Zum Leben gehört auch manchmal das Verlieren
Christine Finke, Mutter, Journalistin und Kommunalpolitikerin aus Konstanz ist im Begriff, berühmt zu werden. Das ist in Deutschland nicht so schwer. Man muss eine durchgeknallte Idee haben, eine Petition starten und dann den „Spiegel“ als Durchlauferhitzer gewinnen. Dann läuft das. Ich bin sicher, dass wir sie schon bald in Fernseh-Talkshows sehen werden, denn Frau Finke hat eine Petition mit dem Ziel gestartet, die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Initiiert vom jeweiligen Bundespräsidenten werden diese Wettkämpfe seit 1951 verpflichtend für Schüler zwischen 8 und 19 Jahren an den Schulen in Deutschland veranstaltet. Die Schüler müssen dabei in sportlichen Wettkämpfen wie Laufen, Springen und Schlagball-Weitwurf bestimmte Leistungsstandards erreichen. Dafür gibt es dann Leistungsurkunden, wer die Standards nicht erreicht, erhält Teilnehmerurkunden.
Frau Finke will das nicht mehr. Der Grund ist so deutsch, dass man fast schon lachen möchte, wenn es nicht um ein Kind ginge. Ihr Sohn nämlich, sei vergangene Woche weinend nach Haus gekommen, weil er „nur“ eine Teilnehmerurkunde bekommen hatte. Und das sei demütigend, beklagt die streitbare Frau Finke. Ihre Internetpetition hat in diesem Moment, da ich hier schreibe, 10.235 Zeichner gefunden, und dank spiegel-online und des zu erwartenden Rauschens im Blätterwald morgen früh werden es wohl noch viele mehr.
Ich war als Schüler kein sonderlich guter Sportler, muss ich an dieser Stelle einräumen. Fußball, Basketball und Tischtennis konnte ich recht gut, aber bei Laufen, Springen und Werfen fielen die Ergebnisse eher bescheiden aus. Bei Bundesjugendspielen war die Teilnehmerurkunde mein ständiger Begleiter. Und es kratzte mich nicht die Bohne, denn ich wusste schon damals, dass so ein Leben immer wieder aus Wettbewerb bestehen würde. Ich war auch nicht gut in Chemie. Einmal, es ist 40 Jahre her und ich weiß es noch genau, holte mich der Lehrer an die Tafel, malte ein paar Formeln auf, die ich weiterentwickeln sollte. Ich hatte keine Ahnung und stand vor meinen Klassenkameraden wie ein Volltrottel. Nach demütigenden Minuten mit weiteren Aufgaben, die mich überforderten, fragte er mich, ob ich die Formel für Wasser kenne. Ich sagte: H 2 O und sicherte mir damit wenigstens eine Fünf. DAS war eine Demütigung, doch ich hatte sie verdient, denn ich war faul und hatte keinen Bock, für Chemie zu lernen. Nach dieser Erfahrung, riss ich mich zusammen, fing an zu Lernen, und verbesserte mich Schritt für Schritt. Man nennt das wohl Leistungsprinzip.
Aber Leistung ist nicht mehr gefragt in unserer Republik, und ich wundere mich immer wieder, wieso dieses Land trotzdem immer noch so gut funktioniert. Starke politische Kräfte betreiben heutzutage die Abschaffung des Leistungsprinzips. Kinder sollen sich nicht mehr mit anderen Kindern messen müssen. Immer wieder wird gefordert, die Schulnoten und das Sitzenbleiben abzuschaffen. Ging es früher darum, dass alle Kinder unabhängig von sozialer Herkunft gleich gute Startvoraussetzungen bekommen, geht es heute zunehmend darum, auch dafür zu sorgen, dass alle zugleich die Ziellinie erreichen. Wer mehr arbeitet, wer mehr kann, ist der Spielverderber, der Streber, der Schleimer. Wer sich irgendwie durchmogelt, gilt als Cleverle.
Eine verhängnisvolle Entwicklung, die – davon bin ich zutiefst überzeugt – mit ursächlich für die mehr als 100.000 Auswanderer ist, die Deutschland jedes Jahr den Rücken kehren. Wir reden viel über die Zuwanderung, aber nie darüber, warum so viele gut ausgebildete Leistungsträger abhauen, und was das für unsere Zukunft bedeutet. Ja, wir müssen die Schwachen fördern, die Gemeinschaft muss sie auffangen und ihnen Perspektiven bieten. Aber wir müssen auch Freiräume für die Begabten schaffen, wir müssen Eliten fördern in Wissenschaft und Technologie, und zwar von klein auf. Und wir müssen den Kindern vermitteln, dass eigene Leistung die wesentliche Grundlage für ihren späteren Erfolg im Leben sein wird. Und sei es, die besondere Leistung bei einem Sportwettkampf. Denn es gibt nicht nur die Traurigen, die es nicht schaffen, sondern es gibt auch die Schüler, die vorn sind und Leistungsurkunden bekommen. Die gewinnen damit Selbstwertgefühl und finden einen Antrieb, noch besser werden zu wollen. Das sollte man ihnen nicht nehmen.