Es gibt heutzutage drei Wege für einen Publizisten in Deutschland, einen ordentlichen Shitstorm auszulösen. Der sicherste ist zu schreiben, dass all die vielen Islamisten, die zu Fuß oder in Schlauchbooten zu uns gekommen sind, eine kulturelle Bereicherung sind. Der zweite ist zu schreiben, was für eine wunderbare Bundeskanzlerin wir haben, die uns sicher durch alle Stürme lenkt und sogar die CDU modernisiert. Und das dritte ist zu schreiben, dass der Euro eine nach wie vor stabile Währung ist.

Die Gefahr, dass ich die ersten beiden steilen Thesen noch jemals schreiben würde, besteht nicht. Mit Angela Merkel, der Modernisierung und ihrer fahrlässigen Flüchtlingspolitik bin ich persönlich durch. Aber der Euro?

Ich weiß noch genau, es war im Jahr 2008, als mir von vielen Facebook-Freunden vorhergesagt wurde, die Abschaffung der europäischen Gemeinschaftswährung stehe nun kurz bevor. Angeblich seien nachts LKWs in Deutschland unterwegs, die frisch gedruckte DM-Scheine zu den Sparkassenfillialen bringen. Das wisse man ganz genau, und ich – Schreiberling – habe ja von Wirtschaft und Finanzen sowieso keine Ahnung. In dem Jahr schloß ich eine Wette mit einem älteren Freund, der prognostizierte, den Euro werde es innerhalb von fünf Jahren nicht mehr geben. Wir gaben uns die Hand drauf und vereinbarten eine Flasche Champagner, die der Gewinner vom anderen nach fünf Jahren bekommen werde. Den Euro gibt es noch, den Champagner habe ich nie bekommen. Wahrscheinlich konnte er keine Flasche mit seinen alten DM-Scheinen erwerben.

Nun, den Euro gibt es noch, ich habe heute Morgen meine Brötchen damit bezahlt, so wie ich vergangene Woche in Belgien Brötchen mit dem Euro bezahlt und vorgestern in den Niederlanden eine Tankfüllung mit dem Euro bezahlt habe. Gestern kletterte die Gemeinschaftswährung über die Marke von 1,20 Dollar für einen Euro und damit auf den höchsten Wert seit Januar 2015.

Nun warte ich auf die nächsten Prognosen. Zwei Leser schrieben mir schon, im September werde die letzte halbwegs freie Wahl in Deutschland stattfinden. Sie wüssten das ganz sicher…

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Dieser Artikel wurde 20 mal kommentiert

  1. Leyh Antworten

    Hallo Herr Kelle,
    Was ist in unserer heutigen Zeit Sicher?
    Norbert Blühm sagte einst: Die Rente ist Sicher! Ist die Rente Sicher wenn 40% der Rentner unter dem Existensminimum leben?
    Ist der € Sicher wenn die Notenbank in Person von Mario Draghi diese, meiner Meinung nach,verfehlte Zinspolitik betreibt. Das Wir (das Volk) bald Strafzinsen zahlen werden?

    • Peter Georg Antworten

      Der Blüm sagte „UNSERE“ Rente ist sicher!!! Kapiert??? Der meinte sich und die anderen Polit-Clowns ???

      Sonst hätte er „EURE“ Rente ist sicher sagen müssen …

  2. Klaus Beck Antworten

    Ja, das mit den „freien Wahlen“ haben Sie mir wohl nicht verziehen 😉

    Für Ihr Brötchen, lieber Herr Kelle, haben Sie heute, je nach Anbieter und Qualität, wahrscheinlich zwischen 15 und 50 Cent gezahlt. Ungeachtet dessen, dass sie ein Brötchen in den 60er-Jahren für 5 Pfennig – also für ein 1/7 bis 1/20 des heutigen Verkaufspreises – erwerben konnten, zögert in der EU vor allem Deutschland insofern täglich den schon lange stattgefundenen Untergang des „Euro“ hinaus, als die Lebensversicherungen, Renten und Sozialleistungen der Bürger eingedampft werden, aber auch der Verzicht der Gesellschaft auf alle möglichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Gesundheitssystem und Sicherheit mit erstaunlicher Indolenz in Kauf genommen werden.

    Jedes Unternehmen, das auf solche Weise seine marode Bilanz verschleiert, wird wegen Insolvenzverschleppung zur Rechenschaft und unter „Standing ovations“ der Bevölkerung durch die Pressegülle gezogen.

    Ich erinnere mich noch gut an Zeiten in Italien, als man als Wechselgeld schon an der Mautstelle irgendwelche Brief- und Telefonmarken, Bonbons oder selbstgeschriebene Gutscheine bekam. Das Land war pleite, die Lira gab es noch.
    Und ich erinnere mich an die Besuche in der DDR, wo man von seiner Verwandtschaft und in Geschäften ganz offen nach Devisen gefragt wurde. Die DDR-Mark gab es noch, aber das Land war wirtschaftlich nicht mehr zu halten.

