Erobern wir Bürger uns diesen Feiertag

Alles wird so sein wie immer. Der Tag beginnt mit einem ökumenischen Gottesdienst, dann folgt ein Festakt mit Politikern und Honoratioren. Dunkle Anzüge sicher erwünscht. Hannover bietet dann den Rahmen für das diesjährige Bürgerfest, bei dem auch „Bürger-Delegationen“ erwartet werden. Und Berlin, unsere Hauptstadt, setzt noch einen drauf. „Livemusik, Schlagerparaden, Karaokedarbietungen, Vorträge, Biergärten, Veranstaltungen für die ganze Familie und viele weitere Unterhaltungsaktionen“ bewirbt die Metropole auf ihrer Internetpräsenz, bedauert allerdings, dass – leider, leider – in diesem Jahr keine große Bühne aufgebaut werde, aber immerhin drei kleine.

Nationalfeiertag nennt man dieses trostlose Angebot in Deutschland, das jeden, der mal einen Nationalfeiertag anderswo miterleben durfte, unwillkürlich zum Lachen bringt. Ein Nationalfeiertag, der große Teile der Nation völlig schnuppe ist. Man hat irgendwie Hemmungen, sich zur eigenen Nation zu bekennen oder gar stolz auf sie zu sein, wenn nicht gerade Fußballturnier ist. Und man zweifelt, ob der 3. Oktober als Datum für den Tag der Deutschen Einheit glücklich gewählt ist. Warum nicht der 9. November, als den Jahrestag, an dem die Mauer fiel? Der sogar das dunkle Pendant mit dem 9. November 1938 und den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung hat und damit einen großen geschichtlichen Bogen schlägt? Von einem Jubeltag zu einem Tag der Schande. Oder warum nicht der 17. Juni in Erinnerung an 1953, als sich in vielen Städten der früheren DDR die Arbeiter erhoben, um zunächst gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen durch das SED-Regime, dann aber schnell auch für freie Wahlen und Wiedervereinigung zu demonstrieren? Ein wahrer Aufstand des Volkes für die Freiheit, der dann von russischen Panzern niedergewalzt wurde. (Man muss das hin und wieder mal in Erinnerung rufen angesichts der neuen erstaunlichen Russland-Begeisterung hierzulande)
Der 3. Oktober ist es geworden, die von uns gewählten Repräsentanten haben so entschieden. Lassen Sie uns jetzt daran arbeiten, dass der Tag der Deutschen nicht länger ein Honoratiorenfest bleibt! Ich wünsche mir, dass alle Bürger Anteil daran nehmen, was an diesem Tag gefeiert wird, und dass wir uns endlich trauen, einen gesunden, fröhlichen und freiheitlichen Patriotismus zu zelebrieren. Es geht nicht darum, uns über andere Völker und Staaten zu stellen, sondern uns selbst zu feiern. Wenigstens einmal im Jahr stolz darauf zu sein, was wir Deutschen auf die Beine gestellt haben, in Kultur und Wissenschaft, in Sachen Wohlstand und soziale Sicherheit und auch in puncto Freiheit und Gerechtigkeit. All diese Dinge, um die uns Menschen rund um den Erdball bewundern und beneiden, und die wir selbst so gar nicht mehr zu schätzen wissen. Es gehört für mich zu den erstaunlichsten Erscheinungen unserer Zeit, wie abschätzig und verächtlich Menschen, die sich selbst als Patrioten bezeichnen, über dieses Land, seine Institutionen und seine Vertreter sprechen und schreiben.

Machen wir aus dem Tag ein echtes Bürgerfest, überall! Es kann ganz einfach beginnen in diesem Jahr (denn die Zeit wird ja schon etwas knapp). Hängen Sie eine Deutschlandfahne aus dem Fenster! Oder, falls die schwarz-rot-goldenen Billigproduktionen aus Asien die WM überlebt haben, stecken Sie morgen ein Autofähnchen an ihren Wagen! Vielleicht kennen Sie Leute, die in den bewegenden Monaten dabei waren, zwischen 9. November 1989 und 3. Oktober 1990 – laden Sie die doch zu sich ein! Ein paar Freunde und Nachbarn dazu, den Grill an. Es ist ganz leicht, und es muss auch nicht nur über Politik gesprochen werden. Aber ein wenig über das Geschenk der Einheit, auch über die Probleme und Unterschiede, die es immer noch gibt. Und was für ein Glück wir haben, in Deutschland zu leben. Dazu Bratwurst, Kartoffelsalat und Bier – großartig. Morgen werden nur ein paar Leute dabei mitmachen, aber wie Sie wissen beginnt laut Konfuzius eine Reise von 1000 Meilen mit einem Schritt. Im nächsten Jahr starten wir dann Stufe 2: Bürger- und Sportvereine, Ortsverbände der Parteien, Nachbarschaften und Kleingartenkolonien werden eingeladen, sich anzuschließen und Einheitsfeste zu veranstalten. Nicht von oben verordnet, nicht „vom Staat“ organisiert, sondern von uns, den Bürgern dieses Landes. Mal schauen, wie weit wir kommen. Irgendwann sind Festakt und Karaoke in Berlin dann nur noch Nebensächlichkeiten eines echten Nationalfeiertags der Deutschen.

