GASTSPIEL ANDREAS SCHNEBEL: Bürgerlich-konservativer Stammtisch in Neuruppin
Ich war wieder einmal in der Fontanestadt Neuruppin, die definitiv eine Reise wert ist, und besuchte den bürgerlich-konservativen Stammtisch von Klaus Kelle. Wie immer hat es sich gelohnt. In Berlin und Neuruppin komme ich bei diesen Treffen regelmäßig mit bürgerlichen, liberalen und konservativen Gleichgesinnten, aber auch mit ganz anders Denkenden zusammen. Was diese Begegnungen so wertvoll macht, ist der Austausch – beim Debattieren und einem entspannten Bier. Unabhängig davon, wie unterschiedlich die Meinungen über den Weg dorthin sind, geht es immer um den Zustand und die Zukunft unseres Landes. Was uns eint, ist die Überzeugung, dass es so, wie es derzeit läuft, nicht weitergehen kann. Es gibt keine Alternativlosigkeit, das steht fest – wir müssen den Mut haben, nach neuen Wegen zu suchen.
Politische Situation in Brandenburg und das Brandmauer-Problem: In Brandenburg hat die AfD, wie bei den vergangenen zwei Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, zwar stark zugelegt, aber nicht gewonnen. Die etablierten Parteien halten sich nur noch durch wechselnde Koalitionen und einen geringen Stimmenvorsprung an der Macht – immer gemeinsam und entgegen aller demokratischen Gepflogenheiten gegen die AfD, als Block. Rechts neben der CDU beziehungsweise links neben der AfD haben sich zwar einige kleinere Parteien positioniert, die jedoch weit am Einzug in die Parlamente vorbeigeschrammt sind.
Aufweichung der Brandmauer zur AfD: Diskutiert wurde die Frage, ob die bisherige strikte Abgrenzung der CDU gegenüber der AfD – die sogenannte Brandmauer – ins Wanken gerät. Auf kommunaler Ebene sowieso, aber auch auf Landesebene zeigt sich vereinzelt, insbesondere in Gesprächen mit CDU-Politikern, eine gewisse Offenheit für eine Neuausrichtung. Einzelne haben in den vergangenen Wochen öffentlich die Sinnhaftigkeit der Brandmauer infrage gestellt. Für sie steht fest, dass Brandenburg in einer schwierigen politischen Situation steckt, die durch starre ideologische Blockaden nicht gelöst werden kann. Stattdessen plädieren sie dafür, sich auf Inhalte zu konzentrieren und eine Politik des Dialogs zu verfolgen, ohne vorab ganze Parteien auszuschließen.
Potenzielle Veränderungen in der politischen Landschaft: Dies könnte potenziell eine tiefgreifende Veränderung der politischen Landschaft in Brandenburg einleiten. Sollte die CDU ihre strikte Ablehnung gegenüber der AfD lockern, könnten sich neue Optionen eröffnen.
Spaltungen und das Ringen um ein bürgerlich-freiheitliches Bündnis: Als spannend wurde daher der Versuch angesehen, ein konservativ-libertäres Bündnis zu gründen. Dieser begann bereits 2023: Verschiedene Gruppen, Parteien und Personen planten, sich unter einem gemeinsamen Dach zu versammeln. Der Alleingang von Hans-Georg Maaßen mit der WerteUnion (WU) durchkreuzte diese Pläne. Maaßen und einige ehemalige CDU- und FDP-Mitglieder empfanden die Ideen des libertären Ökonomen Markus Krall als zu radikal. Sie fühlen sich immer noch der alten CDU näher, während Krall für sie zu freiheitlich denkt – fast wie ein deutscher Javier Milei.
Interne Konflikte in der WerteUnion und der Aufstieg des Bündnis Sarah Wagenknecht: Dies führte aktuell sogar zur Spaltung innerhalb der WerteUnion (in allen Landtagswahlen unter 1 %). Deren – sich als libertär verstehende – Jugendorganisation (JWU) hat sich aus diesen Gründen (Intrigen, Positionierung, Machtkämpfe) von der WU abgespalten und plant eine Fusion mit der Partei der Libertären. Gleichzeitig steht eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien und Personen auf dem Plan. Immer mehr Menschen, die sich früher als liberal und wertkonservativ bezeichnet hätten, verstehen sich mittlerweile als libertär – weniger FDP oder CDU, mehr Freiheit und Milei.
Der rasante Aufstieg des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) steht dazu in einem krassen Gegensatz und spiegelt zwei unterschiedliche Strategien wider. Während das BSW von oben nach unten organisiert wird, unterstützt durch Millionenbeträge und mediale Präsenz, versucht die WU mühsam, sich von unten aufzubauen – offenbar ohne ausreichende finanzielle Mittel, ohne mediale Aufmerksamkeit aber mit vielen internen Querelen.
