtagssitzung und Gesetzessänderungen. Die AfD widersetzte und empörte sich, und bemühte sich nach Kräften mit „destruktiver Energie“ (ntv), die anderen Fraktionen vorzuführen.

Und wie lief das ab?

Mit Jürgen Treutler, frisch gewählter AfD-Abgeordneter aus Sonneberg, der 73 Jahre alt und als Ältester im Hohen Haus automatisch Alterspräsident des Landtags ist. Der hat das Recht, die Wahl des Landtagspräsidenten zu leiten.

Der Abgeordnete Treutler also begann seine Rede, indem er die Verachtung der politischen Eliten gegenüber „dem Willen des Volkes“ geißelte, wobei anzumerken ist, dass die Wille des Volkes unbestreitbar ist, dass die AfD zwar stärkste Partei im Landtag aber ohne regierungsbildende Mehrheit ist. Wenn 30 Prozent AfD wählen, dann wählen immer noch 70 Prozent etwas anderes. Und wen die wählen kann nicht gezwungen werden, im Landtag für einen AfD-Kandidaten zu stimmen. Auch das ist Demokratie.

Und Zuhören zu können ist auch Demokratie

Denn je mehr Treutler redete, desto mehr formulierten höchst unparlamentarisch die Abgeordneten der anderen Parteien lautstark ihren Unmut, brüllten dazwischen, hinderten den Alterspräsidenten am Reden. Treutler versuchte, das zu ignorieren, schließlich unterbrach er mehrfach die Sitzung, die alles andere als eine Sternstunde des Parlaments war.

Die CDU-Fraktion rief schließlich das Landesverfassungsgericht an, um rechtliche Klarheit über die praktische Auslegung der Geschäftsordnung zu schaffen. Am Samstag um 9.30 Uhr geht’s in Erfurt dann in die zweite Runde. Und das staunende Publikum besorgt vorher reichlich Popcorn.