Die Chancen, die unsere Kinder heute haben
Meine Facebook-Freunde wissen, dass gestern bei uns eine Party stattfand. Unser 15-jähriger Sohn hatte ein Dutzend Freunde zum (O-Ton) „Grillen und Chillen“ eingeladen, weil er nächste Woche für zehn Monate als Austauschschüler in den USA fliegen wird. Ich vermisse ihn jetzt schon, denn genau wie seine große Schwester im vergangenen Jahr wissen Eltern, dass sie ihr Kind, das sich am Flughafen noch einmal umdreht und kurz winkt, nie mehr so zurückkommen wird, wie es abgeflogen ist. Und das ist gut so, denn die Möglichkeiten heutzutage sind für junge Leute in Deutschland phantastisch. Reisetechnisch war der Höhepunkt meiner Schullaufbahn eine viertägige Klassenfahrt nach Berlin wenige Monate vor dem Abitur. Heute ist Freizügigkeit Normalität. Unsere Tochter war in USA, vergangenes Jahr konnte sie – von der Schule angeboten und organisiert – ein Berufspraktikum in London machen. In diesem Herbst wird sie in Wien ein Praktikum absolvieren, nächstes Jahr nach dem Abitur fünf Wochen ein weiteres in Brüssel. Sind wir reich? Nicht wirklich. Und trotzdem ist es möglich, die Welt kennenzulernen, andere Arten zu denken, zu arbeiten und ja, auch zu feiern zu erleben. Ich mag es, wenn junge Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen arbeiten und zusammen feiern. Es erweitert den Horizont, und es ist auch, quasi beiläufig, ein Friedenswerk. Früher haben sich Deutsche und Franzosen alle paar Jahre gegenseitig umgebracht. Vorhin habe ich im Autoradio Interviews mit deutschen Fußballfans in Paris gehört. Sie haben Tickets ergattert, doch Deutschland ist im Finale nicht dabei. Nun feuern sie am Abend Frankreich oder Portugal an. Warum nicht?
Die Welt wächst zusammen, ob wir das wollen oder nicht. Und ich trage keine rosa Brille, denn es gibt zweifelsohne viele unerfreuliche Aspekte bei Globalisierung und durchlässigen Grenzen. Aber es ist gut, die Welt kennenzulernen, Sprachen zu lernen und zu verstehen, dass andere Länder auch lebenswert sind.
„Die Welt wächst zusammen“ – das klingt erst mal nett.
Nur eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Es ist die akademische Oberschicht eines Landes, die „wächst“. Frisösen und Klempner machen meist keine Auslandsjahre. Diese bilden aber die Basis unserer Wirtschaft.
Daher müssen wir klar sehen, daß das „globale Zusammenwachsen“ eine Trennung der westlichen Völker in oben und unten beschleunigt. Die polyglotte und kosmopolitische Oberschicht wird der Basis des eigenen Wohlstandes entfremdet und identifiziert sich eher mit der Oberschicht anderer Länder. Das führt zur Illusion des „Weltbürgertums“.
Ein Bekannter, der sich als ein solcher Weltbürger sieht, definierte sich auf Nachfrage von mir durch Internetnutzung, Reisen und Arbeit. Lächerlich, meinte ich, Du bist ein globalisierter Konsument, sonst nix.
Das eingebildete „Weltbürgertum“ wiederum führt zu einer Vernachlässigung und Ablehnung der eigenen kulturellen Basis. Was juckt es mich, wenn Deutschlands Metropolen islamisiert werden, wenn ich zwischen New York, London, Berlin und Kuala Lumpur pendle? Die Slums gibt es auch da, und die gucke ich mir nicht an.
So jemandem kann ich nur sagen: A….l..h! Die Leute, die Dir eine schöne Kindheit in einer friedlichen Umwelt beschert haben, und die Dein Studium mitfinanziert haben, sind ihrem Land auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Den Gedanken könnte ich eigentlich mal bei Tichys ausführen…. 🙂
Statt hehrer Worte: ?
Ach nein, solche Gedanken sind hier schon ganz richtig, lieber Herr Göhring. 🙂
Lieber Herr Göhring
Die Trennung „westlicher Völker in oben und unten“ wird zunehmend ein Problem. Charles Murray hat das schon in 2012 in „Coming apart“ für die USA analysiert.
Manches davon trifft für Mitteleuropa nicht zu (keine Campus-Universitäten)
Anderes wie etwa die sich immer weiter auseinander entwickelnde Nutzung der Medien oder der BMI dürften auch für Europa gelten.
Wieder Anderes lässt sich nicht auf das von Herrn Kelle angeführte Reisen zurückführen Weder Merkel noch Juncker werden in ihrer Jugend soviel gereist sein, dazu sind beide zu alt 🙂
Wenn der Taxifahrer nicht weiß wie ein Verfassungsrichter lebt ist es egal, aber wenn der Verfassungsrichter keine Ahnung mehr hat, wie ein Taxifahrer lebt und ein Urteil fällt, das den Taxifahrer betrifft, dann kracht es im Gebälk.
