Muffins statt Algebra – unsere Schulen vor den Sommerferien

Wir haben vier Kinder auf drei verschiedenen Schulen. Seit etwa zwei Wochen stehen die Zensuren fest. Und seither findet Unterricht nur noch rudimentär, wenn überhaupt statt. Wir haben auch viele befreundete Paare, die ebenfalls schulpflichtige Kinder haben. Sie alle erzählen die gleichen Erfahrungen. Einer unserer Söhne fragte in dieser Woche seine Lehrerin, ob sie wohl die siebte Stunde ausfallen lassen könne, die Klasse wolle zelten und man müsse noch Einiges vorbereiten. Es wurde, klar, genehmigt. Aus anderen Klassen höre ich von Filme gucken, Eis essen gehen, und man bringt selbstgebackene Muffins und Taccos mit Chilli-Sauce morgens in die Schule mit, denn statt Mathematik will man ein Pre-Sommer-Frühstück veranstalten. Immerhin fand auch ein Sponsorenlauf für irgendeinen wohltätigen Zweck statt.

Ich bin kein Spießer und will auch keiner sein. Wenn es um nichts mehr geht, warum sollen die Kids noch getriezt werden? Aber halt, vielleicht um etwas zu lernen? Vielleicht in einer Projektwoche, wo die Schüler gemeinsam und abseits vom Zensuren-Druck etwas Sinnvolles tun. Eine Theaterstück proben, einen Garten auf dem Schulgelände anlegen, die Welt retten…was weiß ich.

Als im Jahr 2005 Jürgen Rüttgers zum ersten Mal seit 40 Jahren für die CDU die nordrhein-westfälische Staatskanzlei eroberte, war neben der galoppierenden Verschuldung des Landes das heißeste Streitthema im Wahlkampf der Unterrichtsausfall. 2,8 Millionen Stunden fanden pro Schuljahr nicht statt. Lehrer krank ohne Vertretung, Schulkonferenzen, Fortbildung. Rüttgers und seine umtriebige Schulministerin Barbara Sommer machten Schluss damit. Für fünf Jahre, dann war schwarz-gelber Feierabend und alles wurde wieder so wie zuvor. Alles? Nein, die rot-grüne Landesregierung erhebt einfach keine Statistiken mehr über den Unterrichtsausfall an NRW-Schulen. Dann kann es auch kein schlechtes Ergebnis mehr geben…

Übrigens: Weil immer mehr Eltern in NRW ihre Kinder mit fadenscheinigen Ausreden schon vor den offiziellen Ferien aus dem Unterricht nehmen – dann sind auch Urlaubsflüge billiger – gehen die Schulbehörden rigoros gegen diese Familien vor. Eltern, die die Ferien ihrer Kinder verlängern und die Schulpflicht missachten, müssen mit einem Bußgeld rechnen. Pro Kind und Elternteil werden pro Tag 80 Euro fällig. Merke: In Nordhrein-Westfalen dürfen Schüler zwar Eis essen und zelten statt Erdkunde und Physik lernen, aber wenn sie Urlaub machen wollen, folgt direkt die Zahlungsaufforderung vom Amt.

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Dieser Artikel wurde 13 mal kommentiert

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  2. Monique Brodka Antworten

    Seit ich 1974 in Deutschland eingetroffen bin, bzw.NRW ärgere ich mich über das gesamte Schulsystem. Ich selber hatte das große Glück in den Niederlanden zur Schule zu gehen, bevor auch da ein funktionierendes system gekillt wurde. Ab 1981 hatte ich 4 mal das zweifelhafte „Vergnügen“ meine Kinder durch Schulen zu begleiten die nicht erfüllten was sie versprachen. Bis auf eine Ausnahme. Diese Phase habe ich jetzt zum Glück hinter mir gelassen. Mich graut es wenn ich an die Einschulung meiner Enkelin denke. Das was sie beschreiben stimmt haargenau. Auch ich hörte in den vergangenen Wochen nur sowas wie Eis essen und Filme schauen. Das Theater welches veranstaltet wird wenn Kinder ein Tag früher in Ferien fahren ist typisch. Viel Getue um vom eigenen verfehlen abzulenken.

