Während ich diesen ersten Satz schreibe, gehen bereits die ersten Postings und Mails von Lesern ein, die sich empören, dass wir über die Siegerin der Casting-Show „Germany’s next Topmodel“ in unserer Online-Zeitung TheGermanZ berichten. Wie kann sich ein intelligentes Medium für das Bürgertum mit derartigem Quatsch beschäftigen? Was für eine Zumutung, Leser, die konservativ und liberal ticken, sich für Politik, Wirtschaft und Glauben interessieren, mit so etwas zu behelligen?

Wir tun das, weil TheGermanZ eine Tageszeitung ist, die sich mit Relevantem beschäftigt. Relevantem? Spinnt der Kelle jetzt völlig?

Millionen unserer Kinder gucken derartige Castingshows. Als vor vielen Jahren RTL zum ersten Mal und dann immer wieder Deutschlands „Superstar“ suchte, der nie einer wurde, schaute bei uns die ganze Familie zu. Ich auch. Die Kinder riefen sogar beim „Voting“ immer wieder an, um ihre Favoriten nach vorn zu bringen und die Kassen beim Sender klingeln zu lassen.

Warum ist das schlimmer, dümmer, niveauloser als damals, als unsere Eltern bei „Einer wird gewinnen“ oder dem heute ESC genannten europäischen Schlagerwettbewerb mitfieberten? Für Abba oder Katja Ebstein anriefen? Klar, heute ist alles kommerzialisiert. Geschenkt, Kommerz treibt unsere Wirtschaft voran. Das Geld ist ja nicht weg, es hat nur jemand anders.

Aber ernsthaft: Warum muss man als Konservativer alles grundsätzlich doof finden, was neu ist? Nur, weil es neu ist? Unsere älteste Tochter sitzt jetzt gerade bei der mündlichen Abi-Prüfung ihren Lehrern gegenüber. Sie ist eine wirklich gute Schülerin, vor den Abi-Prüfungen (wahrscheinlich würde sie es Challenge nennen) mit 1,5 vorbenotet. Sie will ab Herbst studieren und schaut sich schon seit Monaten nach einer geeigneten Universität um, wo Leistung wichtig ist, Beziehungen zu anderen Universitäten weltweit gepflegt werden. Und einmal in der Woche übernimmt sie unser Wohnzimmer, sitzt mit ihren besten Freundinnen vor der Glotze, isst mit ihnen Nachos und Guacamole. und guckt Heidi Klum und ihren Hühnern bei der Arbeit zu. Na und? Was sagt uns das über sie aus?

Zeiten und Trends verändern sich, Vieles ist besser geworden. Früher war alles besser? Manches sicherlich, aber auch die Generation Heidi Klum wird ihren Weg machen. Daran habe ich keinen Zweifel.

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Dieser Artikel wurde 6 mal kommentiert

  1. S v B Antworten

    Ist ja schön und gut, lieber Herr Kelle. Auch ich muss zu meiner Schande(???) gestehen, dass ich seinerzeit die ersten DSDS-Folgen mit recht lebhaftem Interesse verfolgt habe. Nur, und jetzt kommt’s, man kann doch nicht abstreiten, dass in den vergangenen Jahren das Niveau vieler Casting-Shows bis ins Unterirdische abgesackt ist. Und weil das so ist, habe ich mich aus der o. g. Show nach wenigen Jahren ausgeklinkt. Nicht, weil ich mich zu alt für die musikalischen Darbietungen junger Leute gefühlt habe, sondern weil sowohl die Qualität mancher Teilnehmer als auch der Umgangston zwischen den Beteiligten – um es neutral auszudrücken – meine mentale Schmerzgrenze überschritten hatte. Meine Leidensfähigkeit war schlichtweg erschöpft.

    Es ist erfreulich, dass Ihre Tochter trotz des „Konsums“ derartiger Casting-Shows die Bodenhaftung nicht verloren hat. Allerdings hat sich die Zahl der jungen Menschen, die – meist ohne jeglichen Erfolg – den Laufsteg-Schönheiten oder Bühnenstars beinahe um jeden Preis nacheifern wollen deutlich erhöht. Es fällt den Erziehungsberechtigten (Eltern) von Betroffenen meist sehr schwer, diesen vom Leben Gebeutelten und Frustrierten wieder die nötige Erdung zu verschaffen, sprich, sie dazu zu bringen, ihre hoch fliegenden Aspirationen endlich zu begraben und statt dessen einen „stinknormalen“ Berufsweg einzuschlagen. Einen Berufsweg, der mit Prominenz, Glamour, Scheinwerferlicht, frenetischem Applaus und gaaanz viel Kohle so gar nichts gemein hat. Von 8 bis 5? Nein danke!

