Warum wollen so viele jungen Leute nicht mehr freundlich sein?

Wer bei Google „Gute Erziehung“ eingibt, erhält 13,5 Millionen Treffer.Im Wesentlichen Ratgeber von Städten, Gemeinden und Pädagogen, die vermitteln wollen, dass Respekt, Fairness und Hilfsbereitschaft wichtige Werte sind, die Eltern, Schule und hoffentlich auch Kirchen vermitteln sollten. Gestern Abend war ich mit einem guten Freund in einem Restaurant. In unserem Alter sprechen auch Männer selbstverständlich über die eigenen Kinder, und so erzählte er mir von einem Erlebnis am Vortag, als andere Jungs seinen Sohn beschimpft, geschubst und ihm einen Ball geklaut haben. Mein Freund hatte es erfahren, sich direkt ins Auto gesetzt und die ungezogenen Jungs mit deutlichen Worten zur Rede gestellt. Und zwar – wie er sagte – so wie ein Ausbilder bei den US-Marines brüllt, also unmissverständlich.

Fast der ganze Abend drehte sich bei uns um diese Themen. Erziehung und Benehmen. Die Palette reichte von widerwärtigen Erlebnissen aus Bussen und Straßenbahnen in Essen, Duisburg und Krefeld bis hin zu meinen ärztlich verordneten zwei Mal Schwimmen im Hallenbad in unserer Gemeinde. Am vergangenen Wochenende sah ich mich dort im Wasser geneigt, gemeinsam mit meiner Frau einzuschreiten, als zwei weißhäutige Halbwüchsige im Schwimmbecken einen dunkelhäutigen Gleichaltrigen immer wieder würgten und untertauchten, begleitet mit den grinsend vorgetragenen Worten „Ertrink‘, Du Nigger!“ Auch im fortgeschrittenen Alter bin ich mit 1,91 Meter Körpergröße für einen 14-Jährigen eine imposante Erscheinung (und meine Frau sowieso), so dass das Theater sofort ein Ende hatte. Alle drei Jungs, auch das „Opfer“, versicherten, es sei „doch nur Spaß“ gewesen. Im Wasser um uns herum waren vielleicht 20 Leute, niemand von Ihnen zeigte irgendeine Reaktion. Man wollte doch seine Ruhe haben. Ein Bademeister war auch nicht in Sichtweite. Und weil die drei Jungs das Haupt reumütig senkten und fortan zivilisierter spielten, zogen wir von dannen. Ich will Ihnen nicht verschweigen, wie die Gespräche junger Menschen beim Umziehen in den Nachbarkabinen verliefen. „Ey, ich fick‘ Dich“ und „Ich pisse in Deine Kabine“ waren Standard.

Nun könnte der geneigte Leser meinen, die Kelles leben im Ghetto oder, wie man heute sagt,in „einem sozialen Brennpunkt“. Aber das ist nicht so. Hier ist deutsche Bürgerlichkeit pur. Man veranstaltet Nachbarschaftsfeste, geht zur Prozession am Fronleichnam und bringt Blumen auf den Friedhof, wenn Volkstrauertag ist. Viele Einfamilienhäuser, überall ein bis zwei Mittelklasse-Autos davor. Man grüßt sich, wenn man einen Nachbarn trifft, auch wenn man den Namen nicht kennt. Warum werden diese frechen Gören nicht mehr erzogen? Warum sagen ihnen Eltern, Lehrer und Pfarrer nicht mehr, dass man freundlich gegenüber anderen Menschen sein soll. Rücksicht nehmen, hilfsbereit sein! Ich bin ratlos, was in diesem Land los ist. Und diese Probleme sind keineswegs nur (gibt es natürlich auch) ein Thema von Migranten und Integration. Warum wird im Land der Dichter und Denker vielerorts nicht mehr erzogen? Warum lassen wir die Dinge einfach laufen? Ich habe keine Antwort darauf.