Im Altersheim die große Liebe getötet – eine Geschichte, die kaum zu ertragen ist
Es gibt so Fälle, die lassen auch einen Journalisten nicht los, der nahezu alles schon gesehen zu haben glaubt.
In Lüneburg wurde heute ein Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, der am Muttertag des vergangenen Jahres seine Frau im Altenheim erstochen hat. Der Täter ist 87 Jahre alt, so wie seine Frau war, als sie starb. Ich bin sicher, bis zu diesem Satz wird die Mehrheit von Ihnen empört sein, dass eine derart brutale Tat nicht mit einer hohen Haftstrafe sanktioniert wird, auch wenn der Täter so alt und dement ist. Und unser Rechtsstaat zerrt auch kleine Räder im Betrieb der einstigen Nazi-Vernichtungsmaschine bis heute vor Gericht, Sekretärinnen und Buchhalter.
Aber in diesem Fall lohnt es sich, die Geschichte genauer zu betrachten.
Ein glückliches Ehepaar und aus heiterem Himmel stürzt die Frau bei einer Fahrradtour. Sie stürzt schwer, ihr Leben hängt am seidenen Faden, sie liegt im Koma, niemand kann voraussagen, ob sie daraus jemals wieder erwachen wird. Und ob sie dann überhaupt noch leben möchte als der Pflegefall, der sie fortan sein wird.
Mehr als 40 Jahre lang pflegt ihr Mann seine Frau voller Liebe und Hingabe. 40 Jahre – denken Sie einen Moment darüber nach, was das für eine lange Zeitspanne ist, in der beide ganz etwas anderes vorhatten, als ihnen das Schicksal zugewiesen hat! Warum hat Gott das zugelassen? Ja, diese Frage drängt sich auch gläubigen Christen geradezu auf. Warum diese Tragödie, warum diese beiden Menschen?
Der Mann hat alles gegeben, alles zurückgestellt für seine große Liebe. Und dann konnte er einfach nicht mehr, keine Kraft, keinen Lebensmut. Am Muttertag 2020 nimmt er im Altenheim ein Messer und tötet die geliebte Frau, für die er selbst sein ganzes Leben eingesetzt hat. Er versucht danach, seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten, aber die Kraft reicht nicht mehr.
In Lüneburg fand heute der Richter Franz Kompisch die passenden Worte, sprach in seiner Begründung von einer „menschlichen Tragödie, die sich in einem Heim abgespielt“ habe. Die tote Frau lag nach der Gewalttat mit gefalteten Händen auf ihrem Bett. «Das ist kein klassischer Totschlag», sagte Kompisch. Die Tat sei von einem hochbetagten, verzweifelten Mann in einer psychischen Ausnahmesituation begangen worden.
Wer will in so einem Fall bestrafen, wer könnte es? Kurz habe ich eben daran gedacht, wie grausam das Leben für manche Menschen sein kann. Und ich habe kurz gedacht, ich würde das Hochzeitsfoto dieser beiden Menschen einmal sehen, wie sie glücklich in das Objektiv eines Fotoapparats strahlen und vom großen Glück für ein ganzes Leben träumen. Aber ganz ehrlich, ich könnte das nicht ertragen, obwohl ich diese Leute gar nicht kenne…
Ich stimme jedem einzelnen ihrer Worte zu, gehe jedoch einen Schritt weiter. Wir Menschen sind so human, dass wir unsere leidenden Haustiere im Kreise ihrer Liebsten einschläfern lassen. Wenn allerdings ein humanes Leben selbst betroffen ist, dann neigt der Deutsche dazu absolut inhuman zu agieren und selbst gegen den Willen des Betroffenen lebenserhaltende Maßnahmen zu ergreifen, wenn keine völlig juristisch einwandfreie Patientenverfügung vorliegt. Auch Menschen, die sich völlig klar artikulieren können und im Inbesitz ihrer vollen geistigen Fähigkeiten sind verweigern wir die Sterbehilfe. Ich würde im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass der betroffene Mann (ich weigere mich von einem Täter zu sprechen) sich absolut sicher war, dass seine Entscheidung zum absoluten Wohle seiner Ehepartnerin sein würde und in ihrem Sinne war. Ich mag mir in diesem Zusammenhang überhaupt nicht vorstellen, wie schmerzhaft die Ausführung für ihn selbst gewesen ist. Wir hätten als Gesellschaft niemanden jemals so verzweifeln und alleine lassen dürfen und müssen endlich umdenken lernen. In diesem Sinne, Ruhe in Frieden und hoffentlich sehen sich die beiden irgendwo irgendwann wieder.
