GASTSPIEL Steffen Königer: Warum ist erstmals nach der Wende nicht wählen gehe

Ganze zwölf Stunden haben damals gefehlt! Ein Gefühl der Glückseligkeit waren Mauerfall und Wiedervereinigung für mich und als Höhepunkt die freien Wahlen am 14. Oktober 1990. Mein Pech, daß ich am 15. Oktober 1972 um die Mittagszeit geboren wurde und somit 18 Jahre später satte zwölf Stunden zu jung gewesen bin, um daran teilzuhaben zu können.

Seit dieser Zeit bin ich jedoch zu jedem Urnengang erschienen, irgendwas gab es immer zu wählen.

Und – bis auf die Grünen und andere extreme Parteien – habe ich schon überall mein Kreuz gemacht. Abhängig von Einzelpersonen, Symphatie und Programmatik. Ernüchtert muß ich feststellen, daß ich an diesem Sonntag erstmals nicht zum Wahllokal gehen werde. Es gibt schlicht nichts mehr, was mich motivieren würde.

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Es sind auch in einigen Bundesländern Kommunalwahlen und da sollte doch jeder Demokrat eigentlich aus Verantwortung und weil sonst die Falschen gewinnen…das ist jedoch 2024 für mich kein Argument mehr. Fast alle Verantwortungsträger von Kommunal- bis zur Europaebene haben mich zutiefst frustriert, zu einer Art inneren Kapitulation getrieben, die nur einen Wunsch in mir wachsen ließ: weg hier! Ja, auswandern wird immer mehr zu einem realen Wunsch, wenn es täglich immer irrer wird.

Kürzlich fiel in einer Diskussion das Argument, ich solle doch dann „das kleinere Übel“ wählen.

Das hatte ich schon mal gehört, das „kleinere Übel“ in der DDR war bei Studiumsplänen die Mitgliedschaft in der FDJ – ohne mich! Und der Spruch „Augen zu CDU“? Sozusagen zur Belohnung für knapp 20 Jahre Staatsversagen? Eher möge mir die Hand abfallen.

Ein Stück dümmer erscheint die Parole „Nur noch AfD“. Protest? Notwehr? Dafür kenne ich leider fast alle Akteure und Kandidaten viel zu gut, um nicht zu wissen, dass man solche Kaliber nicht mal in die Nähe von Macht bringen sollte. Wer sich als komplett Kompromissunfähig erweist, ist schlicht nicht politikfähig. Will man also etwas Nicht-Linkes wählen, wird die Luft auf konservativer Ebene sehr schnell sehr dünn. Eine Wüste ist verglichen mit dem deutschen Angebot an Wählbarem schlicht bewaldet.

Ein guter Freund von mir meinte, man könnte doch das „Bündnis Deutschland“ mit einer Stimme bedenken. Ein Geheimtip vielleicht, jedoch so geheim, daß ich sie schlichtweg nirgendwo wahrnehmen kann. Weder durch Wahlwerbespots, noch durch veröffentlichte Beiträge – wohlgemerkt trotz eigener, intensiver Suche nach Inhalten oder gar Pressemitteilungen. Andere bürgerliche Projekte hatten nicht einmal Sternschnuppencharakter, sondern schlugen gleich auf der Rückseite des Mondes ein.

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Und das andere politische Spektrum?

Kaum, daß das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) die politische Ebene betrat, fragte ein Journalist bei mir an, ob ich schon Tuchfühlung aufgenommen hätte. Meine Antwort: ich lehne grundsätzlich Sozialismus ab, egal ob roten, grünen oder gar braunen! Hochgejazzt von sämtlichen Medien, um der AfD Stimmen abzunehmen, ist mir diese Abspaltung nur aus einem Grund symphatisch: das BSW verzwergt die SED-Nachfolger und wird die Linkspartei aus einigen Parlamenten kegeln.

Was bleibt also übrig als Wahlalternative? Einmal wählte ich sogar die Naturgesetzpartei, nur weil die „Jogischen Flieger“ in einem Wahlwerbespot bei mir tagelang für ein breites Grinsen sorgte – das ist jetzt schon über 20 Jahre her. Jetzt gibt es nichts mehr zu lachen – und für mich nichts mehr zu wählen! Für mich sind diese Wahlen leider wie ein Verkehrsunfall. Man muß hinsehen, bedauert die Opfer, ist aber schlußendlich froh, nicht darin verwickelt zu sein. Und die sarkastische Erkenntnis, daß Medien wie uneinsichtigen Politikdarstellern von den „Altparteien“ eine blaubraune Trümmertruppe von 20 Prozent plus x schlicht zu gönnen ist.

