GASTSPIEL Klaus-Hubert Fugger über ein Durchregieren, das es in den USA nicht gibt

Die Besorgnis um den Ausgang der Präsidentschaftswahlen ist nicht unberechtigt. Dennoch ist die deutsche Brille auf die USA durch viele Missverständnisse geprägt. Wenn man in Deutschland nach den beliebtesten drei US-Präsidenten fragen würde, würden John F. Kennedy oder Barack Obama die Hitliste anführen und wohl der Klimaschützer und unterlegene Kandidat, Vizepräsident Al Gore, den dritten Platz belegen. In den USA selbst würde hingegen der „Sieger des Kalten Krieges“, Ronald Reagan, sicher auf dem Siegertreppchen stehen. In Deutschland ist Ronald Reagan, obwohl er den Weg zur Deutschen Einheit wesentlich geebnet hat, bis heute einer der unbeliebtesten Präsidenten. Diese Bewertungen sagen viel über das deutsche Amerika-Bild, das bis heute hochgradig polarisiert ist. Warum ticken die USA so anders? Fünf Antworten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Der Staat wird nicht als „gottgegebener“ Wert an sich, sondern nur über seine notwendigen Funktionen anerkannt. Wenn es je eine mit Europa vergleichbare Staatlichkeit gab, dann allenfalls als Kolonialverwaltung an der Ostküste. In allen neu erschlossenen Bundesstaaten bildeten sich staatliche Institutionen von unten. An erster Stelle stand die Herstellung von Recht und Ordnung durch lokale Wahlen der Richter und Sheriffs. Dieses Verständnis setzt sich fort bis heute als Grund-DNA in allen Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, der sozialen Sicherung, in der Steuerpolitik – und im Waffenrecht.

Die USA sind „die“ Einwanderer-Nation. Das ist bis heute Kern ihres nationalen Mythos. Egal ob legal eingewanderter Computerspezialist aus Indien oder illegaler Gärtner aus Mexiko – beide wollen sich den Tellerwäscher-Traum aus eigenem Antrieb erfüllen. Alle Neu-Amerikaner müssen sich auf sich selbst besinnen, erhalten keine Rund-um-sorglos-Pakete an Sozialleistungen wie in Westeuropa. Auch die Demokraten, die eher sozialdemokratische Konzepte vertreten, würden kaum einen Wohlfahrtsstaat einführen. Selbst die neue Krankenversicherung für jedermann, kurz „ObamaCare“, enthält so viele Komponenten der Selbstbeteiligung und des Wettbewerbs, dass sie die Mehrheit der Deutschen ablehnen würde. Und: Minderheiten tendieren anfangs zu den Demokraten, ihre Aufsteiger in der zweiten oder dritten Generation wählen schon häufig lieber Republikaner.

Die US-Bürger, einschließlich der politischen Eliten, versammeln sich in Krisenzeiten immer um die Fahne und um diejenigen, die an der Spitze Verantwortung tragen. Dieser Patriotismus sichert auch Soldaten und insbesondere Gefallenen eine große Solidarität. Donald Trump spürte dies nach seinen unflätigen Bemerkungen gegen die Eltern eines gefallenen muslimischen Leutnants: Seine Umfragen stürzten danach deutlich ab. Aber Gnade Gott einem US-Präsidenten, der US-Soldaten nach dem Eindruck der Mehrheit „verheizt“ wie Jimmy Carter bei einem Befreiungsversuch der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran. Danach gewann Ronald Reagan in einem „landslide“.

Die Frage der Religion: Wie ist es möglich, dass in einem verfassungsrechtlich so stark auf Trennung von Staat und Kirche bedachten Land das öffentliche Bekenntnis in der Politik eine so große Rolle spielt? Von den „Pilgrim Fathers“ an war das Land Ziel von Glaubensflüchtlingen, die erst hier ihren Glauben leben konnten. Deshalb muss der Staat neutral gegenüber allen Denominationen sein. Die jeweiligen Haltungen der Kandidaten zu Themen wie Abtreibung sind gleichzeitig große Einflussfaktoren. Für uns unverständlich, aber aktuell mit Blick auf den Supreme Court ein entscheidender Grund für viele christlich-konservative Wähler noch zu Trump zu halten, der durch sein Vorschlagsrecht in den kommenden vier Jahren die liberale Mehrheit im Verfassungsgericht drehen könnte.

Starke Institutionen balancieren sich aus: Die Haushaltsblockaden der republikanischen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses gegen die Administration Obama oder lange Berufungsverfahren für Minister, Richter und Botschafter, die Kandidatenvorschläge verschiedener Präsidenten immer wieder zu Fall brachten, belegen einen starken Parlamentarismus. Kein US-Präsident kann ohne oder gar dauerhaft gegen Senat und Repräsentantenhaus regieren. Und die Verpflichtung gegenüber dem Heimatstaat und der dortigen Basis ist mit Blick auf die reine Persönlichkeitswahl stärker als gegenüber der Parteiräson und der Fraktionsführung in Washington.

Wie auch immer die Präsidentschaftswahl ausgeht, die verbreitete Sorge, dass ein Präsident „durchregieren“ könnte, ist unbegründet. Die fünf genannten Unterschiede zu Europa sind gleichzeitig entscheidende Gründe, weshalb sich die USA nicht prinzipiell in eine andere Richtung drehen lassen. Europa muss sich jedoch zukünftig stärker mit der Frage beschäftigen und ernsthafte Sorgen bereiten: Wie reagiert die restliche, westliche Welt darauf, dass die USA für weniger Freihandel – wie beide Präsidentschaftskandidaten – eintreten oder sich weltweit – weil sie verstärkt eigene Energiequellen erschließen – immer weniger engagieren?

Der Text ist auf der Seite TREND des Wirtschaftsrates der CDU e.V. erschienen:

http://www.trend-zeitschrift.de/wirtschaftsrat.nsf/id/usa-durchregieren-nicht-moeglich-trend?open&vip=1

Der gelernte Journalist Klaus-Hubert Fugger, 50, ist Geschäftsführer Kommunikation des Wirtschaftsrates und „bekennender Atlantiker“.

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Dieser Artikel wurde 3 mal kommentiert

  1. Andreas Antworten

    Die Kommentierung des US Präsidentschaftswahlkampfes in der hiesigen Medienlandschaft lehrt mehr über diese als über die Kandidaten: Aufgeblasene Popanze, von der eigenen Wichtigkeit trunken, jeden journalistischen Ethos entbehrend, Auftragsschreiberlinge, Anchormandarsteller, Gratismutige.

    Überflüssig.

  2. Walter Lerche Antworten

    Ich stelle mir vor, wie eine Rot, Roooot, Grüne Bundesregierung künftig mit den Interessen unseres besten Freundes und Verbündeten unter Führung von Herrn Trump oder wem auch immer umgehen werden.
    Und wenn Trump dann anordnet, mit Russland endlich wieder korret und partnerschaftlich umzugehen, dann wird unser Berliner Theaterstadl für gute Unterhaltung sorgen.

    • Klaus Kelle Antworten

      Bei allem Respekt, lieber Herr Lerche, Trump wird gar nicht Präsident, und deshalb wird es auch keine Unterwerfungsgesten gegenüber dem Kreml geben.

      Beste Grüße,

      Klaus Kelle

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