Kein Tag vergeht derzeit, ohne dass in Artikeln und Internetbeiträgen beklagt wird, dass so viele Deutsche sichtbar mit Frankreich und den Opfern von Paris trauern, ohne die gleiche Empathie auch für die jüngsten Opfer von Beirut oder die russischen Opfer des Verkehrsflugzeuges zu zeigen, die wohl ebenfalls Opfer eines Terroranschlages wurden. Auch meine Tochter kam gestern mit diesem Argument, nachdem sie mir von der Schweigeminute an ihrer Schule erzählt hatte. Die Frage ist berechtigt, aber ebenso einfach zu beantworten. Natürlich sind Menschen durch Tragödien immer dann besonders bewegt, wenn die sich in ihrer Nähe oder ihrem Umfeld ereignen. Ein Überfall auf ein Familienmitglied oder einen Nachbarn schockiert und bewegt doch jeden Menschen mehr als die morgendliche Zeitungsmeldung über den Überfall auf einen unbekannten Menschen irgendwo in der Stadt. Wollte man über jedes Leid, das sich täglich irgendwo auf dieser Welt ereignet, trauern, wäre man im depressiven Dauermodus. Soll doch jeder so trauern, wie er oder sie es wirklich empfindet. Ob man eine französische Nationalflagge über sein Profilfoto bei Facebook legt – wie es sehr viele getan haben – oder nicht, was geht das eigentlich andere an? Inmitten von Political Correctness und der 24-Stunden-Volkserziehung, die uns an manchen Tagen umgibt, kommen nun Mitbürger und wollen uns Vorschriften darüber machen, für was wir wann und wie zu trauern haben. Irgendwann reicht’s auch mal.

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Dieser Artikel wurde 4 mal kommentiert

  1. Franz Platz Antworten

    Auch hier wieder: alles soll gleichgeschaltet werden. Und wenn alles Traurige, das auf der Welt geschieht, von mir gleichmäßig betrauert werden soll, dann kann ich gar nicht mehr trauern. Wie hat der große Dostojewski gesagt? „Sie lieben die Menschheit und vergessen den konkreten Einzelnen.“

  2. Andreas Schneider Antworten

    Und doch ist festzustellen, dass sich die Spaltung der Gesellschaft auch in diesem Punkt fortsetzt.

    Keine Tricolore auf dem Profilbild? Man zeigt kein Mitgefühl.
    Russische Nationalfarben auf dem Profil? Ein „russisches U-Boot“.

    Selbst die Opfer werden instrumentalisiert – von jeder Seite. Trauer sieht anders aus.

  3. Tina Hansen Antworten

    In Hannover in der Unterführung zwischen S-Bahnstation und Hauptbahnhof, gute fünf Minuten vom HDI-Station entfernt, brennen Kerzen, liegen Rosen und kleine Zettelchen. Ich habe es mir gerade angeschaut:
    ca. 3 oder 4 Mal „Pray for Paris“
    ca. 10 bis 12 Mal „Pray for Syria“
    1 Mal „Pray for Jemen“
    1 Mal „Pray for Kurdistan“
    1 Mal „Pray for the World“
    und folgender Brief in ungeschickter Kugelschreiber-Schrift:
    „Ich bin eine Frau und Christin mit einem Handycap (Behinderung). Deshalb bin ich im Sinne des IS in mehrfacher Hinsicht nicht lebenswert. Ich habe Angst, dass Deutschland und Europa islmamisch wird und die Scharia eingeführt wird. Ich habe Angst vor Terror im Sinne des (geschwärzt) und IS.“
    Geschwärzt worden war, bei genauem Hinschauen, das Wort „Islam“.

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