Wochenende der Entscheidungen – Teil 1: die AfD

Am Ende konnte es nicht mehr wirklich überraschen. Frauke Petry hat sich im parteiinternen Machtkampf bei der „Alternative für Deutschland“ klar gegen Bernd Lucke durchgesetzt. Und, um es vorweg zu sagen: Im persönlichen Vergleich haben die Mitglieder richtig entschieden. Wenn der Gründer, Parteisprecher und Übervater Bernd Lucke noch im Januar dieses Jahres von einer großen Mehrheit der Parteimitglieder getragen und bejubelt und ein halbes Jahr später ausgepfiffen und abgewählt wird, dann hat er etwas falsch gemacht. Alles andere wäre Augenwischerei. Lucke hat durch seinen Sachverstand in der Staatsschuldenkrise bisweilen sogar seine Gegner mit großem Fachwissen beeindruckt. Als Parteigründer und Frontmann sind ihm die Mitglieder in den ersten Monaten zu Füßen gelegen. Doch das ist vorbei. Die große Mehrheit will keinen Dozenten an der Spitze. Das Votum gestern war eindeutig. Mit Frauke Petry hat die AfD nun eine Vorsitzende, die nicht bloß den Kopf von Menschen anspricht, sondern auch Bauch und Herzen. Das ist für eine Parteichefin ein gewaltiges Pfund. Hinzu kommt, dass sie machtbewusst ist, weiß wie Politik funktioniert und außerdem eine sympathische Frau ist, die anders daherkommt als manch freudlose und verbissene Konservative, die man bei Europas Konservativen sonst so erlebt.
Ob die gestrige Entscheidung für die Partei insgesamt gut ist, da habe ich meine Zweifel. Zum einen finde ich den Umgang mit Lucke schäbig. Auch wenn man seine politische Positionierung für falsch hält, geht man so nicht mit einem Mann um, ohne den es diese Partei nicht gäbe. Ich gehe selbst gern ins Fußballstadion und stehe dort auf einer Tribüne hinter dem Tor. Dort wird geschmäht und gepfiffen, manchmal weit über das gebotene Ziel hinaus, und es macht Spaß. Aber eine solche Atmosphäre auf dem Parteitag einer Partei, die selbst den Anspruch erhebt, eine „Volkspartei“ zu werden, das ist unwürdig.
Wohin die Reise der AfD nun gehen wird, ist schwer abzusehen. Ich denke, Petry wird den Vorsitz gut managen. Aber was, wenn die Lucke-Anhänger vom „Weckruf“ den Laden verlassen? Ist ein solcher Aderlaß, bei dem auch viele Funktionsträger und Abgeordnete dabei wären, überhaupt zu kompensieren? Und was, wenn sie bleiben? Geht der Dauerstreit dann weiter? Haben die Wähler Lust auf so etwas?

Und inhaltlich? Eine Mehrheit der Deutschen empfindet Unbehagen angesichts eines zunehmend als Bedrohung empfundenen Islam. Wenn die anderen Parteien in Deutschland das nicht ernst nehmen, wird die AfD aus diesem (PEGIDA-)Reservoir eine Menge Stimmen fischen können. Die schleichende Zerstörung der traditionellen Familie in Deutschland – Stichworte „Ehe für alle“, Gender-Wahn, Frühsexualisierung der Kinder – ist auch so ein Thema, bei dem die anderen etablierten Parteien in Deutschland bisher keine überzeugenden Antworten gefunden haben. Auch hier wird die AfD punkten, wenn nicht wenigstens die bürgerlichen Parteien endlich aufwachen. Aber sonst? Der größte Konstruktionsfehler der AfD ist ihre auch nach zwei Jahren existierende programmatische Unschärfe. Da kämpft eine Beatrix von Storch im EU-Parlament leidenschaftlich gegen den Genderwahn, während sich im Brandenburger Landtagswahlkampf Spitzenkandidat Alexander Gauland bei früheren PDS-Wähler anbiedert, indem er das Kinderaufbewahrungssystem in der früheren DDR als vorbildlich preist. Was gilt denn nun? Beides zusammen geht nicht.

Bei der EU-Wahl, die der erste große Erfolg für die AfD gewesen ist, speiste sich der Zulauf der Wähler im Wesentlichen aus Nichtwählern, früheren FDP-Wählern und früheren Linke-Wählern. Mit einigem Abstand folgten dann enttäuschte frühere CDU-Wähler. Diese Säulen alle zusammenzuhalten, erscheint mit nach dem gestrigen Tag als unmögliches Unterfangen. Wenn ein führender Funktionär der AfD unter dem Jubel der Mitglieder allen Ernstes fordert, auf das Freihandelsabkommen TTIP mit der führenden Wirtschaftsnation der Welt zu verzichten und stattdessen einen gemeinsamen Wirtschaftsraum Europas mit Russland zu bilden, ist das weder im Interesse Deutschlands, noch klug, aber schon gar nicht attraktiv für Wähler, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen und ernstzunehmende Alternativen im politischen Angebot wünschen.

Nicht wenige Kommentatoren sehen heute mit der gestrigen Entscheidung das Ende der AfD eingeläutet. Ich bin da nicht so sicher. Es wird entscheidend davon abhängen, welchen Kurs Frauke Petry nun mit ihrer neuen Macht einschlägt. Es wird davon abhängen, ob es den großen „Luxit“ gibt, und es wird davon abhängen, ob es der Partei gelingt, programmatisch eine echte Alternative mit eigenen Ideen zu entwickeln. Eine realistische Alternative, denn Wahlen werden nicht bei „Russia Today“ gewonnen, sondern durch inhaltlich und personell überzeugende Angebote.