Schon jetzt sind Gewerkschaften und Bahn Verlierer

Klar, ich bin auch empört. Empört darüber, dass eine vergleichsweise kleine Gewerkschaft das halbe Land lahmlegt. Was nützen schöne Werbesprüche wie „Die Bahn fährt immer“, wenn sie genau das nicht macht? Für die Zuliefererindustrie sind diese Tage das nackte Grauen. Offenbar hat die Bahn wenigstens für die ganz großen Kunden wie Autohersteller und chemische Industrie einen Notfallplan. Und die Individualreisenden hatten zumindest zwei Tage Vorlauf, um sich Alternativen zu organisieren. Der Streik der Lokomotivführer bleibt ein Ärgernis, aber das ganz große Chaos dürfte ausbleiben.

In das Gefühl der Empörung mischen sich aber zunehmend andere, gegensätzliche Gedanken. Natürlich haben Gewerkschaften in Deutschland das Recht, ihre Forderungen auf dem Weg eines Arbeitskampfes durchzusetzen. Und so ganz ist der Eindruck nicht vom Tisch zu wischen, dass auch die Bahn AG und die größere Bahngewerkschaft EVG an der augenblicklichen Situation nicht unschuldig sind. Denn beim GDL-Streik geht es nur nachrangig um mehr Geld für die Beschäftigten. Was wir alle erleben, ist ein Kampf um Einfluss und Macht. Warum eigentlich ist die Bahn nicht bereit, der GDL und ihrem unbequemen Boss Claus Weselsky zu ermöglichen, die in ihr organisierten Bordbegleiter und Speisewagen-Servicekräfte selbst gegenüber dem Unternehmen zu vertreten? Oder anders gefragt: Ist es eine solche Frage wert, Deutschland tagelang in Atem zu halten und – geschätzte – Schäden von 50 bis 60 Millionen Euro durch den aktuellen Streik in Kauf zu nehmen? Was ist dran am GDL-Vorwurf, die zum mächtigen DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit ihren 200.000 Mitgliedern sei der Bahn lieber, weil handzahm?

Glaubt man der EVG, wäre sie zu einer Kooperation mit der GDL auf Augenhöhe bereit. Allerdings erwartet man, dass die streikfreudige Kleingewerkschaft vorher Zahlen nennt, wie viele Beschäftigte sie überhaupt vertritt – und das lehnt Weselsky konsequent ab. Als außenstehendem Beobachter scheint für mich hier das Problem zu liegen. Der GDL-Chef stellt Maximalforderungen und zeigt null Kompromissbereitschaft. Darauf ist unsere Konsensgesellschaft nicht eingestellt. Und so wird es keine Lösung geben können.

Ein Leser meines Blogs schrieb mir gestern Morgen: „Insbesondere rückt Herr Weselsky in dieser Diskussion in den Fokus, und er wird nicht nur als Vorsitzender der GDL, sondern auch privat an den Pranger gestellt. Das ist eine verheerende Entwicklung und es zeigt wieder einmal auf eine sehr bedrückende und erschreckende Art und Weise, wie man in unserem Lande mit Menschen umgeht, die über ein Rückgrat verfügen.“ Das ist die andere Seite. Die Nennung von Telefonnummer und Wohnort des Streik-Anführers in großen Medien überschreitet deutlich eine Grenze, auch das gehört zur Wahrheit, die man nennen muss.

Was folgt nun aus all dem? Die drei beteiligten Parteien müssen dringend an einen Tisch. Die GDL hat ihre Muskeln spielen lassen, jetzt kommt die Zeit für eine Lösung. Ich sehe nicht, dass die nicht zu finden wäre, wenn beide Gewerkschaften aufeinander zugehen, und die Bahn ernsthaft für eine Lösung offen ist. Denn ihnen muss klar sein, dass sie alle verlieren, wenn das aktuelle Theater noch wochenlang so weitergeht. Schon jetzt ist das Verständnis in der Bevölkerung für diesen Streik bei Null. Er schadet den Gewerkschaften, und er bedroht auf Sicht ihren rechtlichen Freiraum in der Gesellschaft. Und dass die Kunden, die jetzt ihre Güter kurzfristig auf LKWs umladen müssen und die Individualreisenden, die jetzt in großer Zahl auf Fernbusse umsteigen, einfach so wieder zurückkehren, wenn die Streiks beendet sind, ist kaum anzunehmen.