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Dieser Artikel wurde 17 mal kommentiert

  1. gerd Antworten

    Wahlen sind eigentlich eine ernste Sache. Jemanden zu wählen, weil ein Werbespot für ein breites Grinsen sorgt, der versteht etwas grundsätzlich nicht. Man kann frustriert sein und in der inneren Kapitulation die weiße Fahne schwingen, sollte dann aber auch in diesem Zustand nicht darüber jammern, dass es nichts mehr zu wählen gibt. Es klingt zumindest unglaubwürdig.
    Ach ja, bei einem Verkehrsunfall gibt es die Pflicht zur Ersthilfe. Hinsehen reicht da nicht aus. Niemand mag die Gaffer.

    • Martin Ludwig Antworten

      hervorragender Kommentar, der eigentlich schon fast alles sagt, @gerd. Ich würde dem Verfasser des Artikels nur einen weiteren Ratschlag mitgeben: Machen Sie ihren Stimmzettel einfach ungültig. Eine abgegebene ungültige Stimme macht einen statistischen Unterschied! Angenommen, es gäbe insgesamt nur zwei Wahlberechtigte und einer wählt nicht, hat der Gewinner der Wahl mit 100 % der abgegebenen Stimmen gewonnen. Gehen jedoch beide wählen und eine Stimme war ungültig, beträgt die Quote der Zustimmung nur noch 50 %…Mal ganz vereinfacht dargestellt.

  2. H.K. Antworten

    Gut, die Meinung des Verfassers ist zu respektieren.

    Allerdings hat jemand, der nicht zur Wahl geht, keinerlei, wirklich NULL Recht, sich über die politischen Zustände zu beschweren.

    Abgesehen davon ist jede Stimme, die nicht abgegeben wird, eine „Bestätigung“ für die, die bisher politisch verantwortlich waren. Aufgrund weniger Gegenstimmen bzw. weniger Stimmen für Andere fühlen sie sichnzwangsläufig bestätigt. „aalles richtig gemacht !“

    Verwunderlich ist jedoch in der Tat, daß auf den Wahlplakaten Personen gezeigt werden, die mitnichten zur Wahl stehen.

    Was das soll, weiß wohl nur das Konrad-Adenauer-Haus.

    Bei der CDU sind es gleich zwei, also 00 % der Abgebildeten. Weder Friedrich Merz stellt sich zur Wahl noch UvdL.

    Bei der SPD ist zumindest Katharina Barley EU-Kandidaten. Olaf Scholz ( leider … ) nicht.

  3. Achim Koester Antworten

    Mein Problem bei der kommenden Europawahl ist nicht nur die fehlende Unterscheidbarkeit der Parteien, denn alle scheinen sich dem grünen Diktat unterworfen zu haben, sondern viel mehr die Wahrscheinlichkeit, letztendlich einen Kandidaten unterstützt zu haben, den ich nie gewählt habe, sondern die Hinterzimmerpolitik einer machtbesessenen Politkaste.

  4. Hildegard Königs-Albrecht Dr. Antworten

    „Blau-braun“, das hätte ich doch gerne erklärt.

    Im Parteiprogramm kann ich kein „braun/antidemokratisch/rechts/Nazi“ entdecken, aber alle reden davon, dann muß ja wohl etwas daran sein oder doch nur Propaganda?
    Viele gehen auch dafür auf die Straße, selbst nach dem Messeattentat auf Herrn Stürzenberger, auch rechts/antidemokratisch/usw.?, das nachweislich von einem Islamisten begangen wurde, was aber vor der Europa-Wahl kaum thematisiert wird.

    Bin ich eigentlich auch blau-braun, wenn der Wahlomat mich bei den Blauen verortet?

  5. Tina Hansen Antworten

    Der Wahlomat hat mich erschüttert. Ich bin zu 82 Prozent voll Nazi. So schlimm hätte nicht mal ich selbst mich eingeschätzt 🙂

    • S v B Antworten

      @Tina Handen
      Pfui, liebe Tina, Sie enttäuschen mich! Na, da werde ich doch gleich noch – kurz bevor ich zur Wahl schreite, bzw. fahre – einen Wahlomat-Test einschieben. Allerdings steht leider zu befürchten., dass sich mein Ergebnis nur marginal, wenn überhaupt, von dem Ihren unterscheiden wird. Na sowas! Unserem Gastgeber, der quasi über Nacht – und für manchen Kommentator hier im Blog wohl überraschenderweise – quasi über Nacht zum MASZ-Fan mutiert ist, dürfte dies allerdings nicht sonderlich gefallen. Egal. Seine überzeugt, ja geradezu fasziniert klingende Laudatio auf Frau Strack-Zimmermann hat mich, ähm… doch einigermaßen verwundert, to say the least, the very least.