Stammtisch-Thema: „Libertär in Brandenburg“: Unser Stammtisch am 26. September stand ganz im Zeichen dieser Entwicklungen. „Libertär in Brandenburg“ lautete das Motto. Mathias Hummel aus Magdeburg und Bundesvorsitzender der Partei „Die Libertären“, hielt einen interessanten Vortrag zum Thema des Abends: „Mehr Freiheit wagen – Wie viel Freiheit verträgt die Gesellschaft?“. Er berichtete über die jüngsten Entwicklungen und verdeutlichte, wie stark der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung und weniger staatlicher Kontrolle wächst. Weniger Staat, weniger Bürokratie, weniger Steuern, mehr Freiheit!
Zeit für neue Ideen und mehr Freiheit: Mit diesen Zielen stimmten alle Anwesenden überein, von denen sich einige bereits vor dem Abend als „libertär“ bezeichneten. Es wird spannend sein zu sehen, wohin dieser Weg führt. Eines ist jedoch klar: Die Zeit des bloßen Jammerns und des unreflektierten Festhaltens an alten Strukturen ist vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, neue Ideen zuzulassen und aktiv zu werden – und vielleicht wagen wir ja alle bald ein bisschen mehr Freiheit.
Ein bürgerlich konservativer Stammtisch spricht über eine libertäre Bewegung. Für mich klingt das nach einem Oxymoron, gleichwohl ich grundsätzlich immer für den Gedankenaustausch und Diskurs bin, der letztlich beide Seiten nur bereichern kann.
Der libertäre Gedanke als solches ist mir als rechts-konservativer tatsächlich im ersten Moment nicht ganz unsympatisch und die Philosophie von John Lock klingt verlockend. Wenn ich dann allerdings mein Umfeld in meine Gedankenwelt mit einbeziehe und mir vorstelle, dass diese Menschen sich von iher Moral, Selbsterkenntnis und Vernunft leiten lassen sollen, dann wird aus der Philosophie eine Utopie.
Der durchschnittliche Staatbürger ist heute schlicht nichtmehr dazu in der Lage für sich selbst verantwortlich zu sein. Das äußerst sich in allen Bereichen des Lebens und zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gesellschaftsschichten. Zumal Moral ein durchaus sehr unterschiedlicher Maßstab ist, der letztlich zwangsläufig mit der Anarchie einher geht.
Die Freiheit des Einen endet schlicht immer da, wo das Recht bzw. die Freiheit des Anderen tangiert werden. Wie soll das also in der Praxis aussehen? Wir streiten uns in Deutschland über den Knallerbsenstrauch am Maschendrahtzaun weil Einer in der Pflanze seine Freiheit und sein gutes Recht zu erkennen meint, während der Andere seine Freiheit und sein Recht beeinträchtigt sieht.
Stünde es mir frei, meinen Gehweg bei Schneefall nicht zu säubern, weil ich persönlich das als ästhetisch empfinde? Darf jemand anders dann den Schnee auf meinem Gehweg entfernen, weil er denk, dass dies sein gutes Recht ist? Muss jemand, der wegen dem Schnee auf meinem Gehweg ausrutscht und sich alle Knochen bricht für die Behandlung selbst aufkommen, weil er eine freie Entscheidung getroffen hat diesen Gehweg zu benutzen?
Nein, Freiheit ist zwangsläufig Anarchie – und Anarchie ist eine Dystopie. Wir brauchen einen starken Staat und klare Regeln, weil der Mensch als soziales Wesen nicht ohne Regeln existieren kann. Auch im Tierreich ist zu beobachten, dass jede Herde von einem Leittier angeführt wird und der Tod dieses Tieres sogar zum Sterben der gesamten Herde führen kann.
Es gibt einzelne, die mit Freiheit umgehen können. Diese Menschen würden jedoch spätestens dann an ihre Grenzen gelangen, wenn der ebenfalls menschliche Neidfaktor die Moral anderer korrumpiert. Die Stärke einer Herde zeigt sich immer dann, wenn sie als Gruppe fungiert und gemeinsam Ziele erreicht. Dieses Prinzip basiert jedoch letztlich auf einem Zwang, weil die Gruppe stark ist und damit etwas erreicht werden kann, was dem Einzelnen verwehrt bleiben würde oder gar zu seinem Tod führen könnte.
Ein einzelgängerisches Tier steht permanent unter Druck und wird nicht die gleichen Erfolge erzielen wie eine starke, soziale Gruppe – angeführt von einem Leittier, dass die Entscheidungen zum Wohle aller trifft.
Die gefühlte Freiwilligkeit bei der Entscheidung zwischen einem freien, selbstbestimmten Leben und der Unterordnung in einer Gruppe ist somit ein Trugschluss. Sie ist in Wahrheit die Entscheidung zwischen einem früheren, gestressten Tod, gepaart mit der Notwendigkeit Erfolge alleine zu erreichen und einem sorgenfreieren, längerem Leben.
Ich für mich weiß, welche Entscheidung ich zu treffen habe – aber ich bin liberal genug, diese Entscheidung jedem selbst zu überlassen. Gleichwohl es meiner Meinung nach keinen Weg zurück in die „soziale Hängematte“ geben dürfte, wenn sich jemand für den Weg der persönlichen Freiheit entschieden hat.