  3. H. Haverkamp Antworten

    Hallo Herr Kelle,

    ich meine schon, keiner darf seinen Ferienbeginn selbst bestimmen, der ist für alle vorgegeben. Allerdings gibt es sinnvollere Tätigkeiten als Eis zu essen.

  4. Alexander Droste Antworten

    Hallo, Herr Kelle! Bravo für diesen schönen Aufsatz. Dafür bekommen Sie eine 2+ (für eine 1 hat es noch nicht gereicht, qualifiziertes Zeugnis folgt).

    Hahaha

    Mehrere Jahre war ich an Schulen tätig, die allgemein belächelt werden und über die sich lustig gemacht wird. Und siehe da, genau das, was Sie hiermit schreiben – „Vielleicht in einer Projektwoche, wo die Schüler gemeinsam und abseits vom Zensuren-Druck etwas Sinnvolles tun. Eine Theaterstück proben, einen Garten auf dem Schulgelände anlegen, die Welt retten…was weiß ich.“ – wird dort praktiziert. Und wenn es Geschichten vorzulesen gibt, dann solche mit Tiefgang, wovon die Kinder etwas für’s Leben mitnehmen können.

    Im Übrigen wird an diesen Schulen regelmäßig gefeiert, nicht nur am Ende des Schuljahres. Monatsfeier heißt das dann. Da wird gezeigt, was man im Unterricht alles gemacht hat. Man hat viel gemacht: Musik, Singen, Rezitieren, Theater, bildende Künste, Projektarbeiten, Arbeitsmappen (Portfolios) … Jeder soll es wahrnehmen und begutachten. Das kommt an den Regelschulen (fast) nicht vor. Lernen an der Schule beinhaltet nämlich vor allem das: Persönlichkeitsentwicklung, Wahrnehmung und Würdigung der Anderen. Da Eltern gezielt in das Schulleben mit einbezogen werden, gibt es begrüßenswerter weise Initiativkreise, die solche Schulereignisse organisieren, sodass dem Lehrkörper für die Lehr- und Erziehungsarbeit der Rücken frei gehalten wird. Günstiger weise befinden sich besagte Schulen in freier Trägerschaft und können daher die Lehr- und Erziehungsarbeit am einzelnen Schüler orientiert frei gestalten. Dass Inhaltliches dabei nicht zu kurz kommt, kann man an den Erfolgsquoten der Schulabgänger feststellen. Sie stellen sich dabei einer externen und wesentlich umfangreicheren Prüfung.

    Und hier beginnt das qualifizierende Zeugnis:

    Die Kritik an dem Laissez fair am Ende des Schuljahres ist absolut begründet. Ebenso die Kritik an den Eltern, die von sich aus (wenn auch nachvollziehbar) den Ferienbeginn vorverlegen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen für diese abschließende Zeit wird von den Lehrern so gut wie nicht genutzt, um der Institution Schule in Ihrer Bedeutung Nachdruck zu verleihen durch informelle dh. nicht evaluierbare bildende Aktionen. Die Möglichkeit jedoch die Zeit auch mit Feiern nebst Gebäck und außerschulischen Attraktionen zu ergänzen, sollte eine Option bleiben, mit dem Ziel, gemeinschafts- und sinnstiftend Erlebnisse zu schaffen. Um über die Gestaltungsmöglichkeiten zu sprechen wären Elternabende oder Elternratssitzungen die beste Gelegenheit. Aufgeschlossene Lehrer finden sich auch. Daher sind Klagen über Missstände oder Fehlentwicklungen nicht Zielführend.