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Dieser Artikel wurde 11 mal kommentiert

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  2. Detlef Parr Antworten

    Wieder einmal stimme ich Ihnen weitgehend zu. Ich werde mitmachen, aber erst in einem Jahr. Denn jetzt wird geheiratet, und ein solches Fest überstrahlt natürlich alles andere.

    Im übrigen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit unseren Feiertagen nicht allein am 3. Oktober. Manch andere Festtage sind auch zu blossen Urlaubstagen verkommen – schade !

  3. Rainer Schütze Antworten

    Guten Abend Herr Kelle,
    man kann natürlich darüber streiten, ob der 03.10. der richtige Feiertag ist oder nicht. Sei’s drum. Unsere Politiker, allen voran Kohl haben den Tag ausgesucht. Ob es nun der 09.11, oder der vergangene 17.06 sind bzw. waren, ist mir herzlich egal. Für mich ist das ein normaler Tag, zwar offizieller Feiertag, aber ohne besonderen Sinn. Die Autobahnen sind voller Staus, weil die Mehrheit verreist.
    Wen interessiert da noch der Tag der Wiedervereinigung ?

  4. Fritz - Ulrich Hein alias hein-irol Antworten

    Nun, so ganz bin ich nicht mit Ihnen, Herr Kelle. Ich denke nur an die Versprechen, die einst Herr Kohl machte. Die jetzige Regierung stäubt sich mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung des Soli, weil der zum Schuldenabbau hergenommen wird, statt ihn jetzt auch uns im Westen zugute kommen zu lassen. Stattdessen sollen jetzt auch noch die Autofahrer abgezockt werden. Betrifft mich zwar nicht, weil begeisteter Bahnfahrer. Wenn man dann heute die Sonntagsreden diverser Politker im Internet verfolgt, ist einem nicht mehr nach Feiern zumute.

  5. Klaus Kelle Antworten

    Lieber Herr Parr, Hochzeit geht auf jeden Fall vor. Herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen dazu! Beste Grüße, Klaus Kelle

  6. Frater Malachias Antworten

    Und warum nicht? Auch wenn ich jetzt im Ausland lebe: Warum nicht? Ich verweise auf Frankreich, Schweiz oder natürlich auch auf die USA. Die Bevölkerung dieser und anderer Länder zeigen uns was es heisst auf sich und die Nation in der sie leben stolz zu sein. Warum nicht? Wir können bei Fußballsiegen feiern wie die „Weltmeister“. Bei einem Nationalfeiertag aber nicht? Warum nicht??? Genießen wir solche Tage, das leben ist ernst genug! Einen schönen Nationalferiertag euch allen.

  7. Friedrich Albrecht Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle, ich finde, Sie haben den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen. Ihre Anregung, wie wir Deutschen uns allmählich an unseren Narionalfeiertag gewöhnen könnten, finde ich sehr gut. Allerdings meine ich, daß es dafür erforderlich ist, nicht erst am 3. Oktober, sondern bereits einige Zeit vorher immer wieder darauf hinzuweisen, damit die andere Feiertagsgestaltung rechtzeitig geplant werden kann.

  8. Klaus Kelle Antworten

    Sehr geehrter Herr Albrecht, das habe ich vor, und ich hoffe, es schließen sich viele Leute an! Beste Grüße, KK

  9. Marlene Voß Antworten

    Hallo Herr Kelle!
    Für mich ist heute, an diesem Dienstag, Ihre Freitagkolumne immer noch aktuell genug darauf einzugehen. Meines Erachtens beeinflussen die Gründe zur Feiertagsgestaltung in keiner Weise den Umgang mit diesen. Hauptsache es ist ein freier Arbeitstag/Brückentag. Es gibt wahrscheinlich tatsächlich Bürger, die sich auf den Grund besinnen. Das ist leider oftmals altersspezifisch bedingt. Ich behaupte in Erwartung eines Aufschreis (mit dem wahrscheinlich auch nicht zu rechnen sein wird), dass die meisten Leute nur einen Vorwand zum „Party machen“ suchen. Dazu ist jeder Grund gut genug. Ob Oktoberfest in jedem Dorf, Fußballparty oder Papstbesuch. Hauptsache ein freier Tag und Spaß. Wir sind ja schließlich im wahren Leben so vorsortiert, dass jede Gelegenheit ergriffen werden muss endlich Ungezwungenheit pflegen zu können. Wen wundert das? Da wurden wir über Generationen dazu erzogen in tiefer Demut geduckt zu laufen und das Deutschsein höchstens entschuldigend einzugestehen. Wer dies anders sah, gehörte in eine bestimmte Ecke.
    Da fällt mir aber gerade ein, dass es doch Gruppen gibt, die diesen Termin genutzt haben. Passend zum 3.10. werden wir in den Medien auf unseren „Einheitskanzler“ hingewiesen, der wegen seiner unflätigen Kommentare in Erinnerung gebracht werden mußte! Ha, es gibt ein neues Buch! Na also, geht doch!

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