Ein oder zwei Mal pro Jahr stoße ich irgendwo in den Medien auf Günter Grass, Literaturnobelpreisträger und kurz vor Kriegsende noch vorübergehend bei der Waffen-SS, worüber er zwischendurch aber lange nichts mehr erzählt hatte. Immer wieder mischt sich der Autor, der zumindest einen großen Roman sein Eigen nennen darf, in die Tagespolitik ein. In den 70er und 80er Jahren vornehmlich als Unterstützer der SPD, zu Zeiten der Wiedervereinigung als größter Gegner derselben (was „das Volk“ wollte, hat sogenannte Intellektuelle seltenst interessiert). In jüngster Zeit wurde er mit verschwurbelten israelfeindlichen Versen, manche sagen mit Antisemitismus, auffällig. Und nun – Erbarmen! – wendet er sich der Flüchtlingsproblematik zu. Die sollen nämlich, wenn die Aufnahmekapazitäten in Deutschland erschöpft seien, auch bei Privatleuten „zwangseinquartiert“ werden können. Das habe man ja auch nach dem Krieg so gehandhabt und gute Erfahrungen damit gemacht.
Was er nicht erwähnte, ist, wie viele Flüchtlinge er selbst aufzunehmen gedenkt. Er hat auch nichts dazu verlauten lassen, ob er die westafrikanischen Drogendealer aus dem „Görli“ (ich schrieb letztens darüber) ebenso in die Quartier-Verlosung aufzunehmen gedenkt, wie die Gruppe junger Migranten aus Berlin, die jüngst ein Theaterstück massiv störten und drei Schulklassen aus Brandenburg bedrängten, wobei auch Zwölf- und 13-Jährige unter den Augen ihrer Lehrer mit einem Messer bedroht wurden.
Was Grass hier wieder einmal macht, ist mit romantikdurchdrungenem Geschwätz eine dramatische Situation schönzureden. Tag für Tag nimmt derzeit in Deutschland die Belastung durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus aller Welt zu. Viele Städte sind organisatorisch und finanziell längst überfordert, der Situation noch Herr zu werden. Turnhallen werden zweckentfremdet, Zeltstädte errichtet. Und nun will der werte Herr Grass syrische Flüchtlinge bei Privatleuten „zwangseinquartieren“. Eine bessere Vorlage könnte Grass dem rechtsextremistischen Lager in diesem Land gar nicht bieten. Denn wir leben heute gar nicht mehr in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wo geteilte Not halbe Not sein konnte. Wir leben heute in einer ich-bezogenen Welt, Helfen ist bei vielen verpönt, andere ziehen sich unter Verweis auf ihre eigenen Sorgen zurück. Allein der Gedanke, hier könnte ein Bus der Stadtverwaltung mit Flüchtlingen in eine Wohnsiedlung fahren, und ein Mann vom Amt klingelt dann und sagt: „Guten Morgen, ich habe hier vorübergehend eine sechsköpfige Familie aus Waziristan, die für ein halbes Jahr bei Ihnen wohnen wird. Natürlich unterstützen wir Sie für Ihre Bereitschaft mit 4,56 Euro pro Flüchtling in der Woche….“ ist so grotesk, dass man unwillkürlich lachen muss.
Ich würde einem weltweit angesehenen Mann wie Günter Grass wirklich wünschen, dass er sich aus tagespolitischen Debatten raushält. Nicht, weil sie so originell oder gar praktikabel wären, und auch nicht, um ihn aus dem demokratischen Diskurs auszuschließen. Einfach nur, um den Mann vor sich selbst zu schützen, auf den der Satz „Hättest Du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben“ besser passt, als auf jeden anderen Zeitgenossen in Deutschland.

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Dieser Artikel wurde 13 mal kommentiert

  1. Jürgen Backhaus Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    mein erster Gedanke beim Lesen dieses Artikels heute in der RP war natürlich auch der, wieviele Flüchtling Herr Grass selber aufzunehmen gedenkt und für welchen Zeitraum. Natürlich darf jeder sein Meinung zu diesem Thema äußern, aber einen solchen Blödsinn habe ich seit langen nicht mehr vernommen. Ich schlage vor, das Herr Grass die beiden syrischen und irakischen Flüchtlinge aufnimmt die in einem Neusser Asylantenheim einen Inder auf brutaltste Weise gequält haben. Vielleicht ist er ja in der Lage diese zu sozialisieren.

    Jürgen Backhaus

  2. Tiemann, Elke Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,

    „Bahn frei für gesunden Menschenverstand und EIN BISSCHEN MEHR FREIHEIT!“ haben Sie Ihren Blog überschrieben. Ja, dann lassen Sie doch auch ein bisschen mehr (Gedanken)-freiheit zu! Sicherlich ist der Gedanke von Günter Grass erst einmal gewöhnungsbedürftig. Aber ist das ein Grund, derart gehässig auf ihn einzudreschen? Sie werden es kaum glauben, ich selbst (allein lebende Witwe in einem durchschnittlichen Reihenhaus) habe mir schon die Frage gestellt, ob ich vielleicht ein Zimmer für fremde Menschen(!) opfern könnte. Wohlgemerkt, bevor der Ausspruch von G. Grass bekannt wurde. Es ist doch bedauerlich, wenn im Zusammenhang mit Flücht(!)lingen erst einmal nur an die sicherlich schrecklichen Vorkommnisse gedacht wird. Warum denkt niemand an die vielen, vielen gebildeten Menschen, die in Massenquartieren verharren müssen? Wo liegt der Unterschied zwischen einem Austauschschüler aus irgend einem fremden Land und einem Flüchtling aus einem fremden Land?
    Ich will hier nichts beschönigen und weiß, dass es auch unbeherrschte, ungebildete Verbrecher unter den Flüchtlingen gibt. (Wo gibt es die nicht?) Doch finde ich, das muss nicht heißen, dass der Grundgedanke von G. Grass von vorn herein völlig indiskutabel ist. Der Begriff „zwangseinquartieren“ ist natürlich nicht geeignet, Vertrauen in den Gedanken zu bringen. Man könnte auch Möglichkeiten suchen und finden, die den Zwang nicht automatisch mit einschließen.
    Übrigens: Auch in der Nachkriegszeit haben die Menschen hier im Westen ihre Häuser und Wohnungen nicht freiwillig geteilt. Vielleicht sahen sie in den ostdeutschen Flüchtlingen auch überwiegend Schmarotzer und unkultiviertes Gesockse!
    Also: Bitte etwas mehr Menschenverstand und (Gedanken)-freiheit!
    Mit besten Grüßen
    Ihre Leserin Elke Tiemann vom Niederrhein

    • Klaus Kelle Antworten

      Liebe Frau Tiemann,

      erlauben Sie mir, Ihnen ein wenig zu widersprechen. Wenn ich Austauschschüler aufnehme, entscheide ich mich freiwillig dafür. Ich darf entscheiden, wen aus welchem Land ich gerne aufnehmen würde. Und es ehrt sie, wenn Sie bereit sind, Flüchtlinge in Ihrem Haus aufzunehmen. Aber – wie Sie ja selbst geschrieben haben – Herr Grass spricht von „Zwangseinweisungen“. Würde so etwas staatlicherseits angeordnet, würde es zu einer Welle von Fremdenhass kommen. Und wie soll das gehen? Will man wirklich Menschen zwingen, etwas zu tun, was in ihren Lebensalltag massiv eingreift, ohne dass man sie fragt? Wie würden wohl Flüchtlinge behandelt, die zu solchen Leuten zugeteilt werden?

      Ich bin absolut dafür, dass wir Menschen in Not helfen – uneingeschränkt. Deutschland ist reich und groß genug, das zu organisieren. Aber nicht mit Zwang, meine ich.

      Beste Grüße, Klaus Kelle

  3. Friedrich Zimmermann Antworten

    Sehr geehrter H. Kelle,

    ich finde die Idee von Herrn Grass auch als eine Schnapsidee – jedenfalls so, wie er sie geäußert hat.
    Aber mit Frau Thiermann meine ich, dass Ihre Kritik daran etwas über das Ziel hinausschießt.
    Denn es gibt sicher nicht wenige Leute, die allein in ihrem Haus wohnen weil sie verwitwet sind und die Kinder ausgeflogen sind. Ein Teil dieser Leute, nicht nur Christen, wird sich Gedanken machen, ein Gewissen haben, oder Wohlwollen diesen wirklich armen Leuten gegenüber haben. Wenn es da beispielsweise eine Stelle gäbe, die „Angebot und Nachfrage“ in Übereinklang bringen könnte, wäre vielen geholfen. Mit ein klein wenig Fingerspitzengefühl ließen sich, meine ich, die richtigen Leute zusammenfinden. Und ein wenig Schul-Englisch würde für die Kommunikation schon reichen.
    Da kommen nämlich nicht nur die mit dem Messer in der Hand, oder die auf Bäume klettern nachdem sie von Agitatoren angeheizt wurden (München), sondern in der Mehrzahl tüchtige gebildete Leute.
    Was denken die, wenn sie das Gezeter in unseren Medien mitbekommen? Gerade wo im Vorderen Orient die Gastfreundschaft fast über alles geht!
    Nicht zuletzt: Das sind doch Menschen, die da kommen; mit denen kann man doch eine Beziehung herstellen!
    Mit einem Gruß
    F. Zimmermann

    • Helmut Zilliken Antworten

      Guten Tag Herr Zimmermann. Ich habe nur eine einzige Frage: Woher nehmen Sie die Gewißheit, daß die „MEHRZAHL tüchtige gebildete Leute“ sind??? Fragen Sie bitte bitte mal alle beteiligten Profis vor Ort (Sozialarbeiter, Lehrer, Polizisten, Leiter der Sozialämter etc.), wie die Wirklichkeit aussieht!!! Wir kommen hier nicht weiter mit Sozialromantik, sondern mit der harten Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit.

  4. Friedrich Albrecht Antworten

    Was Frau Tiemann und Herr Zimmermann geschrieben haben, finde ich sehr ehrenwert. Ich frage mich nur, was sie daran hindert, ihre guten Absichten in die Tat umzusetzen.

  5. Rudolf Jahns Antworten

    Sehr geehrter, lieber Klaus Kelle,
    es gibt so viele Aspekte zu diesem Flüchlichsthema, dass ich garnicht weiß, wo anfangen. Politisch Verfolgte werden in Deutschland immer ohne wenn und aber aufgenommen! Punkt! Die Massen aus Serbien, Bosnien, Russland, Rumänien etc. sind keine politisch Verfolgten! Punkt! Es gibt aber einige wenige Ausnahmen. Daher muss jeder einzelne Fall geprüft werden. Die Bearbeitung dauert, das verstopft die Amtswege, die Akkumulation der Ankommenden verstopft die Aufnahmeheime usw.. Und wir haben noch immer kein Einwanderungsgesetz! Stattdessen wollen uns Politiker und Medien weiß machen, dass hochgebildete und für die digitale Wirtschaft fitte junge Moslems Deutschlands Wirtschaft und Kultur bereichern wollen. Nein, sie sind nicht gebildet und sie sind nicht fit. Und vor allem sind sie nicht bereit sich anzupassen. (Anpassungsfähigkeit ist übrigens ein Zeichen von Intelligenz). Das hat der jüngste Hungerstreik bewiesen. Henrik M. Broder hat es kürzlich auf den Punkt gebracht, als er Europa und insonderheit Deutschland „christlich grundiert“ nannte. Toller Begriff. Das zu akzeptieren, zu unterschreiben und zu respektieren, erwarte ich. Unsere Politiker leider nicht. Und daran drohen wir zugrunde zu gehen!

  6. Marion Vogel Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    mir ist es schon fast peinlich dieses Thema auch aufzugreifen. Nachdem ich die Aussage unseres Kulturvorbildes Grass las, klopfte mein Herz wie wild. Ich sah mich, allein lebende Witwe, bereits mit einem Koffer in der Hand aus meinem Haus fliehen. So könnte es dann aussehen, wenn sich zB. Männer aus einem uns fremden Kulturkreis in Ruhe bei mir heimisch fühlen würden. Nebenbei bemerkt, sie sind schon hier. Einige von ihnen steigen bereits in Häuser ihrer Wahl ein. Aber dann habe ich mir gedacht: der armer Herr Grass! Er ist ja auch schon älter. Das könnte seine Meinung beeinflußt haben. Außerdem mußt er sich mal wieder ins Gespräch bringen. Sein letzter verbaler Ausraster liegt bereits eine Weile zurück. Und sollte evtl. die nächste Meldung von ihm sein Nachruf sein, könnte bis dahin sein Marktwert und sein Leben recht klein werden. Bei allem Entsetzen, dass ich bei dieser Art Völkerwanderung empfinde, versuche ich zu hinterfragen, welche Menschen aus Politik und Wirtschaft diese Katastrophe ursprünglich ausgelöst haben. Es gibt, so lange ich denken kann, Menschen in Not. Wo es möglich war habe ich geholfen. Ich habe seit über 30 Jahren Patenschaften zu Kindern in aller Welt. Persönliche Kontakte zu ihnen und ihren Familien. Es hilft aber niemanden, wenn man die Gebenden so sehr überfordert, dass sie am Ende ebenfalls zu den Nehmenden zählen werden. Die Flüchtlinge und die Aufnehmenden sind die Leidtragenden von Jahrzehnte langem Machtgeschacher, das erst jetzt, wo es augenfällig ist, laut beweint wird. Kürzlich hörte ich eine Rede in der es hieß, wir können wahrscheinlich nicht mit einer Yogamatte unterm Arm die Welt retten. Was bitte würde es nun wirklich ändern, würden wir alle so zusammenrücken, dass es eine vorübergehende Lösung gäbe? Nichts! Die Welt, bzw. deren Verwalter würden genau so weitermachen. Es geht nämlich gar nicht um die Menschen. Wir sind nur lästiges Beiwerk.

  7. Siegfried Kieselbach Antworten

    Guten Abend Herr Kelle !
    Vor einiger Zeit hörte ich folgenden Satz:
    Heute sind wir tolerant, morgen nicht mehr Herr im eignen Land.
    Das ist inzwischen schon Realität. Und genau das würde auch einem Haus-/Wohn-
    nungsbesitzer geschehen, der Fremde in seinen privaten Bereich holt.
    Viele Grüße
    Siegfried Kieselbach

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