Warum ich die Kirche nicht verlasse
Es ist wieder Weihnachten. Haben Sie es bemerkt?
Gestern Abend wollten wir mir der ganzen Familie wie früher eine Heilige Messe besuchen. Doch als wir ankamen, stellten wir a) fest, dass diese nicht um 18.30 Uhr stattfinde, sondern erst um 19 Uhr. Und es war halt 17.15 Uhr. Und als wir dann b) noch erfuhren, dass Gläubige, die zur Messe wollen, sich vorher beim Pfarramt hätten Eintrittskarten besorgen müssen, war unsere Motivation auf dem Nullpunkt.
So also heute morgen dann in deutlich kleinerer Familienbesetzung, dafür mit Freunden, um 11 Uhr die Christmette mit drei Priestern der Legionäre Christi. Und eigentlich ist ja weltweit auch heute für die Mehrzahl der Christen auf der Welt der Festtag der Geburt Jesu. Es war sehr schön, und es ging um Gott und nicht ums Klima oder Frauenpriestertum und die Homo-„Ehe“. Einfach um Gott.
Und das ist ja der eigentliche Punkt. Bei den vielen Zehntausenden evangelischen und katholischen Christen, die auch in diesem Jahr ihrer Kirche den Rücken gekehrt haben, sind eine ganze Menge, die dafür gute Gründe nennen können. Die ihrer Kirche nicht mehr vertrauen nach all den Fällen von sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener durch Kleriker. Das ist so widerwärtig, dass es auch mich immer noch wütend macht, wenn wieder ein „Fall“ bekannt wurde. Ein Mann Gottes, ein Priester in der Nachfolge der Jünger Jesu, der sich an Kindern vergreift? Das ist durch nichts zu rechtfertigen, und – aus meiner Sicht – gibt es dafür keine Barmherzigkeit. Jesus würde das vermutlich anders sehen. Er würde es nicht gutheißen, denn er ist grenzenlos barmherzig. Das ist mir nicht gegeben, muss ich einräumen.
Ich glaube an Gott, ich versuche ein gottgefähliges Leben zu leben, was in meinem Beruf und in meiner politischen Berufung alles andere als leicht ist. Aber das mit der „anderen Wange“, die ich hinhalten soll, wenn mir jemand eine reinhaut, das war noch nie mein Ding und wird es wahrscheinlich auch nicht werden. Ich bin in meinem Glauben eher so Don Camillo als Halleluja. Aber muss ja jeder selbst wissen…
Was ich Ihnen sagen möchte, sind drei Erkenntnisse aus gut 40 Jahren Christsein
1) Das staatliche Kirchensteuersystem ist der Tod unserer Kirche in Deutschland. Ja, wir haben schöne Gemeindehäuser und prächtige Kirchen. Und unsere Bischöfe haben Limousinen und Fahrer. Aber ist es das, was Jesus Christus von uns wollte, als er vor 2000 Jahren in Sandalen von Stadt zu Stadt lief, um zu lehren? Ich glaube, er hat Armut gepredigt.
Ich glaube, er wollte, dass wir den Armen und Ausgestoßenen helfen. So hat mir auch heute bei den Fürbitten gut gefallen, dass für „die Armen, die Einsamen zu Haus, die Patienten in Krankenhäusern, für Obdachlose und Häftlinge in den Gefängnissen“ gebetet wurde. Das ist die Kirche, wie ich sie leben möchte. Papst Franziskus hat gestern Abend im Petersdom gesagt: Ohne die Armen sei Weihnachten kein Fest im Namen Jesu. Das hat mir sehr gefallen.
2) Wenn Menschen, die nicht an Gott glauben, die Kirche verlassen, ist das folgerichtig und nicht zu kritisieren. Wenn sie gehen, weil sie Kirchensteuer sparen wollen, habe ich zunehmend Verständnis dafür, dass Menschen mit ihrem Geld nicht Gender-Seminare und „Synodale (Irr-)Wege“ mitfinanzieren wollen. Ich selbst bin ja 1981 auf der Evangelischen Landeskirche in Lippe ausgetreten, weil die Kirche dort Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss organisierte und evangelischen Pfarrern Soldaten die Eheschließung in Uniform verweigerten. Aber alles mitnehmen, was die Kirche sonst so bietet, von der Inanspruchnahme von christlichen Kita-Plätzen, christlichen Privatschulen und christlichen Krankenhäusern, aber gleichzeitig einen Beitrag zu all dem verweigern, das ist asozial. Und, liebe Freunde, auch wenn man das Kirchensystem verlassen will, muss man niemals den Glauben an Gott damit aufgeben.
3) Die christliche Kirche besteht seit 2000 Jahren. Weltweit bekennen sich mehr als 2,5 Milliarden Katholiken, Protestanten, Orthodoxe zum christlichen Glauben. Und die Juden natürlich auch, nur mit einer anderen Gewichtung. Und dann auch noch die Muslime ein Stück weit, deren Geschichte erhebliche Schnittmengen hat, und in deren Glauben auch ein Prediger namens Jesus vorkommt. Nur die Feindesliebe, die Jesus Christus gelehrt hat, haben sie wohl damals nicht mitbekommen.
Die christliche Kirche als Institution besteht auch nach 2000 Jahren vor allem deshalb, weil sie konsequent in ihrer Lehe geblieben ist. Bei allen Stürmen, bei allen Enttäuschungen, bei allen Niederträchtigkeiten, die es hinter Kirchenmauern auch oft gegeben hat, ist die Lehre Jesu unumstößlich.
Und seine Radikalität, die er in der Bergpredigt zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb bleibe ich trotz allem in seiner Kirche.
Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Ihr Klaus Kelle