Werfen wir einen Blick auf die SPD
Die Sozialdemokraten in Deutschland haben unser Land mitgeprägt – im Guten wie im Schlechten. Als ich im zarten Alter von 16 Jahren begann, mich für Politik zu interessieren, war ich davon überzeugt, die SPD werde Deutschland „den Russen“ ausliefern. Die von Brandt, Bahr und Wehner betriebene Öffnung nach Osten schien mir ein katastrophaler Fehler zu sein. Heute weiß ich es besser und leiste Abbitte. Brandts Kniefall in Warschau im Dezember 1970 war richtig – eine angemessene Demutsgeste, die unserem Land viel neues Ansehen in aller Welt verschafft hat. Und seine Ostpolitik gehörte zu den vielen Mosaiksteinen, die dazu führten, dass knapp 20 Jahre später das SED-Unrechtsregime im unfreien Teil Deutschlands zusammenbrach und die Einheit ihre historische Chance bekam. Ich habe im Laufe der Jahre etwas gelernt, was heute vielen meiner Landsleute abhandengekommen ist: die Erkenntnis, dass es in der Politik nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern hauptsächlich ganz viele Grautöne.
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, rief der Reichstagsabgeordnete Otto Wels am 23. März 1933 in das weitgehend gleichgeschaltete deutsche Parlament. Ein letztes Aufbäumen des demokratisch gesinnten Deutschland gegen den braunen Wahnsinn, der gerade begonnen hatte. Oder denken Sie an den legendären Berliner Bürgermeister Ernst Reuter und seinen leidenschaftlichen Appell an die „Völker der Welt“, die Stadt Berlin nicht der sowjetischen Unfreiheit preiszugeben. Was für herausragende Politiker hat diese Partei für unser Land hervorgebracht.
Und heute? Die SPD sitzt mit an Merkels Kabinettstisch in Berlin. Sie regiert in den meisten Bundesländern und fast alle deutschen Großstädte. Niemals zuvor war der Sozialdemokratismus so präsent wie in dieser Zeit, und fast alle machen mit. Und dennoch – das zeigt eine aktuelle Umfrage – verharrt die Partei bei 23 Prozent – kaum mehr als halb so viel Zustimmung wie die Union im Land genießt. Wie das zu erklären ist, sollen und werden Politologen und Historiker einst analysieren. Ich glaube, es liegt daran, dass sich in der SPD immer ein latenter Unwillen zeigt, in der bürgerlichen Mitte zu bleiben, also da, wo Gerhard Schröder sie zuletzt erfolgreich hingeführt hatte. Immer gibt es diese Ausreißer nach ganz links. Den Familien, die Krippenplätze wünschen, welche zur Verfügung zu stellen, reicht nicht. Man schwadroniert über eine Krippenpflicht für alle, man will die Hoheit über den Kinderbetten. Eine Sexualerziehung in den Schulen, die Kindern Toleranz beibringt, reicht nicht. Man will mit aberwitzigen Bildungsplänen Kinder zur Akzeptanz anderer Lebensstile zwingen. Und jetzt Thüringen. Die Partei, die in Ostdeutschland unter den Kommunisten gelitten hat, wie keine andere, gibt sich anscheinend als Steigbügelhalter für die Wahl des ersten Ministerpräsidenten aus den Reihen des SED-Rechtsnachfolgers namens „Die Linke“ her. Warum machen die das? Ein Hang zur Selbstzerstörung? Ich kann es nicht verstehen. Ist es in der Mitte so langweilig? 12 Prozent hatten die Sozialdemokraten jüngst noch bei der Landtagswahl in Thüringen. So, wie es aussieht, werden es beim nächsten Mal weniger sein.