Endlich Transparenz, doch kaum einen interessiert es
Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen den Vereinigten Staaten und der EU ruft – mal wieder – heftigen Widerstand in Deutschland hervor. Einer der Hauptvorwürfe neben panischer Angst vor keimfreiem Hühnchenfleisch ist die angebliche Intransparenz. Böse Brüsseler Bürokraten (mit viel zu hohen Gehältern und viel zu großen Dienstwagen) verschleudern da im Verborgenen unsere schönen Sozial- und Verbraucherschutzstandards an die Amis. So lautet die Legende der wackeren Anti-TTIP-Kämpfer. Doch nun ist etwas Seltsames passiert. Anfang des Jahres hat die EU-Kommission auf die Vorwürfe reagiert und die Verhandlungsdokumente zu TTIP am 7. Januar für jeden einsehbar ins Internet gestellt. Nun gibt es die erste Zwischenbilanz: Im Durchschnitt haben monatlich 760 Personen die Dokumente aufgerufen, das entspricht 25 Interessenten am Tag. 500 Millionen potentielle Interessenten in der EU – und 760 nutzen die neue Transparenz im Monat. Selbst wenn auf meinem Blog mal nichts Aktuelles veröffentlicht steht, schauen hier am Tag selten weniger als 400 Leser rein, am Kolumnen-Freitag sind es in der Regel mehrere tausend. Die Nutzerzahlen auf den TTIP-Seiten der EU lassen nur einen Schluss zu. Bei den TTIP-Protesten geht es nicht um die Sache, es geht nicht um den Schutz unserer schönen Gutmenschen-Welt vor der schlimmen Wall Street, es geht einzig und allein um schnöden Antiamerikanismus.
Herr kelle ,
besser kann manes nicht beschreiben.
Danke für die Blumen!
Ein solch geringes Interesse ist in jedem Falle bedauerlich. Ich könnte mir aber eine ganze Reihe von Gründen vorstellen:
– Allgemeine Politikverdrossenheit, speziell wenn es um Brüssel / die EU geht
– Das ständig und bedrohlich wachsende allgemeine Desinteresse an vielen -eigentlich wichtigen- Themen
– Die (wahrscheinlich berechtigte) Erwartung, dass dasman dort nur unverständliches juristisch/bürokratisches Kauderwelsch nachlesen kann
und einige mehr.
Es könnte ebensogut EU-Feindlichkeit wie Amerikafeindlichkeit sein. Ich will aber Klaus Kelle gar nicht widersprechen: auch diese hat bedenklich und bedauerlich zugenommen. Es ist nicht alles Gold was glänzt, was jenseits des Atlantiks passiert oder von dort kommt, sowohl Bush als nun leider auch Obama machen es einem schwer, die USA noch richtig lieb zu haben. Bei allen Irritationen muss aber klar bleiben: Unsere Gegner (oder sogar Feinde?) sitzen nicht im Westen oder Norden.
Folgt man deutschen Angsthasen (vorwiegend bei GRÜN) müssten die Amis nach Chlorhühnchenverspeisung eher sterben als wir im Verbraucherschutzparadies Deutschland. Die US-Lebenserwartung ist aber ähnlich der hiesigen – komisch nicht?
Den ‚deutschen Angsthasen‘ lasse ich nicht auf mir sitzen. Lieber Herr Becker, es geht nicht nur um den Schutz des deutschen Verbrauchers in der TTIP-Sache. Es geht eher um die wirtschaftlichen Interessen einiger weniger. Bei meiner Suche nach TTIP-Neuigkeiten stieß ich auf einen Artikel von Christian Felber, Mitbegründer von ATTAC, den ich hier vielleicht kurz zur Erläuterung reinkopieren darf:
‚Die Agenda machen die Konzerne: Sie wollen Regulierungsunterschiede beseitigen – bei Gesundheit, Verbraucherschutz, Arbeitsstandards, kultureller Vielfalt, Nachhaltigkeit. Zudem verlangen die Lobbys Fesseln für die Politik: Regeln sollen vorschreiben, wie demokratisch gewählte Gemeinderäte, Landtage und Parlamente regulieren dürfen. Obendrauf erhalten die Konzerne ein direktes Klagerecht gegen Staaten. Was als „Freihandel“ verkauft wird, entpuppt sich mehr und mehr als Handelsdiktatur‘.
Lieber Herr Kelle, Sie haben mal wieder in ein Wespennest gestochen!
Ich kann Herrn Hartung nur Recht geben!
