Vor Jahren las ich ein interessantes Buch eines Autors aus Köln über die Deutschen, denen es so gut geht, die aber zugleich immer schlechte Laune haben, weil sie nur Negatives an jeder Ecke sehen (wollen). Leider weiß ich den Namen des Autors und des Buches nicht mehr, aber eine Anekdote daraus ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben.

Er erzählt von einer Fahrt im ICE, mit einem Kaffee bequem im Zug, schwebte mit 230 km/h seinen Ziel entgegen, alles wunderbar. Und dann die Durchsage, dass es voraussichtlich zehn Minuten Verspätung wegen irgendeiner Störung geben werde. In Sekunden schwoll im ganzen Wagen die Lautstärke an, manche lachen, alle haben eine Meinung. Das ist ja wieder typisch Deutsche Bahn. Völlig unfähig, Millionengehälter im Vorstand kassieren, aber zu doof, für pünktliche Züge zu sorgen und so weiter. Ja, so sind wir Deutschen… Dabei ist doch alles gut organisiert in diesem Land, viele Dinge funktionieren reibungslos, werden Sie jetzt denken. Immer diese Meckerer…

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich…im ICE … Richtung Süddeutschland. Meine Reise begann an einem kleinen Bahnhof am Niederrhein. Der Regionalzug nach Düsseldorf fährt um 6.37 Uhr. So die Legende. Auf der Anzeigetafel ist zu lesen: Heute fünf Minuten später. Nach 14 Minuten Verspätung kommt die Bahn, und ich habe tatsächlich noch genug Zeit, zum Gleis 16 zu hasten, wo mein ICE nach München starten soll. Auf der Anzeigetafel der Hinweis, dass die Wagen 21 bis 29 heute in einer anderen Reihenfolge zu suchen seien. Ich stehe bei „B“ und freue mich auf Wagen 23, doch der ist jetzt bei „F“. Einmal also den ganzen Bahnsteig lang, Ich schaffe das!

Bei „F“ angekommen, leider nicht mehr überdacht und es regnet, eine neue Nachricht auf der Anzeigetafel: Der Zug, MEIN Zug, fährt heute ausnahmsweise von Gleis 10. Völkerwanderung, Hunderte starten unverzüglich im leichten Trab die Treppen runter, auf zum neuen Gleis. Als wir außer Puste ankommen, fährt gerade der ICE nach München ein…auf Gleis 9. Das sei heute, leider, leider „ausnahmsweise“ mal so.

Ich sitze jetzt seit eineinhalb Stunden im ICE, Kaffee gab’s noch nicht. „Wir hatten früher auch keinen Kaffee im Zug“, würde jetzt sicher ein Pegida-Anhänger sagen und damit recht haben. Früher war ja sowieso alles besser. Aber wissen Sie, welcher Gedanke mir eben durch den Kopf schoss? Vielleicht ist das gar nicht unorganisiert, dieses Land und diese Deutsche Bahn. Vielleicht sitzen da morgens ein paar fröhliche Bahn-Bedienstete und haben einen Heidenspaß, uns alle auf die Schippe zu nehmen. Wer schafft es heute, wie viele Fahrgäste kreuz und quer durch den Hauptbahnhof zu jagen? Wer organisiert einen Schnellzug innerhalb von sechs Minuten von Gleis 16 auf Gleis 10 um…und dann kurz vor Einfahrt nochmal auf Gleis 9? Ja, ich glaube, die Jungs und Mädels in der Leitzentrale hatten mächtig Spaß heute Morgen.

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Dieser Artikel wurde 6 mal kommentiert

  1. labrador12 Antworten

    Das hält Deutschland (oder zumindest die Bahnfahrer) fit 🙂 –

    und gleichzeitig verhindert es bei Vielen (nicht bei Ihnen!) das Nachdenken über noch wichtigere Dinge …

  2. PeWi Antworten

    Etwas sinnfrei – oder? Ich bin nicht für Pegida, aber dieser Pegida-Hinweis ist genauso deplaziert, wie das dauernde Trump-Bashing im Mainstream. Übrigens gab es auch damals Kaffee in Schnellzügen. Es ist eigentlich eine Schande, was die Bahn bietet. Man schaue nach Korea, nach Japan. DORT wird Bahn gefahren. Der Bahnsteig hat Geländer, die nur an den entsprechenden Zugeingängen unterbrochen sind. Der Zug hält punktgenau an diesen Geländerdurchgängen und auch genau nach Fahrplan. DAS ist Bahnfahren.

  3. Uwe_aus_DO Antworten

    Ich könnte jetzt aus jahrelanger Erfahrung als Bahn-Pendler und mit Hintergrundwissen meien Vermutungen äußern, WARUM das passiert ist – aber das würde die meisten Leser dieses Blogs wahrscheinlich nicht interessieren.

    Darum nur dies: Natürlich können bei der Bahn -wie überall- Pannen mit ausfallenden Fahrzeugen und daraus folgenden Änderungen im Betriebsablauf passieren. Das Problem ist, wie die Bahn damit umgeht und sie kommuniziert. Das ist seit mindestens 30 Jahren (so lang schon mußte ich das erleben) grottig.

    Die Bahn müßte wesentlich öfter die Brille des Fahrgastes (Kunden!) aufsetzen – aber dazu müßte ihr (Bahnhofs- und Strecken-) Monopol weg…

  4. Ludwig Fent Antworten

    Habe über den Bericht ein wenig geschmunzelt. Vielleicht sollte man tatsächlich manche seltsamen Dinge, solange sie nicht gefährliche Auswirkungen haben, mit mehr Humor nehmen.

    Es erinnert mich an die oft skurrilen und seltsam anmutenden Geschwindigkeits-begrenzungen oben auf den Verkehrsleitsystemen auf Autobahnen. Da habe sehr oft den Verdacht, dass sich die kleinen Männchen einen tierischen Spass machen, die armen Autofahrer regelrecht zu verarschen.

    Plötzlich Begrenzung auf 80 kmh, bolzengerade, dreispurig, trockener Asphalt, wenig Verkehr, freie Sicht, kein Nebel o.ä.!

    Frage an Radio Eriwan: Ja – was ist denn da los? Na ja. Was soll´s?
    Ich bin überzeugt, da lacht sich irgendein Frustrierter grad gehörig in´s Fäustchen.

  5. Walter Lerche Antworten

    Herr Kelle, so wie das bei der Bahn erleben, so erlebe ich das zunehmend in mittelständischen Unternehmen. Ein Mitarbeiter solchen Unternehmens sagte mir mal: „Wenn Sie wissen wollen, wie Deutschland funktioniert, dann sehen Sie unseren Betrieb!“
    Ich werde täglich an diesen Satz erinnert und er lässt sich auf fast alle Bereiche übertragen. Eigentlich muss es ja so sein, denn die Generation der heutigen Manager ist ähnlich gestrickt und vor allem anders als die ihrer Mütter und Väter.
    Die Bahn ist ein repräsentatives Beispiel für den Zustand unseres Landes, bei dem es die Bürger auch privat hautnah erleben. Sonst in anderen Bereichen wie Wirtschaft und Politik kriegen die Normalos das nur über die Medien mit. Na ja, und die Medien können oder wollen davon nichts mitkriegen oder sie dienen ihren Herrn.

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