Wenn man Ihren Gedanken nachgibt, dann gibt es kein Halten mehr.
Zwei Söhne, gut betucht, haben in Benelux? ihre Mutter töten lassen, weil die sich erlaubt hatte, eine männliche Bekanntschaft zu pflegen.
Lieber Herr Kugler,
so sehr ich den Mann in dem Bericht unseres Hausherrn bedaure, ihn sogar irgendwie zumindest ansatzweise verstehen kann, so sehr muß ich Ihnen wiederum recht geben.
Es ist ein teils unmenschlicher Spagat zwischen dem „Recht des Einzelnen“ auf ein menschenwürdiges Leben und dem damit unweigerlich zusammenhängenden Tod einerseits und dem möglichen genauen Gegenteil, dem mörderischen Mißbrauch.
Ich will und kann niemandem, der einen anderen Menschen leiden und dahinsiechen sieht, beste und altruistische Gedanken absprechen.
Aber ich möchte nicht wissen, wieviele Totenscheine ausgestellt werden, wo ein Fremdverschulden vorschnell ausgeschlossen wird, das Ganze aber als Unfall oder Selbstmord getarnter ( habgieriger ) Mord war.
„Audiatur et altera pars“, wenn ich mein „Kleines Latinum“ recht erinnere.
„Richte dein Streben dahin, dass der Name des Todes seinen Schrecken für dich verliert. Mach ihn dir durch häufiges Nachdenken vertraut, damit du, wenn es die Umstände fordern, ihm sogar entgegensehen kannst“.
Seneca
Wer denkt schon häufig über den Tod nach, dem er niemals entkommen kann? Gestern war der katholische Feiertag (!) Allerseelen, eine intensive Auseinandersetzung mit dem Tod der Lieben und dem „der aus unserer Mitte dem Verstorbenen nachfolgt.“ Da ist kein Platz mehr für Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Nein Herr Kelle, ich schreib jetzt nichts dazu!
Ich habe meine Frau, zuhause, 5 Jahre gepflegt. Sie ist nach dem 4. Schlaganfall am 25.12. 2020 eingeschlafen.
Mein herzliches Beileid nachträglich.
Starker Tobak. Da maße ich mir kein Urteil an.
Nach dem Tod meines Vaters habe ich meine Mutter, schwer parkinsonkrank, schwer depressiv und mit vielen andern Einschränkungen noch 7 Jahr im Rollstuhl geschoben. Wir haben sie illegal mit nach Kanada genommen, versorgt und gepflegt.
Obwohl wieder frisch verheiratet und mit 2 kleinen Kindern haben wir sie sogar mit zu Kindergeburtstagen genommen. Natürlich hat sie sich gefreut, aber es war nicht immer einfach und wurde zunehmend schwerer zu bewältigen. Schlimm war auch, daß wir total angebunden waren und sie sehr viel Aufmerksamkeit brauchte und Zeit nahm.
Nach ihrem Tod waren wir frei und beweglich und konnten eine lange Weltreise mit unseren Kindern machen. Dennoch trage ich die Erinnerung an sie in meinem Herzen und möchte die Zeit nicht missen. Letztlich habe ich ihr viel zu verdanken und sie war mir in vielen Dingen Vorbild.
Jetzt ist sie schon 20 Jahre nicht mehr mit uns. Und doch reden wir noch oft von ihr.
Wer hätte bestraft? Viele der Richter*innen, die vor allem. Dieser Mann hat offenbar einen (noch) menschlichen Richter gefunden. Ob das für den alten Mann gut ist, oder nicht, wer weiss. Normalerweise kann ein anderer gar nicht ermessen, was in Menschen vor sich geht in derartigen Lebenssituationen, wenn man so einen Schicksalschlag erleidet und niemand kann mit Bestimmtheit vorhersagen, wie er selbst reagieren und was er tun würde. Großen Respekt vor der Leistung dieses Mannes und seiner Selbstaufgabe, fast bis zum Tod.