      • Klaus Kelle Antworten

        Liebe S v B,

        das schätzt Du doch an diesem Blog, dass wir Dinge von unterschiedlichen Seiten betrachten. Ich habe Stracki nicht gewählt, ich möchte nicht mit ihr zu Abend essen, aber ich finde sie auf ihre Art beeindruckend.

        kk

          • S v B

            Herrje, jetzt ist mir H.K. einmal mehr zuvorgekommen. Darüber, dass MASZ beeindruckt, dürften wohl kaum Zweifel bestehen. Allerdings scheint mir der „Kosename“ Stracki“ (wer DEN wohl in die Welt gesetzt haben mag?) „etwas“ unglücklich gewählt. Für meine Ohren jedenfalls klingt er entschieden zu putzig, ja einfach zu niedlich für die Person, die damit gemeint ist.

  6. Tina Hansen Antworten

    Liebe SVB, ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt zum Wahllokal und ein glückliches Händchen beim großen staatsbürgerlichen Akt. Meine Wenigkeit ist bereits zurück, erquickt vom Morgenspaziergang unter strahlend blauem Himmel, eine Tüte frische Brötchen im Gepäck. Einen guten Wahlsonntag Ihnen und allen hier!

  7. .TS. Antworten

    „bis auf die Grünen und andere extreme Parteien“

    Und welche sind das alle? Von allen im Bundestag vertretenen fällt mir nur eine ein die im Winter 2021 NICHT ihr wahres menschenfeindliches Gesicht offenbart hat!

    „Wer sich als komplett Kompromissunfähig erweist, ist schlicht nicht politikfähig“
    Fataler Denkfehler!
    Es ist NICHT im Interesse des Bürgers einzelne Parteien und deren Mitglieder auf Regierungspöstchen steigbügelzuhaltern sondern seine, mitunter ziemlich individuell gewichteten, Interessen vertreten zu sehen.
    Und das kann eine radikale Opposition die sich nicht wie so meist für den eigenen Vorteil beliebig verbiegen läßt oftmals besser als eine Wischiwaschihauptsachemitregimeungsfraktion a la FDP.

  8. H.K. Antworten

    Macron hat angesichts des EU-Wahlergebnisses ratzfatz Neuwahlen ausgerufen.

    Die sollen am 30. Juni stattfinden – in DREI Wochen ??

    Wieso geht so etwas bei uns nicht ?

    • Tina Hansen Antworten

      Macron hat auch gesagt, dass er sein Land liebt. Man stelle sich das bei Herrn Scholz vor- geradezu absurd! Nein, nein, lassen wir die Ampel mal weiter wursteln und freuen uns schon auf jenen Tag im September, an dem alle beteiligten Parteien in gleich zwei Bundesländern mit der 5-Prozent-Hürde kämpfen. Dann wird es richtig spannend!

    • gerd Antworten

      Der Durchschnittswähler in Deutschland so etwa ab Jahrgang 1950 wacht morgens auf, schaltet das Radio ein und hört, AfD = Nazipartei. Dann liest er in seiner Tageszeitung, AfD=Nazipartei. Wenn er das Morgenmagazin einschaltet schallt es ihm entgegen, AfD=Nazipartei. Das ganze wiederholt sich beim Mittagsmagazin. Abends dann in den Nachrichten, AfD = Nazipartei. Mit diesem einfach gestricktem politischem Weltbild legt er sich schlafen und hat Alpträume von der AfD. Am Wahltag wählt er dann die CDU mit dem ruhigen Gewissen, wenigstens nicht die Grünen gewählt zu haben. Aus diesem Alptraum wird er erwachen wenn es zu spät ist.

      • H.K. Antworten

        Ihre These wird vermutlich dadurch gestützt, daß die Unter-30-Jährigen eher weniger Öffentlich Rechtliche konsumieren.

        „Die da“ haben in dieser Altersgruppe um ZEHN % zugelegt. Bei den Grün*/-/:/_/•/Innen waren es ACHTZEHN % – allerdings in die andere Richtung …

        Mir scheint, bei den „Guten“ hat man sich bzgl. des Wahlverhaltens der jungen „Neuwähler“ gründlich verschätzt .

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