  5. Nini Antworten

    Hallo Herr Kelle,
    dazu kann ich auch noch was beitragen. Eine Kollegin – letztes Lehrjahr – hatte tatsächlich am Freitag noch 3 Stunden Schule. Als ich sie lobend darauf ansprach – ich wusste von meinen Nachhilfeschülern der 10. Klasse, dass diese bereits seit 2 Wochen nicht mehr zur Schule mussten – teilte mir eine andere Kollegen ganz stolz mit, dass ihr Sohn vor einigen Jahren in der 10. Klasse schon 4 Wochen vor Ferienbeginn keine Schule mehr hatte. „Die Zensuren stehen ja schon fest und die Kinder haben ja jetzt sowieso keine Lust mehr zu lernen“.
    Ja geht’s noch? Gibt es nicht genug Stoff, den man den Kindern noch beibringen kann/muss? Geht es nicht vielleicht auch auf eine Art und Weise, dass die Kinder trotzdem Spaß am Lernen haben? Oder heißt es heute in den Familien: ach du hast keine Lust zu lernen, klar, dann mach eben was anderes. ?

    Ich will jetzt nicht von der ‚guten alten Zeit‘ anfangen. Aber wenn potentielle Arbeitgeber keine Auszubildenden einstellen können, weil diese zu wenig Interesse für die Arbeit aufbringen oder erst gar keine Kenntnisse mitbringen, dann weiß ich wirklich nicht, was noch passieren muss, damit dieses Schulsystem mal gehörig auf den Prüfstand gebracht wird.

  6. Tina Hansen Antworten

    Ich wiederhole mich hier (zum ersten Mal, mache ich sonst nicht): Mein Patenjunge, Schüler in Hamburg, würde bei Schulüberdruss von meiner Freundin, seiner Mutter, damit getröstet, dass in der Schule doch in den nächsten Tagen nur das schöne Theaterstück aufgeführt und ein bisschen gesungen werde. Er schoss aus seinem Hochbett hoch und versetzte, nicht sehr freundlich: „Ja, und dann ist wieder eine Woche rum und ich habe immer noch nicht richtig rechnen gelernt!!“

    • labrador12 Antworten

      Liebe Frau Hansen

      Aus dem Jungen kann noch was werden!

      Ich denke er kann und ich hoffe er wird sich das Rechnen selbst beibringen. Unterstützen Sie ihn doch dabei.

  7. Tina Hansen Antworten

    Lieber Labrador12,

    er bringt es sich tatsächlich selber bei, und sein Papa hilft ihm dabei!

  8. Andreas Schneider Antworten

    Ich erinnere mich, dass es zu meiner Schulzeit (70er Jahre) gerade dazu reichte, dass in der letzten Unterrichtsstunde des jeweiligen Lehrers etwas vom Programm abgewichen wurde; dies mit dem Argument, dass ja vor den Sommerferien und dem damit einher gehenden Schuljahresende die Themen ohnehin abgeschlossen waren.

    Wie dies auf der städtischen Realschule gehandhabt wurde, weiß ich nicht – als jedoch in der Oberstufe 7 Schüler mit Qualifikationsvermerk zu uns stießen, waren diese ein gutes halbes Jahr im Stoff voraus. Kein einziger dieser Schüler hat jemals an unseren Treffen teilgenommen – sie erzielten mit die besten Abschlüsse, und ihr Berufsweg führte sie hinweg in alle Welt. Ist einem in Kanada tätigen Akademiker vorzuhalten, wenn ihm die Umstände zum Besuch einer Grillnachmittags zu aufwändig erscheinen?

    Die neueren Entwicklungen haben jedoch die Verhältnisse geklärt – auch das „Gut“ in Mathematik eines Abschlusszeugnisses dieser Realschule sagt nichts mehr über die notwendigen Grundfertigkeiten des Probanden aus, der sich um eine kaufmännische Ausbildung bewirbt. Man mag den „Frontalunterricht“ und Vieles am dreigliedrigen Schulsystem bemängeln. Nicht aber, dass man noch vor etwa 30 Jahren ein Abgangszeugnis mit einiger Sicherheit eine gewisse Aussagekraft besaß.

    „Früher war alles besser“? Gewiss nicht! Aber niemand möge behaupten, dass heute „Alles besser“ sei.

