Wenn es ihnen gut geht, setzen Wähler immer auf die ruhige Hand

„It’s the economy, stupid!“ Dieser strategische Leitsatz für Wahlkämpfer wird gern dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton zugeschrieben. Tatsächlich stammt er aber wohl von Clintons Campagnero James Carville, entwickelt als einer von drei Obersätzen für die erfolgreiche Clinton-Kampagne 1992. Entscheidend für ein Wahlergebnis, so die Annahme, ist die wirtschaftliche Situation – die gesamtwirtschaftliche, aber auch die persönliche wirtschaftliche Situation des Wählers. Einer von Clintons Amtsvorgängern, Ronald Reagan, meinte das Gleiche, als er 1984 für eine zweite Amtszeit im Oval Office kandidierte und die amerikanischen Wähler direkt ansprach. Er fragte: „Geht es Euch heute besser als vor vier Jahren?“

„Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!“ – dieser Satz gilt auch für die gestrigen Unterhauswahlen in Großbritannien. Wähler, denen es im Großen und Ganzen wirtschaftlich gut geht, wagen mehrheitlich keine Experimente, auch wenn sie sich über andere Themen viel mehr aufregen. James Cameron und die britischen Konservativen haben einen großen Wahlsieg eingefahren. Der WDR meldete heute, die Tories hätten „überraschend viele Mandate gewonnen“. Nun schließe ich grundsätzlich niemals aus, dass der WDR von politischen Entwicklungen überrascht ist. Doch wer den Carvill’schen Grundsatz kennt, ist keineswegs überrascht. Den Briten geht es heute besser als vor David Cameron. Als der im Mai 2010 in Downing Street No. 10 einzog, steckte England in einer Rezession, das Land schien den Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung Europas komplett verschlafen zu haben. Heute boomt Großbritannien, kaum ein anderes Industrieland auf der Welt verzeichnet so starke Wachstumsraten. Und das honorierten die Wähler. Wenn es gut läuft, setzen sie mehrheitlich auf eine „Politik der ruhigen Hand“, so wie offenbar die Deutschen ja auch.

England hat andere Probleme, besonders auch mit der Zuwanderung. Der Anteil von Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis ist dort deutlich höher als bei uns, bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Die Probleme mit fanatischen Islamisten sind ungleich größer. Auch in britischen Großstädten gibt es Stadtviertel, die selbst für die Polizei nur noch mit großem Aufgebot gefahrlos zu betreten sind. Oder denken Sie an den bekannt gewordenen organisierten Missbrauch von mehr als 1.000 Mädchen durch pakistanischstämmige Zuwanderer, von denen inzwischen immerhin 53 verurteilt wurden. Mit Geschenken, Ausflügen in Luxuskarossen und Drogen wurden die Minderjährigen gefügig gemacht, um dann teilweise über Jahre herumgereicht und immer wieder missbraucht zu werden. Die Gesellschaft, die Medien und die Polizei sahen weg, weil sie nicht fremdenfeindlich erscheinen wollten. Und natürlich ärgern sich die Briten über die EU, fürchten sie doch, dass die auch hierzulande gern genannten „Brüsseler Bürokraten“ den Sitz des einstmals stolzen Empires unter ihre Kontrolle bringen könnten. Ja, und – auch das durchaus ähnlich zu den hiesigen Verhältnissen – es nimmt die staatliche Bevormundung der Menschen im Vereinigten Königreich ständig zu, bis hin zu einem ebenfalls völlig überzogenen Rauchverbot in den altehrwürdigen Pubs. Es gibt viele Gründe, sich aufzuregen, wenn man Brite ist. Nigel Farage und seine UKIP-Partei haben das in den vergangenen Jahren so deutlich formuliert, wie niemand sonst. Zum fünften Mal hat er sich gestern um einen Sitz in den Houses of Parliament beworben – und er scheiterte zum fünften Mal. Einen einzigen Sitz der insgeamt 650 im Unterhaus konnte UKIP erringen. Fairerweise muss man hinzufügen, dass dies eine Folge des Mehrheitswahlrechts ist, denn gemessen an den tatsächlich abgegebenen Stimmen, hätten Farage und seine Partei rund 13 Prozent der Sitze erhalten müssen. Dennoch bleibe ich bei meiner Einschätzung: die Bürger in den westeuropäischen Staaten werden sich nicht für radikale Lösungen entscheiden, so lange für breite Bevölkerungsschichten ein akzeptables Wohlstandsniveau besteht. Und ich sage voraus – legen Sie es sich bitte auf Wiedervorlage und geisseln Sie mich, wenn ich irre – wenn die Briten 2017 über den Verbleibt in der EU abstimmen, wird die Mehrheit Ja ankreuzen. Großbritannien exportiert etwa 50 Prozent seiner Waren in die EU-Staaten. Wenn deren Märkte für die Engländer nur noch erschwert zugänglich wären, würde das Wohlstandsniveau auf der Insel beeinträchtigt. Und darum geht’s letztlich immer: „It’s the economy, stupid!“