    Was soll das also für ein Maßstab für den wirtschaftlichen Zustand eines Landes sein, den man an der bloßen Existenz einer Währung festmacht?
    Der Euro ist quasi hirntot („Aber, Herr Doktor, er atmet doch noch und das Herz schlägt doch auch noch!“), lieber Herr Kelle, aber er wird mit raffinierten intensivmedizinischen Tricks so lange am Leben erhalten, bis irgendein Global Player seine Chance gekommen sieht, sich selbst durch das Zerfleddern des „Euro“ zu bereichern. Und das kann morgen, das kann aber auch erst in zehn Jahren sein, was aber nichts an der Prognose ändert.

    BTW: Um bei den Brötchen zu bleiben: In welchen Berufen (oder besser: welchen Tätigkeitsfeldern) verdient heute der Bürger dieses Landes das 7- bis 20-fache im Vergleich zu den 60er-Jahren?

    • Klaus Kelle Antworten

      Ich verzeihe Ihnen nahezu alles, lieber Herr Beck.

      Bei der Bewertung der Preissteigerungen sollten Sie allerdings nicht außer acht lassen, wie stark auch die Einkommen gestiegen sind….

      • H. Urbahn Antworten

        Seit Einführung des Euro real und netto ist der Anstieg der Einkommen der Normalbürger, sprich arbeitende Bevölkerung, nahe bei Null.

  3. Tina Hansen Antworten

    Lieber Herr Kelle, haben Sie vielen Dank für Ihren erfrischend bodenständigen Pragmatismus! Ob und wie es mit dem Euro weitergeht, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Diskussion um die „letzten freien Wahlen“ führte ich jedoch gerade vorgestern wieder einmal mit einer Freundin – zunehmend genervt von so viel Fatalismus und Zukunftsangst. Vielleicht sollte ich mit ihr um eine Flasche Champagner wetten… dass wir auch in vier Jahren wieder völlig freiwillig Frau Merkel wählen werden. Der entsprechende Vorstoß von Herrn Seehofer liegt ja seit einigen Tagen auf dem Tisch 😉

  4. S v B Antworten

    O mei, an irgend etwas muss man sich dieser Tage ja noch aufrichten dürfen. Nun soll uns also unser guter Euro Halt geben. Ob diese Währung auf längere Sicht aber dazu taugt, den Fels in der Brandung zu mimen, wage ich zu bezweifeln. Es mag den Euro in einigen Jahren/Jahrzehnten nominal noch geben, aber welche Kaufkraft von ihm dereinst noch ausgehen wird, steht in den Sternen. Davon, dass weite Teile der Bevölkerung durch das europäische Finanzgebaren zutiefst verunsichert sind, zeugt schließlich die fast panische Flucht der Anleger in Immobilien und andere Sachwerte.

    Die anderen großen Themen haben die Europroblematik zur Zeit lediglich überlagert. Diese wird uns allerdings über kurz oder lang einholen und dann gebührend beschäftigen. Die schier unglaublichen Schuldenberge, die sich im Laufe der vergangenen Jahre in schwindelerregende Höhen aufgetürmt haben, sind auf „normalem“ volkswirtschaftlichen Weg ganz einfach nicht mehr zu nivellieren. Das dürfte unbestreitbar sein. Also dürfen wir uns jetzt schon mal auf einen irgendwann fällig werdenden radikal-feschen haircut einstellen. Dass dieser einen Anlass zum Frohlocken bieten wird, kann ich nicht glauben. Was den Euro anbelangt, ist, gerade für Deutschland, die Messe noch lange nicht gelesen, Herr Kelle. Aber eins nach dem anderen; jetzt wollen wir erst mal alle brav wählen gehen.

  5. Tina Hansen Antworten

    Man kann in dieser politischen Gesamtsituation eigentlich nur noch in Sarkasmus fliehen. Hat es ausser mir eigentlich noch jemanden umgehauen, dass Horst Seehofer Angela Merkel letzten Samstag als Kanzlerkandidatin für 2021 empfohlen hat? Mit der Begründung, sie sei im besten Alter, hoch angesehen im Ausland und mache tolle Politik.

    • Leyh Antworten

      Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – seinesgleichen (ver-)schonen, Zusammenhalten von Berufs-, Standesgenossen, Gleichgesinnten, kein gegenseitiges Anschwärzen
      Vermutlich stammt das Sprichwort tatsächlich von den Krähen. Sie sind klug, gelehrig und treffsicher. Wer ihnen in die Quere kommt, dem hacken sie mit ihren Schnäbeln auf die Augen, nur untereinander zielen sie zwar auf den Kopf, aber nicht auf die Augen. Zudem helfen sie sich ähnlich wie Menschen oder bestimmte Affenarten gegenseitig bei der Nahrungsbeschaffung. Hackt also eine „Krähe“ der anderen kein Auge aus, gehören sie zur gleichen (Berufs-)Gruppe und halten zusammen und unterstützen sich gegenseitig.

