Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: in Brasilien sind Olympische Spiele. Als ich ein kleiner Junge war, gab es außer der Fußball-Weltmeisterschaft nichts Größeres. Noch heute habe ich vor Augen, wie Ulrike Meyfarth zu ihrem Gold-Hochsprung anlief. Magische Momente, von denen mir viele noch heute mühelos einfallen, wenn ich die fünf bunten Ringe irgendwo sehe. Über die Jahre hat mein Interesse gelitten, gebe ich zu. Rhythmische Sportgymnastik, Dressurreiten oder Bogenschießen – das ist nicht wirklich meine sportliche Welt. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich zwei Tage vor Beginn einer Olympiade noch völlig desinteressiert sein konnte – wenn es dann losging und ich die ersten Wettkämpfe im Fernsehen sah, sprang der Funke über. Egal was gerade lief – ich war bis weit nach Mitternacht dabei.

Diesmal ist es anders. Das schillernde bunte Eröffnungsfest in Rio, die Sportler aus aller Welt, das Entzünden der Fackel – es erhöht meinen Blutdruck nicht eine Sekunde. Bundespräsident Gauck ist nicht nach Rio gereist (Krankheit), Bundes-Sportminister de Maiziere hat wegen anderer wichtigen Termin abgesagt. Und mich interessiert das Spektakel in Südamerika nicht die Bohne.

Wie kommt das eigentlich, habe ich mich gefragt. Sport interessiert mich immer noch sehr, der Kampf der Besten aus allen Ländern der Welt um Medaillien und Ruhm müsste mich eigentlich faszinieren, in einen Rausch versetzen. Doch da ist nichts.

Ich glaube, es liegt an den Begleitumständen, an den Berichten, die vielen Sportfreunden den Spaß an der Sache verleiden. Epidemieforscher haben gewarnt, dass die Olympischen Sommerspiele die Ausbreitung des Zika-Virus über den ganzen Globus vorantreiben könnte. Die brasilianische Regierung riet schwangeren Frauen sogar davon ab, nach Brasilien zur Olympiade zu kommen. Und dann die hohe Kriminalität in Rio, eine latente Gefahr für jeden Besucher. Gestern Morgen hörte ich im österreichischen Radio ein Interview mit einer Wassersportlerin, die in Rio ist. Sie berichtete von Müll, der im Wasser schwimme und von Papierfetzen, die aussähen, als seien sie Klopapier. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hatte 2015 die Wettkampfstätten der Freiwasserschwimmer, Kanuten, Ruderer, Segler, Triathleten und Windsurfer vom Virologen Fernando Spilki untersuchen lassen. Sämtliche untersuchte Austragungsorte wiesen eine derart schlechte Wasserqualität aus, dass sie die Gesundheit der Athleten gefährden und Krankheiten wie Durchfall, Erbrechen und Atemwegserkrankungen auslösen können.

Und dann das Theater um Russland, das als Land eine Goldmedaille für dreistesten staatlich organisierten Doping verdient hätte. Dutzende wurden gesperrt, viele durften hin – nur nicht diejenige, die die skandalösen Machenschaften in Putins Reich aufgedeckt hatte. Die sperrte man vom Wettkampf aus – gleich für zwei Jahre. Ausgerechnet sie wurde gesperrt, weil sie früher Teil des Doping-Kartells in Russland war. Nehmen wir mal an, es wäre in Finnland oder Nigeria aufgeflogfen und nachgewiesen worden, dass bewusst und gewollt Heerscharen von Sportlern für Wettkämpfe fittgespritzt wurden. Was hätte das IOC getan? Jede Wette: diese Länder, diese Mannschaften wären für die Olympiade gesperrt worden. Aber wie schon George Orwell in seinem berühmten Roman „Animal Farm“ schrieb: „Alle Schweine sind gleich, aber einige sind gleicher als andere.

Und Thomas Bach, ein persönlicher Freund von Kreml-Chef Putin, der den meisten russischen Sportlern den Zugang zu den Olympischen Spielen in Brasilien geebnet hat? Bach ist eine Schande für den internationalen Sport.

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Dieser Artikel wurde 18 mal kommentiert

  1. Tina Hansen Antworten

    Lieber Herr Kelle,

    mir geht es genauso. Ich bin einige Jahre jünger als Sie und meine erste starke Erinnerung an Olympische Spiele ist Los Angeles 1984. Auch da habe ich noch jetzt Bilder vor Augen… Ich hatte mein heutiges Desinteresse nicht rationalisiert, sondern einfach auf das Älterwerden zurückgeführt 😉

  2. PeWi Antworten

    Es wird überall auf der Welt gedopt. Woher sollten sonst die Leistungen kommen? Der menschliche Körper hat nun mal seine natürlichen Leistungsgrenzen und durch die Sportwissenschaften kann man auch nicht ewig mehr herausholen. Schauen wir mal nach Brasilien selbst. Staatliches Doping und Bestechung der Kontrolleure. Und genau deshalb interessiert mich Olympia schon seit langem nicht mehr. Es werden eigentlich keine sportlichen Leistungen gegeneinander abgewogen, sondern wer das beste und unsichtbarste Doping vorführen darf. Machen wir uns doch nichts vor. Man hat Russland nur in den A… geguckt und deshalb wurde es vorgeführt. Der sog. Informant? Na, vielleicht hat er recht, vielleicht auch nicht. Da muss man schon sehr vorsichtig sein, bei der allgemeinen Berichterstattungslage in der Welt. Es wäre auch niemals auf die Tagesordnung gekommen, wenn in Nigeria gedopt wird. Und sicherlich, wird es, da deren Sportler i.d.R. in den USA trainieren. Es hätte schlichtweg niemanden interessiert. Hauptgrund bei Russlandbashing: Politik. Sport? Wem interessiert das noch wirklich. Wo viel, viel Geld im Spiel ist, gibt es keinen wirklichen Sport mehr.

  3. Ex-CDU Antworten

    Es ist schon schade, daß die Begleitumstände dieser Olympischen Spiele so vieles überdecken:

    Da gibt es ganz sicher eine große Anzahl von Sportlern, die sich mühen und knechten und kämpfen bis zum Umfallen ( s. Toba, Hut ab !!! ) und die sich nicht das Geringste in Sachen Doping oder Schummel-hier-n-bißchen-schummel-da-n-bißchen haben zuschulden kommen lassen.

    Und da gibt es die Sache mit Russland ( u.a. ), die ein Herr Bach galant ( ??? ) unter den Teppich kehrt.

    Bei den Paralympics werden alle Russen ausgeschlossen – bei der „eigentlichen“ Olympiade Eiertanz ohne Gleichen.

    Und so werden dann die guten, ehrlichen Sportler mit den staatlich geförderten Betrügern und Lügnern und Tricksern in einen Topf geworfen.

    Mir geht es unter dem Strich ähnlich wie Herrn Kelle – das Interesse ist dahin.

    Aber das gilt ja auch schon lange z.B. für die Tour de France. Auch da werden ich weiß nicht wieviele Millionen an Rundfunkgebühren ( wir haben es ja … ) verpulvert, obwohl jeder weiß, was dort läuft – bei vielen zumindest.

    Da „das Volk“ aber bei Laune gehalten werden muß, reiht sich ein sportliches Großereignis an das nächste – „panem et circenses“. Wenn das Volk nicht irgendwie beschäftigt wird, kommt es noch auf dumme Einfälle – und ob „denken“ da „erwünscht“ ist ?

  4. Andreas Antworten

    Bei den olympischen Spielen 2012 lag Russland im Medallienspiegel auf Platz 4, hinter, den USA, China, Großbrittannien.
    Die USA hatten doppelt soviele Goldmedallien.
    Die Dopingdiskussion ist in dieser Form doch unredlich.
    Und:Mit offenen Schuhen ins Ziel joggende 100m Seriensieger essen einfach das richtige Gemūse, gell?

  5. S v B Antworten

    Echt nett, der lockere Schlagabtausch. Muss auch mal sein, oder? Wo es dieser Tage nicht mehr allzu viel zu scherzen gibt.

    Der Sport hat seine Unschuld doch längst verloren. Auf Russland brauchten wir da wirklich nicht zu warten. Auch ein Lance Armstrong z. B. ist mir noch in unguter Erinnerung geblieben. War er der erste, der einzige oder gar der letzte Sportler, der schamlos gelogen und seine vielen Fans bitter enttäuscht hat? Na, wirklich nicht! Von der Tour de France über Weltmeisterschaften bis hin zu den Olympischen Spielen hat man doch meist ein oder mehrere schwarze Schafe ausgemacht; nicht zu reden von all denjenigen, die das Glück hatten, nicht entdeckt zu werden. Ein Wettkampf, ein Kopf-an-Kopf-Rennen also, auch stets zwischen dem Erfindungsreichtum der Pharmazie und den beauftragten Doping-Kontrolleuren; noch dazu oft zu Lasten der Gesundheit der Sportler. Der Preis ist also heiß, sehr heiß.

    Für die Ehrlichen unter den Sportlern, die sich bei der Erbringung ihrer Höchstleistungen gänzlich auf natürliche Begabung und antrainierte Kraft stützen, ist das alles sehr bitter. Aber, finden sich hierzu nicht viele Parallelen auch im Leben jenseits des Sports? Jeder von uns hat vermutlich schon Täuschung und Enttäuschung erfahren, passiv, vielleicht sogar auch aktiv. Warum tendieren wir dann so gerne dazu, ausgerechnet den Sport ethisch zu überhöhen?

  6. Ex-CDU Antworten

    Ich weiß gar nicht, ob wir das wirlich tun.

    Vielmehr denke ich, daß alles, wirklich ALLES, NUR noch mit dem schnöden Mammon zu tun hat.

    Ich erinnere mich, als kleiner Junge, gerne an meine damalige Fußballbegeisterung.
    Uwe Seeler, ein echter Hamburger Jung, und wie sie alle hießen, deren Bilder wir bis zur Perfektion tauschten und dann ins ARAL-Album einklebten.

    Und heute ?

    Welcher Spieler beim HSv stammt noch aus Hamburg ?
    Wieviele beim FC sind noch Bayern, geschweige denn Münchner ?

    Der Verein mit den dicksten Konten ( wie auch immer die zustande kamen … ) kauft sich die besten und teuersten Spieler zusammen. Und verschachert sie wie wieder. Moderner Sklavenhandel.

    Bundesliga interessiert mich daher nicht die Bohne.

    WM, EM – da schaue ich ganz sicher.

    Aber dann noch Fußball bei Olympia ?

    ( Wer spielt da eigentlich bzw. wer warum nicht ? )

    Kommerz bis zum Erbrechen auf jedem „freien“ Stoffetzen bzw. Korperteil oder Gerät.
    Und da geht es nicht darum, eine Medaille zu erringen um der Medaille und der Ehre wegen ( von erwähnten Ausnahmen wie Toba ein mal abgesehen ) – es geht einfach ums Geld.

    Und um Politik – sonst wäre nie so ein Bohei in Sachen Doping und Rußland/ Brasilien etc. entstanden.

    Und um Macht ( und wieder: Geld ) – sonst würde Herr Hoeneß sich in irgendeiner Ecke vor sich hinschämen … – zusammen mit Herrn Blatter, Herrn Bach, Herrn Infantino und und und …

  7. David Decker Antworten

    Mir geht es sehr ähnlich.

    War immer begeisterter „Verfolger“ von solchen Ereignissen, Olympia Sommer wie Winter usw. Mittlerweile interessieren mich solche „Kommerz- und Dopingspiele“ nicht mehr.

    Das IOC ist ein Wirtschaftskonzern, der Sport ist lediglich Mittel zum Zweck.

    Und als – extrem begeisterter – Radsportfan habe ich die letzten 10, 15 Jahre nur gelitten. Mir macht es keinen Spaß mehr diese Events zu verfolgen. Die Branche hat es sich selbst vermasselt.

    Das ist das Eine. Das Andere ist die Berichterstattung unserer deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten, die höchst fragwürdig ist, insbesondere mit diesem Einsatz von Geld und sonstigen Ressourcen.

    Das „Einzige“, was ich mir noch gönne, ist Skispringen im Winter, Vierschanzentournee… Dort grassiert das Doping nicht so stark (bzw. sogar relativ wenig bis selten…) und Eurosport leistet sich da immer Übertragungen, auch mit eine Experten-Kommentatoren-Duo, wo es Laune macht, sich das ganze anzutun.

    Ansonsten bleibt mir bei vollgepackten Tagen mit Familie und Job auch gar keine Zeit für solche Sachen. — Was auch gut und richtig so ist. Die Zeit mit meinen Kindern und der Familie kommt nicht wieder. Die „Spiele“ laufen ja alle paar Monate/Jahre auf „repeat“ ;-( Vermissen tue ich sie in keinster Weise.

  8. Andreas Schneider Antworten

    Zunächst muss ich mich anschließen – auch mein Interesse war schon bedeutend größer. Allerdings sind es weniger das (wenn auch unsägliche) Auftreten des IOC, das mir die Laune verleidet und auch nicht die aktuelle Doping-Debatte.