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Dieser Artikel wurde 7 mal kommentiert

  1. hjv (Hans Jürgen Valjent) Antworten

    faul wie ich bin,
    zitiere ich mich mal selbst … ( grad im FB gepostet – ich bitte um nachsicht)
    aus dem fb heraus – werde ich mir erlauben diesen artikel zu verlinken -g.
    *
    GDL – Bahnstreik –

    ich vermute, dieser kampf der kleinen lokfuehrergewerkschaft
    wird mehr aendern als weselsky vermutet
    (die maedels und jungs im DGB werden da sensibler sein)

    ja, ich war ewigkeiten „organisiert“ –
    und betriebsrat usw. –

    aber ich glaube, diese GDL geschichte, die wird das bewusstsein zu „gewerkschaft als interessenvertretung“ veraendern.

    bei gewerkschaft denken wir z.b. an die ig-metall –
    wir denken an grosse industriegewerkschaften die
    grosse belegschaften -vertreten-

    die streiks betreffen grosse industriekonzerne –
    die -verluste- trafen die industrie- und wirtschaftsmanager und
    die eigentümer bzw. anteilseigner der betroffenen wirtschaftszweige (vorwiegend).

    sicher, auch hier wird die „wirtschaft“ getroffen, aber nicht die „lokomotiven-wirtschaft“ sondern (indirekt) die deutsche wirtschaft.
    die direkten kosten haben die zugfahrer – also „der kleine mann /die kleine frau“
    Wir alle, die wir dem lokruf „oeffentl. verkehr“ gefolgt sind,
    wir alle zahlen den bahnstreik.

    *
    also ….
    nix gegen gewerkschaften – wirklich nicht,
    aber …. heikel ist das ganze schon, selbst wenn man „fuer streiks“ ist –
    und sympathie fuer gewerkschaften hat.

  2. Georg Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle, Sie haben in Ihrer Kolumne die zur Diskussion stehenden Themenbereiche grob umrissen. Das Kernproblem, nämlich die DB AG, mit den mittlerweile sehr verzweigten und für den Außenstehenden kaum noch zu übersehenden Strukturen, wurde nicht thematisiert. Hier scheint mir aber die Hauptursache für die mangelhafte Konsensbereitschaft zu liegen. Dass Gewerkschaften, mögen sie auch noch so klein sein, Maximalforderungen aufstellen, ist nichts Verwerfliches. Damit muss unsere Gesellschaft umgehen und auch in gewisser Weise Verständnis dafür entwickeln.

    Ich bin der Überzeugung, dass die seinerzeitige wenig durchdachte Zusammenführung der Reichsbahn der DDR mit der Deutschen Bundesbahn im Zuge der Wiedervereinigungseuphorie, die später folgende Zerschlagung der Deutschen Bundesbahn und die dann folgende Teilprivatisierung nicht mit der notwendigen Konsequenz erfolgte. Gewinnstreben wurde zur Maxime. Was ist das aber auch für eine unglückliche Konstellation. Das Netz gehört dem Bund, der nachweislich zu wenig Geld in die Infrastruktur investiert. Dann gibt es die DB AG. Unter diesem Dach führen die Bereiche Personenverkehr, Regionalverkehr, der Güterverkehr, die vielen Privatbahnen und der gesamte Servicebereich eine Art Einzelleben. Es gibt keine einheitlichen Strukturen. Jeder der genannten Bereiche hat seine eigenen Vorstellungen. Ich denke es ist nur allzu logisch und dem System Bahn zuträglich, einmal über die Verantwortung des Staates nachzudenken. Wenn Egoismen und ungezügeltes Gewinnstreben das Prinzip des Handels bestimmen, wird es niemals einen vernuftsorientierten Weg geben. So wie das jetzt läuft, funktioniert das System Bahn im Interesse der vielen Reisenden auch auf lange Sicht nicht. Das ist jedem klar, der auch nur ansatzweise in der Materie ist. Einzelne Verkehrspolitiker haben die Mängel im System DB AG längst erkannt. Werden Sie auch gehört? Dieser Streik, und es wird nicht der letzte sein, ist nur allzu logisch und auch verständlich.