    Zudem sollte erwähnt werden, dass sich junge Mädchen und Frauen heute mit einer viel höheren Zahl schöner, gestylter und somit nachahmenswerter Geschlechtsgenossinnen gegenüber sehen als in früheren Zeiten. Die Bewerbung von fast allen Produkten durch junge, gertenschlanke, makellos schöne Models leistet ganze Arbeit. Äußerlichkeiten genießen – wohl mehr als je zuvor – einen völlig überzogenen Stellenwert. Dies mündet zwangsläufig in eine geradezu Besorgnis erregende Verbreitung narzisstischer Verhaltensmuster. „Lieschen Müller“ kommt da nicht gut weg und muss an sich und der Welt verzweifeln.

  2. Klaus Beck Antworten

    Wenn die Sozialisation und Individualisation der eigenen Kinder von einem intellektuell, sozial und emotional gesunden „Elternhaus“ begleitet wird, lieber Herr Kelle, können Heranwachsende alles ohne Schaden anschauen, von DSDS über GTNM bis Frauentausch im Fernsehen und vom Gangbang-Porno bis zum Snuff-Schocker im Internet.
    Aber wieviele gesunde „Elternhäuser“ gibt heute noch?

  3. colorado 07 Antworten

    Nein, Herr Beck, Sie überschätzen die „Erziehungsmacht“ der Eltern und unterschätzen die Macht der mehr oder weniger geheimen „Miterzieher“.

    • Klaus Beck Antworten

      Die „Macht der geheimen Miterzieher“ klingt mir zu sehr nach der bei der Justiz gebräuchlichen Suche nach unheilvollen Kontextfaktoren bei der Straftat. Diese findet man bei jedem Menschen, klar.

      Vielleicht war mein erstes Statement zu absolut fomuliert.
      Aber die Resilienzforschung zeigt doch recht deutlich, dass bei ausreichend „Ressourcen an Bord“ zumindest eine gute Chance besteht, dass weniger schief geht, wenn man den zwangsläufig das Leben begleitenden Miterziehern über den Weg läuft.
      Bildung und Erziehung sind aus meiner Sicht solche Ressourcen.

  4. colorado 07 Antworten

    Sehr geehrter Herr Beck,
    so kann ich Ihre Ansicht nachvollziehen. Die Klarstellung war aber doch nötig.

  5. labrador12 Antworten

    Lieber Herr Beck, Lieb. colorado 07

    1) ich denke wir vergessen einen wesentlichen Punkt: Kinder sind sehr verschieden, und damit auch ihre Anfälligkeit für externe Einflüsse. Was das eine Kind völlig unbeeinflusst lässt, wirf ein anderes vielleicht aus der Bahn. Gerade wenn man sich die Forschung an eineiigen Zwillingen (die durch Verlust der Eltern getrennt und sehr unterschiedlich aufgewachsen sind) vor Augen hält, wird man den Einfluss von Veranlagung nicht verleugnen können. Veranlagung festzustellen erfordert Zeit und Nähe. Das gelingt also eher Eltern, interessierten Großeltern, manchen Lehrern wirklich aufmerksamen Nachbarn in einer Siedlung (eher nicht im Hochhaus) …

    2) Eine Gesellschaft soll immer die Schwächeren schützen. Dabei kommt es aber zu Spannungen:
    – schützt die Gesellschaft wirklich alle (also auch den Schwächsten) so erstarrt sie unter der Last der vielen Regeln
    – ist der Schutz so schwach, dass nur die „moralisch talentiertesten“ auf dem „einigermaßen geraden Pfad“ bleiben, versinkt die Gesellschaft im Chaos.

    Um diese Grenze zwischen Erstarren und Chaos zu erahnen, muss man die Existenz BEIDER Gefahren anerkennen. Ansonsten gleitet man bloß in das Gegenteil der gesehenen Gefahr ab.

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