    Meine erste bewusste „Teilnahme“ an Olympia waren die 72er Spiele in München. In Erinnerung geblieben sind mir davon das Bild der lachenden Ulrike Meyfarth auf der Matte nach ihrem 1,92-m-Sprung und der Überfall auf die israelischen Sportler. Montreal 1976 war schon im Vorfeld überschattet von der Dauerfrage, ob die Sportstätten wohl rechtzeitig fertiggestellt sein würden, Moskau 1980 vom Boykott der BRD-Mannschaft, 1984 seitens der UdSSR. Undsoweiter, undsofort. Die mutmaßlich gedopten „Staatsamateure“ des Ostblocks wie auch die Politisierung der Spiele waren permanente Begleiter bei den „Treffen der Jugend der Welt“. Mal ehrlich: hat sich da nun wirklich so viel geändert?

    Was mir tatsächlich die Laune verleidet (und das nicht nur bei Olympia) ist die nicht enden wollende Dauerberieselung, die 2 Übertragungsstunden eines Sportereignisses mit gefühlten 10 Stunden Studiogelaber von „Experten“ und ähnlichen Rahmenprogrammen übertüncht. Auch ohne Olympia und ohne Weltmeisterschaften könnte ich jederzeit Sendungen über irgendwelche Meisterschaften oder Wettbewerbe wer weiß wo auf dem Globus antun – und dies quasi rund um die Uhr. Wo ist nun noch das Besondere von Olympia, wo ist der Reiz einer Veranstaltung, bei der das Drumherum einen höhen Status zu genießen scheint als das Kräftemessen der Athleten?

    Selbst die frühere Rahmenberichterstattung („Impressionen aus…“) bringt uns heute, in Zeiten des Internets, nichts Neues mehr, jede Exotik ist dahin. Dass man uns hingegen moralisch verbrämtes Bessermenschentum serviert („Während die Jugend der Welt im neu gebauten Stadion sprintet, verhungern nebenan kleine Kinder“), ist in der Sache auch nichts Neues, in der Präsentation dagegen schon.

    Letztlich: wieso sollte ich mir angesichts des Zeitunterschiedes dafür eine schlaflose Nacht antun? Um wieder und wieder aus das schon seit Jahrzehnten sattsam bekannte Dopingproblem angestoßen zu werden?

    Und am Rande: auch diesmal geriet die deutsche Mannschaft wieder ob ihrer Kleidung in die Kritik. Ob nun berechtigt oder nicht, sei dahingestellt: aber war das etwa ein Novum?

    Ich sehe Business as usual – und das seit Jahrzehnten. Es wird irgendwann langweilig. Wohl auch eine Altersfrage.

  9. S v B Antworten

    Wenn man dagegen bedenkt, dass die unvergessenen „Helden von Bern“ für ihren sportlich-kämpferischen Einsatz – bei miesem Fritz-Walter-Wetter – mit je einem x-teiligen Kaffeeservice (vielleicht auch Ess-Service, egal) entlohnt wurden! Danach ging’s wieder an die ganz normale Arbeit. Vor diesen Männern habe ich heute noch größten Respekt. Bescheidenheit ist und bleibt eben eine Zier; auch wenn man angeblich „ohne ihr“ weiter kommen soll im Leben.

    • Ex-CDU Antworten

      Habe gestern ( oder besser: heute ) nacht mal kurz durchgezappt und bin ein paar Minuten bei den Synchronspringerinnen hängengeblieben.

      Kommentar: „Eine Medaille wird hier 6-stellig vergütet“.

      Wieviele Kaffee- und Eß-Service man(n) dafür wohl kaufen könnte …

      😉

      Ach ja:
      Nachdem die Diskussion über die ( angebliche ) Mio-Gage der Herren Netzer und Delling als „Fußball-Experten“ halbwegs verklungen ist:

      Hat jemand eine Ahnung, was Herr Delling oder Herr Cerne als „Olympia-Experten“ einstreichen – von unseren Rundfunkgebühren ?

  10. S v B Antworten

    Na, sehen Sie, lieber Herr Kelle, nun beschwert sich sogar der Trainer der deutschen Gewichtheber in Rio darüber, dass das ganze System korrupt sei. Hatten wir’s alle doch schon irgendwie geahnt. Daraus erklärt sich gewiss auch die zunehmende Unlust, die Spiele vor dem Fernseher zu verfolgen. Schließlich will man sich von Doping-Monstern nicht veräppeln lassen, oder? Au weia, sukzessive geht wohl alles den Bach (nicht DEN!) runter… MfG

  11. Alexander Droste Antworten

    Lasst uns Zeuss ehren und messen uns in kühnen Wettkämpfen und der Schönheit unserer Leiber. Dafür seien alle Kriege und Kämpfe, aller Zwist zwischen den Völkern für diese Zeit vergessen.

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