  3. Hans-Jürgen Merten Antworten

    Handzahme Gewerkschaften haben dieses Land zu einem Niedriglohn gemacht.

    Wirtschaftshörige Politiker haben dieses Land zu einem Land gemacht, in welchem sich Leistung für den Arbeitnehmer nicht mehr lohnt.

    Regierungshörige Medien verbreiten nur noch Polemik auf unterstem Niveau, anstatt zur recherchieren und neutral zu berichten.

    Arbeitnehmer haben/hatten Macht: „Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm das will“!

    Doch wir haben keine Arbeitnehmerschaft mehr. Wir haben nur noch Egoisten, die auf die Medien und die Regierung herein gefallen sind und sich ärgern, dass die Bahn sie nicht pünktlich nach Hause bringt.

    Insofern freue ich mich über die GDL, welche sich anschickt die innige Umarmung zwischen EVG und DB zu durchbrechen.

    • Georg Antworten

      Sehr geehrter Herr Merten, ich gratuliere Ihnen ausdrücklich zu Ihrer Meinung und Ihrem analytischen Verständnis. Den Satz, den Herren Wegelsky aussprach: „Die GDL ist nicht käuflich“, soll einmal zu nachdenken anregen und er hat gleichzeitig eine gewisse innere Tragik, die Ihren theoretischen Gedanken Recht gibt..

  4. Rainer Schütze Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    ich bin nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, deshalb könte mir der Streik der Lokführer eigentlich egal sein. Ist es aber nicht. Claus Wedelsky ist sicherlich kein Sympathieträger, man kann ihn auch als Egomanen bezeichnen. Aber die Sturköpfe der DB-AG sind auch nicht besser. Die versuchen jetzt mit Teilen der Politik die GDL auszubremsen.
    Das Elend der DB fing mit der Privatisierung unter Mehdorn, erfolglos bei Air Berlin und heute erfolgloser Chef des Pleiteflughafens Berlin-Brandenburg, statt. Es wurde Personal ohne Ende abgebaut und Strecken ohne Sinn und Verstand stillgelegt.
    Den Kommentaren von Georg und Mertens kann ich deshalb nur vollumfänglich zustimmen.

  5. Friedrich Albrecht Antworten

    Also ich bin der Meinung, daß es allmählich an der Zeit ist, das Streikrecht – ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert – an die heutige Realität anzupassen. Während damals die schlecht bezahlten Arbeiter ihrem reichen Arbeitgeber durch Arbeitsniederlegung bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne abtrotzten, führen in der heute vernetzten Volkswirtschaft Streiks wie aktuell durch die GDL zu enormen Schäden bei unbeteiligten Dritten. Deren Schaden ersetzt niemand. Und der Arbeitgeber kompensiert die erhöhten Kosten durch Preisanpassung seiner Produkte und wo das nicht geht, durch Arbeitsplatzabbau; im Extremfall kommt es zur Insolvenz, d.h. alle Arbeitsplätze sind weg und nur der Insolvenzverwalter, ein Rechtsanwalt, hat was davon. Warum bemühen wir uns nicht um eine Lösung, wie zum Beispiel in der Schweiz? Die aktuell regierende Große Koalition hätte die dazu erforderliche Mehrheit, leider jedoch nicht das Format für diese Aufgabe. Also wird weiterhin Schaden zu Lasten Dritter hingenommen. Armes Deutschland.

  6. Ich_aus_der_Naehe_von_Do Antworten

    Den Ausführungen von Georg, Hans-Jürgen Merten und Rainer Schütze kann man nur zustimmen.
    Die GDL vertritt ihre Mitglieder und tut dies möglichst gut und versucht weitere Mitglieder hinzuzugewinnen. Das ist nicht verwerflich, ebenso wie ein Streik nicht verwerflich ist.
    Wenn es „weh tut“, ist genau das ein Ziel eines Streiks. Freiwillig wird sich ein Arbeitgeber nie dazu bewegen, anständige Löhne zu zahlen. Wir sind schon Billiglohn-Land genug!

    Die Domain ist übrigens gut gewählt. „denken-erwuenscht…“, vielleicht sollten Sie, lieber Herre Kelle, mal damit anfangen.

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