Ich denke, dieses Weltbürgertum kommt nicht sosehr von einem „Studien oder Arbeitsaufenthalt“ im Ausland, als vom Überschätzen der eigenen Bedeutung und dem Unterschätzen der (oft weniger bemittelten) Anderen.
Bei Merkel dürfte es wohl weniger an ihrer Jugend als an der „Mauer“ gelegen haben, die die Reisefreiheit für die allermeisten DDR-Bürger stark eingeschränkt hat und weswegen sie vermutlich heute noch an einer chronischen „Grenzschließungsphobie“ leidet.
Die Sorge um die nähere Region, die Heimat, das eigene Land einerseits und Auslandsaufenthalte andererseits schließen sich nicht aus. Idealerweise werden die Jugendlichen ja angeregt, Missstände hierzulande kritischer zu betrachten, nachdem sie „auswärtige“ Meinungen eingeholt oder Tatsachen vor Ort erlebt haben.
Klaus, Deinen Kindern bei ihren großen Vorhaben alles Gute!
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade Leute, welche andere Gegenden auf unserem Globus intensiv bereist und „studiert“ haben, die durchaus überzeugenden Vorteile, die unser (noch) schönes und ziemlich beeindruckend organisiertes Land mit seinen zumeist doch recht liebenswerten (jawohl!) Menschen bietet, erst richtig zu schätzen lernen. Natürlich erscheint das Gras jenseits des Zaunes erst einmal so viel grüner als diesseits. Es braucht eben seine Zeit und Erfahrung, um festzustellen, dass dem in Wirklichkeit meist nicht so ist. Allerdings fürchte ich, dass – wenn wir darin nachlassen, gut auf unser Land aufzupassen – solche Vergleiche eines Tages eher zu Ungunsten Deutschlands ausfallen werden. Das wäre unendlich schade.
Axel R. Göhrings Ausführungen überzeugen mich. Sehr treffend.
Die beste Völkerverständigung ist es, andere Länder kennen zu lernen und deren Sprachen zu sprechen.
Friseur und Bauarbeiter gehen nicht über Schulen und Studium ins Ausland, jedoch über Billigflieger, die sie in jeden Winkel der Welt transportieren. Und da gibt es auch Einige, die sich selbständig machen und nicht nur all inclusiv in Hotelburgen leben. Auch sie sehen nach ihrer Rückkehr, dass hier noch manches besser läuft als in manch anderem Teil unseres Globus.
Naja, leider gibt es unter Friseuren und Bauarbeiter dann auch viele, die eine Ballermannkultur exportieren. Nicht immer ist das viele Reisen wirklich gut.
Die Ballermannkultur ist im Grunde auch nur eine erholsame Gegenkultur wie dieser löbliche Blog, um den Alltagswahnsinn besser ertragen zu können. Man sollte die Ballermannkultur nicht als Untergang des Abendlands verteufeln, solange sich die „Kollateralschäden“ im Rahmen halten und sie nicht zur Leitkultur wird.
Ich hatte einen Kollegen, der regelmäßig mit seinen Kumpels dorthin flog. Es scheint ihm gutgetan zu haben, man konnte sich mit ihm auch ganz vernünftig unterhalten. 😉
Lieber Herr Kelle, damit hätten Sie ein ergibiges Gesprächsthema mit Herrn Hofrat Göthe. Dies Thema ist schön wie es alt ist. Reisen bildet selbstverständlich. Göthe reiset weit und lange. Jedesmal kam er klüger, erfahrener, neugieriger und aktiver nach Hause zurück.
Nicht nur Reisen, sondern überhaupt bringt Aktivität uns Menschen weiter voran. Nur der Aktive wird klüger, entwickelt sich aus Fehlern weiter und wird damit wertvoller für die Gemeinschaft.
Jedoch ist es nicht das Reisen an sich, was den Reisenden Entwicklung beschert, sondern der Schlüssel dafür liegt beim Reisenden und Aktiven selbst, in seinem Inneren, in seiner Prägung, seinem Charakter, seinen Genen, ob er offen und neugierig auf das Neue ist, ob er die Fremde spürt, die Menschen dort, ob er sich selbst zu reflektieren vermag.
Wenn einfach nur Reisen ohne sonst mehr aus uns Persönlichkeiten machte, dann könnten wir bei den vielen von weit her Zugereisten deutliche Fortschritte sehen.
Ja, junge Leute sehen das völlig entspannt und positiv erwartungsvoll. Ich rate jedem jungen Menschen, dass er sich bilden und qualifizieren möge. Das ist das beste Kapital für sein Leben, dass ihm die besten Chancen bietet und niemand ihm nehmen kann.
Unsere Kinder waren in der Klasse 11 für ein bzw. ein halbes Jahr in USA. Dort wurde in der Schule der sportliche Leistungsstand deutlich sichtbar auf Sportjacken dokumentiert. Zurück in Deutschland wurde stolz diese Jacke getragen. Ein Lehrer meinte, zieh doch diese „elitäre“ Jacke aus, sie demotiviert doch die Mitschüler.
Das ist der Unterschied – im immer leistungsfeindlicheren Deutschland!