Einig Vaterland? Noch lange nicht….

Es ist schon wieder 36 Jahre her, aber immer noch empfinde ich den 9. November 1989 als einen der glücklichsten Tages meines Lebens. Klar, nicht vergleichbar mit der Eheschließung vor dem Altar oder der Geburt der eigenen Kindes, aber ein unvergesslicher Tag.

„Die Mauer ist offen, die Leute kommen rüber“, sagte mir mein damaliger Boss beim Privatradio Hundert,6 abends zu mir. Wir waren beim 50. Geburtstag des Gründers, Ulrich Schamoni, in einem Gasthaus in Neukölln. Die Schöneberger Sängerknaben traten auf, Eberhard Diepgen gratulierte, Karl Dall hielt eine Rede, es gab Schampus und Hummer satt, so wie man es im alten West-Berlin damals halt krachen ließ. „Trommeln Sie die Mannschaft zusammen und dann alle raus“, ordnete Chefredakteur Georg Gafron an.

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Auch für ihn ist dieser Tag ein besonderes Ereignis. In Weimar einst geboren bemerkte er schnell, dass er in der DDR kein freies und glückliches Leben werde leben können, schnell kam er in Kontakt mit Gleichgesinnten und damit auch mit der Staatsmacht. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch sperrte ihn das SED-Regime ein. 1977 wagte er einen zweiten Versuch. Dieses Mal gelang es ihm, und 1977 flüchtete er im Kofferraum eines Renault 4 über Marienborn in die Freiheit.

Ich war vor diesem historischen Tag nie in der DDR

Ich hatte keine Verwandten „drüben“, schickte keine Pakete mit Kaffee, Jeans und Damenstrümpfen. Aber die Existenz der DDR, die Teilung, das allumfassende Spitzelsystem, die Todesschüsse an der Mauer – all das kam mir schon als 16-Jähriger surreal vor. Wir sind doch ein Land, alles Deutsche, eine gemeinsame Geschichte, dieselbe Sprache – ok, mit Einschränkungen in Sachsen und Baden-Württemberg. Meine einzigen Berührungen mit dem sozialistischen Staat auf deutschem Boden waren gelegentliche Fahrten auf der Transitstrecke zwischen Westdeutschland und Westberlin.

Aber nach diesem 9. November 1989, dieser einzigartigen historischen Nacht, den vielen Begegnungen mit Landsleuten aus Ostdeutschland, wurde auch für mich alles anders. Jeden Tag war ich danach unterwegs in der DDR: um als Reporter zu sehen, zu lernen und zu berichten. So viele phantastische Menschen, Freundschaften, die damals entstanden und bis heute stabil halten. Ich könnte – vielleicht mache ich es irgendwann – ein ganzes Buch schreiben, wie ich für mich persönlich Ostdeutschland entdeckte, wo ich heute lebe. Gern lebe.

Und dennoch betrübt mich der Riss, der sich durch unser Land zieht

Dabei denke ich gar nicht an die Übersichtskarte nach Bundestagswahlen, wo der Westen schwarz und der Osten blau eingefärbt ist. Wenn man 30 Jahre unterschiedlich sozialisiert wurde, dann ist das vermutlich ganz normal. Was mich betrübt, das ist das Unversöhnliche, der Hass, der inzwischen viele Menschen voneinander trennt. Die Ostdeutschen, die sich bis heute nicht fair behandelt fühlen von den Besserwessis. Und die Westdeutschen, die angesichts der Putin-Besoffenheit in Ostdeutschland von einem schweren Ausbruch des Stockholm-Syndroms ausgehen müssen. Normal ist das nicht…

Man kann das Rad nicht zurückdrehen, und ich jedenfalls will das auch gar nicht. Mauer wieder hochziehen und so. Aber ich würde mir wünschen, wir alle könnten gemeinsam daran arbeiten, Deutschland wieder flottzukriegen und eine vernünftige Zukunft für unsere Kinder zu bauen Aber das scheint noch ein sehr weiter Weg zu sein.

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Dieser Artikel wurde 10 mal kommentiert

  1. Tina.Hansen Antworten

    Mein Kontakt mit dem Osten Deutschlands ist wenig ausgeprägt. Aus verschiedenen Gründen habe ich im Abstand von etlichen Jahren gleich drei Städtereisen nach Dresden gemacht 1996, 2004 und 2017 – sehr beeindruckend!), ansonsten „kenne“ ich nur Berlin, Potsdam, Schwerin und die Wartburg. Menschen aus den Ost-Löndern erlebe ich Alltagsleben / Kollegenkreis als freundliche, vernünftige Leute. Putinbesoffenheit habe ich noch nicht feststellen können. Ist das wirklich so verbreitet in den „neuen“ Ländern? Worauf stützt sich diese Annahme?

  2. Eva Antworten

    Das Epochenjahr 2015 hat einen Graben zwischen Westdeutschland und den neuen Bundesländern aufgerissen, der vielleicht nicht mehr zu kitten ist. (Der Riss besteht auch zwischen der alten EU und den Staaten im ehemaligen Ostblock.) Je länger die Wunde von 2015 nicht geheilt wird, desto wahrscheinlicher ist eine Abspaltung. Nach 1499 (Schweiz), 1648 (Niederlande), 1866 (Österreich) jetzt das historische Mitteldeutschland. Warum nicht?

  3. GJ Antworten

    Der 9.11.1989 war für mich ein ganz normaler anstrengender Arbeitstag, Donnerstag, an dem ich wie so oft noch allein im Büro saß und die Zeit vergaß. Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, was zeitgleich in Berlin abging.
    Die Rede des Bundespräsidenten am heutigen Tag hat mich fassungslos gemacht. Sie hat mich massiv beschämt. Anstatt den Mauerfall zu würdigen hat er es fertiggebracht, die Mauer zu feiern und die neue Teilung zu zementieren, zwischen den Unseredemokraten und den Auszugrenzenden. Herr Steinmeier, der alle AFDler aus Bundeswehr, Polizei und Beamtenschaft eliminiert sehen möchte, soll sich mal vorrechnen lassen, wieviele treu geleistete
    Dienstjahre bei Polizei und Bundeswehr zusammenkommen durch gestandene Personen, über deren Köpfe er jetzt seine moralinsauere Keule schwingt. Ich stelle mir vor, daß sein „Zapfenstreich“ von einer bizarren Dragqueenshow, Gangsterrappern und dem Schwarzen Block der Antifa begleitet sein wird. Das wäre doch vielfältig und angemessen.

      • S v B Antworten

        @Tina Hansen

        Kommt drauf an, wie Ihrem Nervenkostüm gerade zumute ist. Hören Sie doch einfach mal rein. Schließlich werden Sie selbst merken, wenn es Ihnen zu viel werden sollte. Oh ja, Steinmeiers Rede hat was.

    • Dr. Hildegard Königs-Albrecht Antworten

      Steinmeier ist nicht mein Bundespräsident und wir gehören offensichtlich für ihn nicht zu den Bürgern Deutschlands.
      Dann ist das so. Lasst ihn reden, es kommt der Tag, da ist er Geschichte.

  4. Achim Koester Antworten

    Steinmeier ist der schlechteste Bundespräsident, den dieses Land je hatte. Ich werde bestimmt nicht der Einzige sein, der feiern wird, wenn der endlich abtritt.

    • S v B Antworten

      Ha, mein Kommentar kam zu spät. Egal, auf jeden Fall wissen Sie jetzt die Rede für sich einzuschätzen. – Wie viele Zuhörer mögen es wohl gewesen sein? Der Applaus schien mir gelegentlich „etwas“verhalten“…

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