Man möge sich nur einmal mit den geplanten Schiedsgerichten befassen. Diese sollen geheim tagen, Mitglieder sind Rechtsanwälte und eine Berufungsinstanz ist nicht vorgesehen. Gerichte müssen aber der Öffentlichkeit zugänglich sein, jeder muß sehen und hören können, was dort verhandelt wird. Rechtsanwälte sind immer irgendwo Partei und haben immer materielle Interessen; man stelle sich vor, ein großer amerikanischer Konzern ( als Beispiel ) klagt gegen ( z.B. ) Malta und im Schiedsgericht sitzen amerikanische Anwälte ( muß ich das weiter ausführen?? ). Es müssen also Richter in diese Gerichte. In jedem Rechtsstatt gibt es mindestens eine Berufungsinstanz; auch Richter sind Menschen und können sich irren. Allein aus diesen Gründen äußerste Skepsis bei diesem „Freihandelsabkommen“. Das hat nichts mit „Antiamerikanismus“ zu tun, aber sehr viel mit Rechtsstaatlichkeit.
Es lohnt sich nicht über Politik, Finanzen, Kriegsberichterstattung, Massenvergewaltigungen, die USA oder die NATO,TTIP, CETA und TiSA zu schreiben. Die meisten Menschen wollen sich nicht mit solchen Themen belasten, erst wenn es sie selbst betrifft werden sie Interesse zeigen aber dann ist es ZU SPÄT…..
seniorbook-Nutzer
Das ist richtig. Unsere Welt ist einfach zu komplex geworden, um sich mit allem, was notwendig wäre, auseinander zu setzen. Auch die Themen sind vielschichtig und undurchschaubar. Die Älteren haben sowieso schon zu viel erlebt als dass sie sich mit jedem neuen Problem beschäftigen wollen und bei den Jungen gibt es zu wenige engagierte Leute.
Lieber Herr Hartung,
Angst vor allem und jedem wird in Teilen deutscher Politik besonders kultiviert. Glauben Sie tatsächlich, dass die EU-Kommission und der deutsche Wirtschaftsminister Einzelinteressen mit TTIP befriedigen will? Nein, es geht um Volkswirtschaft also z.B. um Arbeitsplätze! Es wäre doch super toll, wenn endlich nationale Egoismen durch Regulierungsunterschiede beseitigt würden, wenn z.B. nationales Klein-Klein (besonders bei GRÜN.ideologischem Verbraucherschutz) endlich beseitigt würde. Ich lebe nach mehreren US-Aufenthalten so gut wie vorher und Gentechnikpizza in Spanien war Klasse!
Problem ist das Klagerecht – in der Tat.
Also, wenn z.B. die Bundesregierung den Atomkonzernen sagt: „Atomstrom noch xJahre, die Konzerne daraufhin und im Vertrauen darauf investieren lässt und dann sagt: Super, dass ihr investiertet (und Arbeitsplätze sichertet) aber jetzt gibt es Atomstrom nur noch viel weniger Jahre, dann finde ich: Da muss die Bundesregierung um Schadensersatz verklagt werden. Und das gilt m.E. auch und erst recht international.
Wenn wir wirklich „eine Welt“ werden wollen, ist für mich TTIP ein guter erster Schritt dahin. ATTAC – eine wachsende Gruppe- erscheint mir hier eher Bremser zu sein.
„Freihandelsabkommen“ – ja, was soll da schon schädlich sein? So ein schönes, harmloses Wort, das kann doch nichts Schlimmes bedeuten. Aber warum finden dann alle Verhandlungen im Geheimen statt? Warum erhalten noch nicht einmal die EU- und die DE-Parlamentarier(!) komplette Texte? Wenn es soooo gut für die Bevölkerung werden soll, dann müssten die Regierungen doch ein Interesse daran haben, alle Texte zu veröffentlichen. Und wie war das noch? Alles (insbesondere technische Geräte) wird noch billiger produziert, weil die Standards angepasst werden? Hat mal jemand gefragt, wie viel Arbeitsplätze auch dies kostet? Und wer profitiert von den geringeren Herstellungskosten? Die Verbraucher oder die Aktienbesitzer? Jeder interessierte Bürger hat doch heute verstanden, dass die Herstellungskosten nur noch wenig mit dem Kaufpreis zu tun haben, (wie es in früheren Jahrzehnten gelehrt wurde). Heute diktieren die Aktionäre der Großkonzerne die maximal durchsetzbaren Verkaufspreise. Und die Lebensmittelpreise werden auch sinken!! Ja herrlich, dann können wir ja noch mehr essen! Klasse! Noch hunderttausende fettleibige Bürger mehr, prima!
Wie schon einige andere Kommentare zum Ausdruck bringen: Das sogenannte Freihandelsabkommen beflügelt Weltkonzerne, Rechtsanwälte und vielleicht die Logistikbranche. Aber eines sagt niemand: Für Mehr-Ausfuhr wird es auch Mehr-Einfuhr geben. Wo soll dann der Mehr-Wohlstand herkommen?
Europa hat eine sehr gute Gerichtsbarkeit. Wir benötigen KEINE GEHEIMEN Schiedsgerichte!!!!
Mit freundlichen Grüßen