    • S v B Antworten

      Von Herrn Dreh…, sorry, Seehofer darf man inzwischen wohl alles erwarten, liebe Tina Hansen. Ich finde es geradezu beängstigend, dass sich etliche der bundesdeutschen (Spitzen-)Politiker, welche durchaus gute Chancen haben, (erneut) in die Regierungsverantwortung hineingewählt zu werden, bisweilen so gerieren, als seien sie von allen guten Geistern verlassen.

      Dass Frau Merkel allerdings die kommende Legislaturperiode nochmals so pomadig und dickfellig überstehen würde, um möglicherweise wiederum als BK-Kandidatin aufgestellt zu werden, kann ich nicht glauben. Unser besonderes Mitleid hätte in diesem Falle wohl den unzähligen gründlich merkelsatten Bürgern unseres Landes zu gelten, weil diese für weitere vier Jahre gezwungen wären, ihrem Unmut mittels anhaltender Sprechchöre („Merkel muss weg!“, „Hau ab!“) Luft zu machen. Die jetzt schon geschundenen Stimmbänder unserer Sprachrohre würden dann vermutlich endgültig schlapp machen.

    • Klaus Beck Antworten

      Richtig erkannt.
      Für viele Menschen der letzte Strohhalm vor der bitteren Selbsterkenntnis im Sinne einer regressiv geprägten Verleugnung.

    • S v B Antworten

      Liegt durchaus im Bereich des Möglichen, Colorado 07. Ist man offenbar doch entschlossen, unser wundervolles Europa (der ebenso wundervollen Nationen) derzeit auf allen möglichen(!) Altären – auch auf dem des Heiligen Euro – zu opfern. Wie unsäglich schade um den ganzen Kontinent.

  6. H. Urbahn Antworten

    Achade Herr kelle, daß der Artikel über das TV-Duell (gemeint ist vermutlich Merkel gegen Schulz) nicht erschienen ist. Es wäre bestimmt erfrischend gewesen, Ihre Ansicht darüber zu lesen.

      • H. Urbahn Antworten

        Lieber Herr Kelle,
        bei mir steht unter „ein TV-Duell gähn“ die gleiche Adresse wie bei dem Beitrag davor nämlich über den EURO

        • Klaus Kelle Antworten

          Uuupppss, da haben Sie recht – mein Fehler. Aber wenn Sie rechts in die Tagebuch-Leiste gehen (unter der Werbung für mein Buch), dann finden Sie den Text! Entschuldigung für den Fehler!

  7. Walter Lerche Antworten

    Dass es momentan um den Euro ruhig geworden ist, ist gewiss kein Zufall und bedeutet nicht unbedingt Gutes, so wie Sie das schreiben, lieber Herr Kelle.
    Wer ist denn der größte Einzahler (=Zahlmeister) in den Euro-Topf, aus dem so viele Länder nehmen? Liegt es nicht nahe, dass man auf die September-Bundestagswahl Rücksicht nimmt, damit der große Zahlmeister danach weiterhin gewogen bleibt? Wenn die Leute aus Protest über 50% die AfD wählen würden, weil das Ausmaß der desolaten Finanzsituation in Südeuropa und die unverschämte Plünderung und Entwertung unserer Altersvorsorge und Lebensleistung die Leute auf die Palme bringen bringt, das zwingt die Profiteure dieser Umverteilung zur Disziplin.
    Gibt es neue Informationen über Reformen und Sanierungen des südeuropäischen Länder, wurde die Ursachen abgestellt?
    Das ist so, als wenn man 3 Minuten die Luft anhalten muss: Wie groß wird danach wohl der erste Atemzug werden?
    Ich vermute, dass nach der Bundestagswahl die Zügel losgelassen werden und es ohne Limit kein Halten von Umverteilung zu unserem Nachteil geben wird.
    Dies wird begleitet werden von der Einschränkung von Meinungsfreiheit und digitaler Transparenz von Privatsspähre. Der Anfang wurde bereits gemacht, Schrauben zum dran drehen gibt es bereits.
    Somit wünsche ich ein schönes Wochenende und lassen Sie sich Ihre Brötchen vom Bäcker gut schmecken. Ich tue das auch.

  8. Dr.-Ing Lohr Antworten

    Ich kann mir das schlicht nicht vorstellen: Je mehr €-Scheine Draghi drucken läßt, umso stabiler und „härter“ wird diese Währung. Früher wurden Lira, FF, Peseta und Drachme in schöner Regelmäßigkeit abgewertet. Heute kauft Draghi die Anleihen diese Länder auf und verteilt sie an die Bundesbank. Oder warnt Prof. Sinn etwa nicht?

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