  9. verena v. buch Antworten

    Meine Enkelkinder gehen im Baskenland zur Schule. Dort haben sie zwar 11Wochen Sommerferien, aber bis zum letzten Tag wird intensiv gearbeitet. In den Ferien halten die Lehrer die Zeugnis Konferenzen ab. Die Zeugnisse werden dann per Post den Eltern zugeschickt. Auch die Lehrerausfluege finden außerhalb der Schulzeit statt. Das Wissensniveau dieser Kinder ist extrem hoch. Sie besuchen keine Privatschule.

  10. Tina Hansen Antworten

    Ich denke gerade an meine eigene Schulzeit in NRW in der „guten alten Zeit“ – ich bin Abiturjahrgang 1992.
    In den letzten Wochen vor den Sommerferien fand schon damals kaum noch Unterricht statt. Muffins waren noch unbekannt, statt dessen gab es Negerkussbrötchen (psst… bitte nicht die Rassismus-Polizei alarmieren!!) und natürlich Eis und Filme. Meine Lehrerin im Fach evangelische Religion hatte sich soweit aus dem Diesseits ausgeklinkt, dass sie die Vorführung dieser furchtbaren Serie mit Freddy Krüger mit den Scherenhänden erlaubte, die einige Jungs vorgeschlagen hatten… Erinnert sich jemand daran? Ich würde mal sagen: Soft-Horror. Sensibelchen, das ich war, konnte ich nicht hingucken und habe statt dessen meine Schulhefte mit Tintenornamenten verziert.
    Nun gut… ich habe diese Schule trotzdem geliebt, ich habe schöne Erinnerungen an meine Schulzeit, und irgendwie ist doch aus den meisten von uns auch irgendwas geworden.
    Das, was ich dem damaligen Schulsystem in NRW und den örtlichen Verantwortlichen wirklich übel nehme, war der brutale Versuch, das Gymnasium auf Biegen und Brechen und gegen den Willen des größten Teils der Lehrer- und Elternschaft in eine Gesamtschule umzuwandeln. Nach heftigen Konflikten und auf sehr demokratische Weise konnte dies verhindert werden, aber die „Strafe“ folgte auf dem Fuße: Für die drei letzten Jahrgänge vor dem Abi wurde die Schule de facto in eine Ganztagesschule umgewandelt mit täglichem Unterricht von 8.05 bis 15.45 Uhr. Eigentlich nicht schlimm bei Jugendlichen in dem Alter, hätte es eine Kantine oder auch nur einen gut ausgestatteten Schul-Kiosk gegeben. Gab es aber nicht. Also pilgerte die ganze Gemeinde (ich sehe jetzt noch die Bilder vor dem inneren Auge) in der 45minütigen Mittagspause die Hauptstraße der Kleinstadt entlang „zum Griechen“. „Der Grieche“ bot preiswerte Mittagsmenüs an, und wer Glück hatte, bekam sogar einen Platz; die meisten natürlich nicht. Auf Proteste v.a. von „Fahrschülern“, die selbst theoretisch nicht die Möglichkeit hatten, mal schnell zwischendurch nach Hause zu fahren, hieß es von den politschen Verantwortlichen süffisant, dann möge man doch auf die nächstgelegene Gesamtschule wechseln – dort gebe es selbstverständlich eine Mensa!
    Ich lächele heute darüber, aber eigentlich war es sozialdemokratisches Schulpolitik-Theater vom Feinsten.

  11. Storz Antworten

    Zwei meiner Kinder erlebten ein Austauschjahr in USA. Dort wurden auch am vorletzten Tag vor den Ferien noch Tests geschrieben, die am nächsten Tag korrigiert waren und in die Zeugnisnoten mündeten.
    Auch das ist möglich.

  12. Ralf Armbrust Antworten

    Nicht nur in NRW, nein auch in RLP ist es an den meisten Schulen nicht anders. Nichts dagegen dass man nach der Notenkonferenz mal was anderes macht als Frontalunterricht. Aber nur Kuchen essen und Filme gucken? Das einzig dinnvolle, das ich erkennen konnte, war: Mein Tag für Afrika. Ein Aktionstag bei dem Schüler statt zur Schule zu gehen einen Tag in einem Betrieb ihrer Wahl arbeiten und den Lohn spenden. Achja und ein Wandertag an dem tatsächlich gewandert wurde.

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