Zusammenhalten in der Krise – das können wir in Deutschland auch heute noch
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet ruft die Bürger in der Coronakrise zum Zusammenhalt auf. Er sagte heute: „Jetzt geht es darum, dass wir alle zusammenhalten, um die weitere Verbreitung möglichst zu verlangsamen, krankheitsanfällige Menschen zu schützen und Leben zu retten.“
Und das ist mehr als eine übliche Politikerfloskel. Tatsächlich mehren sich die Anzeichen überall in Deutschland, dass viele Bürger in einer großen Krise zusammenrücken – organisiert aber oft auch spontan. Eine gute Freundin aus Hamburg berichtet mir eben von Nachbarschaftshilfe im Mietshaus, wo junge Leute für den Rentner (70) von gegenüber die Einkäufe erledigen, damit er nicht raus in den Supermarkt mit all seinen Infektionsrisiken muss. Und weil die Kita nebenan geschlossen wird, organisieren die Mütter jetzt privat eine Kinderbetreuung für andere Mütter, die Montag wieder arbeiten müssen.
„Vielleicht erwächst aus einer solchen schlimmen Situation auch etwas , was gut ist“, sagt meine Bekannte, und spontan fallen mir die Novembertage 1989 ein, wo die DDR die Grenzen öffnete und plötzlich ganz Berlin eine einzige Familie zu sein schien. Ich war als Journalist im Trubel dieser einzigartigen Nacht unterwegs, irgendwo am Übergang Bernauer Straße, als mich eine junge Frau aus Ostberllin ansprach, deren Motorrad verreckt war. Mein Tontechniker und ich setzten Himmel und Hölle in Bewegung, dass jemand kam, der das reparieren konnte. Die junge Ostberlinerin war total glücklich und sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Seid Ihr im Westen alle so nett?“ Nein, sind wir leider nicht, aber damals strahlte ich nur und war stolz auf uns alle, die mithalfen.
Ich erinnere mich auch noch an meinen Chefredakteur bei Radio Hundert, 6, in den 90ern selbst im Kofferraum eines Autos aus der DDR geflüchtet. Er sprach an einem U-Bahnhof eine Familie mit zwei Kindern an, die dort auf einer Bank kauerten und offenbar nicht wussten, was sie jetzt tun sollen: zurück nach Ost-Berlin oder einfach bleiben? Mein Chef sprach sie an und bot Hilfe an. Die Familie übernachtete bei seiner Familie im Haus.
Mein kleiner aber bärenstarker Fußballverein sollte heute Abend in Bielefeld den Rivalen aus Osnabrück an die Wand spielen und drei Punkte auf dem Weg in die Erste Liga einfahren. Ich wollte es im Fernsehen anschauen. Abgesagt – wie alle Spiele der Profiligen. Und doch hatte es etwas Gutes, denn es waren viele Lebensmittel eingekauft worden vorher. So rief die Arminia bei der Heilsarmee an, die mit einem Kleintransporter alles abholte und heute Abend an Bedürftige in der Stadt verteilte. Solche Dinge passieren derzeit überall. Wir rücken zusammen, wir finden wenigstens für eine begrenzte Zeit unser Gemeinschaftsgefühl wieder. Und in der Not kommen auch all die Eigenschaften wieder zu Tage, die man uns Deutschen auf der ganzen Welt nachsagt.
Natürlich gibt es auch negative Ausreißer. Eine Lehrerin aus Ostdeutschland erzählte mir vorhin am Telefon, wie sie am Vormittag bemerkte, dass einige ihrer Grundschulkinder auffällig husteten. Sie rief die Eltern dieser Kinder an, um sie zu bitten, die Kleinen aus der Grundschule abzuholen und gegebenenfalls zum Arzt zu bringen. Manche reagierten verärgert und blafften die besorgte Pädaggogin an, was ihr einfiele, bei der Berufstätigkeit wegen so einer Kleinigkeit zu stören. Es sind diese Geschichten, die einen manchmal an den Menschen verzweifeln lässt. Aber die Mehrheit von uns ist in Ordnung, davon bin ich auch heute noch überzeugt.,