Keine außenpolitischen Floskel ist derart abgegriffen wie „Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, da genügt ein Funke“. Heute hat die Welt einen Vorgeschmack darauf bekommen, was so ein Funke sein könnte. Die Türkei hat ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen, weil es angeblich in ihren Luftraum eingedrungen ist. Russland bestreitet dies, der Jet sei nur über syrischem Gebiet unterwegs gewesen. Müßig, darüber zu spekulieren, wer die Wahrheit sagt. Vielleicht werden wir es irgendwann erfahren, vielleicht auch nicht.

Einer der beiden Piloten des russischen Flugzeugs konnte sich glücklicherweise retten, so dass dieser Zwischenfall wohl nicht zu einer Eskalation führen wird, sondern unter Blechschaden abgelegt werden kann. Die Reaktionen sind vorhersehbar. Russland wird den türkischen Botschafter einbestellen, US-Präsident Obama wird sein tägliches Golfspiel für ein paar Minuten unterbrechen und seiner Betroffenheit Ausdruck verleihen, und Verschwörungstheoretiker stehen bereit, sofort weiterzuverbreiten, was angeblich hinter diesem Zwischenfall steckt – Wallstreet, CIA, Herr Hooton mit seinem Plan oder Außerirdische. Ich denke, sie warten nur noch darauf, dass St. Petersburg den Ton vorgibt. So weit also alles wie immer.

Für Menschen, die in der realen Welt leben, dokumentiert der aktuelle militärische Zwischenfall lediglich, wie fragil die Situation unter den Mehr-oder-weniger-IS-Bekämpfern ist. Starke Mächte wie die NATO, Russland aber auch der Iran mischen da mit – ohne Koordinierung, ohne Absprache untereinander. Das ist brandgefährlich. Es erhöht die Gefahr einer ernsten militärischen Konfrontation unter Atommächten, und es verringert eine effektive IS-Bekämpfung. Der islamistische Terror ist ein gemeinsames Problem des Westens, Russlands, Chinas und vieler weiterer Länder. Wenn man mit der derzeit größten Gefahr aufräumen will, muss man miteinander reden und sich absprechen. Militärisch wäre der IS kein großes Problem, wenn echter Wille da ist, und nach dem Terroranschlag gegen ein russisches Passagierflugzeug und der Gewaltorgie von Paris ist jetzt die Zeit, diesem blutigen Spuk ein Ende zu bereiten. Miteinander.

image_pdfimage_print

Dieser Artikel wurde 4 mal kommentiert

  1. Alexander Droste Antworten

    Die russischen Piloten sind tot. Gefangen genommen von turkmenischen Widerständlern, die den Kampf gegen Assad unterstützen und dann gelüncht.

    Außerdem gibt es Quellen, ich weiß nicht, wie seriös die sind, die behaupten, der IS soll (von Seiten des Westens) überhaupt nicht vernichtet werden. Er würde gebraucht um Assad zu stürzen.
    Ein sozialarbeitender Dolmetscher in einem Asylheim berichtet, dass (gefühlte) 90% der syrischen Flüchtlinge nicht vor dem IS auf der Flucht seien sondern vor dem Assadregime. Sie würden mit dem IS sympathisieren und IS-Mitglieder würden in den Asylunterkünften ein und aus gehen. Es ginge bei den Gräueltaten des IS um die Anwendung der Scharia mit dem Prinzip Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wo das endet, kann man sich ausrechnen.
    Jedenfalls hat der Abschuss des russischen Kampfjets eine neue Qualität in diesen unsäglichen Krieg gebracht. Da geht es gar nicht um Syrien oder IS. Da geht es um Muskelspiel eines weiteren islamistischen Despoten mit Rückendeckung der NATO.

    Prost Mahlzeit! Die derzeitige Besonnenheit der Russen imponiert mir da mehr.

  2. Felix Becker Antworten

    Ich bin jetzt doch sehr auf das gespannt, was die Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei so sagen?

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert