Das Wochenende haben wir bei einem befreundeten Paar und ihrer Familie verbracht, die zu unseren besten Freunden überhaupt zählen. Vor 40 Jahren standen wir in Fußgängerzonen überall in Nordrhein-Westfalen, verteilten Flugblätter gegen die Fristenlösung bei der Abtreibung, wir sammelten Unterschriften für einen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau, nachdem die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert war. Und wir wählten – klare Sache – ohne zu zögern die CDU mit Helmut Kohl an der Spitze.

Die Welt war klar aufgeteilt für uns, Schwarz und Weiß. CDU gut, SPD schlecht. Amerika gut, Russland böse. Bundesrepublik frei, DDR unfrei. Heute ist die Bewertung der Wirklichkeit nicht mehr so einfach wie damals. Jeder, die sich mal mit der anstehenden Bundestagswahl beschäftigt und überlegt hat, wen oder was er wählen soll, weiß, was ich meine.

Unser eigentlich als kurz geplantes Frühstück vor der Heimfahrt gestern zog sich über drei Stunden hin. Und erst jetzt fällt mir auf, dass wir keine Sekunde über die sogenannte „Ehe für Alle“ gesprochen haben. Es ging um die Flüchtlinge, um die Fehlentwicklungen bei der Integration, um Kriminalität und Abtreibung. Ja, um Abtreibung! Darum, wie menschliches Leben in unseren Wohlstandsgesellschaften gering geachtet wird. Darum, dass man ein ungeborenes Kind, das möglicherweise das Down Syndrom haben KÖNNTE, in der Regel einfach so wegselektiert. Man kann ja noch weitere Kinder bekommen, wieso ein Risiko eingehen?

Drei Kannen Kaffee zogen wir uns rein, und wenn nicht nachfolgende Verpflichtungen gedrängt hätten, säßen wir wohl jetzt noch an dem gleichen Tisch. Ja, es ist schwer geworden, heute für sich selbst festzulegen, was gut oder böse, richtig oder falsch ist. Aber es lohnt sich, weiterzumachen, sich politisch zu engagieren, und unser Land nicht den Anderen zu überlassen.

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Dieser Artikel wurde 17 mal kommentiert

  1. Klaus Beck Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,

    ich schätze Sie und Ihre hier im Blog immer wieder deutlich werdende, innere Haltung sehr.
    Aber in einem Punkt haben Sie aus meiner Sicht einen blinden Fleck: Es lohnt sich nicht mehr „weiterzumachen, sich politisch zu engagieren und unser Land nicht den Anderen zu überlassen“.

    Denn dieses Land ist bereits in der Hand von „Anderen“, und damit meine ich gar nicht die Zuwanderer. Diese „Anderen“ werden nach dem 24.09. im Siegestaumel und dem dann furios zur Schau gestellten Glauben der eigenen Unantastbarkeit noch einmal zwei Gänge höher schalten, sodass wir uns nächstes Jahr zur gleichen Zeit angesichts der dann herrschenden Zustände sehnlichst wünschen werden, dass wir nur Probleme mit der „Ehe für Alle“ oder einem „Nerzwerkdurchsetzungsgesetz“ hätten.

  2. Elena B. Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    wenn ich Sie richtig verstanden habe, müssen wir „weiter so“ unterstützen.
    Ich werde es aber nicht machen können, und genau deswegen, weil ich damit mein politisches Engagement zeigen kann!
    Heute wurde schon etwas über CDU-Pläne bekannt, und (warum wundert es micht nicht???) die Themen, die mich als Bürgerin beschäftigen, werden nicht benannt:
    GEZ Gebühren
    Kinderarmut (+25€ Kindergeld, – 25€ Hartz IV =0)
    EEG-Umlage
    Kriminelle Ausländer
    usw usw
    UND warum darf eine Chance neuen Parteien nicht gegeben werden, wenn Merkel ihre vierte Chance bekommen will???

  3. Ruth Antworten

    Sehr geerhter Herr Kelle,

    Sie schreiben, wir dürfen unser Land nicht Anderen überlassen? Aber genau dies passiert doch – seit jeher, nach jeder Wahl.

    Wahlversprechen sind schnell vergessen, oder es werden irgendwelche Ausreden konstruiert, warum sie plötzlich noch nicht realisierbar sind.

    „Mit mir wird es keine Mwst Erhöhung geben“ und schwubs kam die Mwst Steuererhöhung. War das nicht sogar die Geburtsstunde der Lieblingsausrede: Alternativlos?

    Alles was uns seinerzeit in Bezug auf den Euro versprochen wurde, oder zum Thema „Rettung ausländischer Banken“, oder wer in die EU eintreten darf und wer nicht. Egal, kaum an der Macht, machen diese Politiker was sie wollen, egal was der Bürger möchte oder nicht.

    Wurden Sie gefragt, als die Entscheidung zur unlimitierten und unkontrollierte Einreise für alle getroffen wurde? Nein! Eben diese „Anderen“ haben im selbstherrlichen oder vielleicht sogar ohne Rückgrat, gegen existierende EU Vereinbarungen verstoßen und entschieden.

    Auch hier haben wir alle „versagt“ und haben diese Entscheidung der „Anderen“ einfach hingenommen. Der Staat versagt und wir schauen schulterzuckend zu, und versagen somit in gleicher Weise.

    Also, wenn Sie dafür plädieren, wir dürfen unser Land nicht Anderen überlassen, dann frage ich weiter, wie kann man es erreichen? Mit der nächsten Wahl? Wohl kaum, es wird genau so weitergehen wie bisher!

  4. colorado 07 Antworten

    Sie haben recht , Herr Kelle. Man muss weitermachen und nicht aufgeben, sonst geben wir die Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse ganz auf. Das sind wir unseren Nachkommen schuldig, wenn wir sie nicht vollends in die Verzweiflung stürzen wollen.
    Aber wir müssen das Falsche weiterhin „falsch“ nennen und das Gute „gut“. Die Trennung von beidem ist grundsätzlich nicht schwieriger geworden. Wir haben es uns nur schwierig gemacht, weil wir zu viele Kompromisse eingehen.
    Das ist doch das „faule“ Argument moderner Politiker, dass sie sagen, die Welt ist eben komplizierter geworden, ein klares Ja und ein klares Nein gebe es nicht mehr. Damit fängt aber die Mogelei an. Die Komplizierung der Dinge ist ein taktisches Mittel der Politik, um sich vor den Menschen glaubwürdiger darzustellen.
    In einem seiner letzten Interviews hat der altersweise Konrad Adenauer, angesprochen auf seinen Hang zu Vereinfachungen, gesagt, dass man die Dinge so tief sehen müsse, dass sie einfach werden. Wenn man nur an der Oberfläche der Dinge bleibe, seien sie nicht einfach, aber wenn man in die Tiefe sehe, dann sehe man das Wirkliche, und das sei immer einfach.

    • Klaus Beck Antworten

      Meinen Nachkommen bin ich schuldig, dass ich sie für unmündig und meine Erziehung für gescheitert erkläre, wenn sie in jenem Land die gleichen Fehler machen wollten wie ihre bescheuerten, es bis zum Schluß einfach nicht glauben wollenden Eltern.
      Glücklicherweise haben der Nachwuchs selbst begriffen, dass eine in drei Jahren als Drittland einzustufende Nation nicht ihre Zukunft darstellen kann.

  5. colorado 07 Antworten

    Sehr geehrter Herr Kelle,
    mir war nur wichtig zu sagen, dass wir uns unsere Urteilskraft nicht durch die vorgegebene Komplexität der Hintergründe trüben lassen sollten.

  6. S v B Antworten

    Früher habe ich mich oft gefragt, wie es in Deutschland – noch dazu binnen relativ kurzer Zeit – zu einer Schreckensherrschaft wie dem Dritten Reich überhaupt kommen konnte. Allmählich fällt es mir immer leichter, die Voraussetzungen, welche einer solch unselige Entwicklung den Weg ebnen, zu erkennen. Welchen Weg wird dieses Land wohl zukünftig nehmen?

    Wer garantiert uns, dass wir eines fernen Tages nicht auch mit bohrenden Fragen in die Enge getrieben werden? Warum hast DU nicht wenigstens, warum bist DU nicht beizeiten, warum, warum, warum…? Vermutlich werden auch wir uns dann in betretenes Schweigen hüllen oder irgendwelche leeren Worthülsen heraus würgen, die aber zur Entschuldigung nicht taugen. Was heißt da „aus Erfahrung klug“ zu werden?

  7. Uwe_aus_DO Antworten

    Das Programm verpsricht und Dinge wie Steuern senken, Soli abschaffen usw. Nicht schlecht, aber hätte man in den vergangenen 12 Jahren nicht schon Zeit genug dafür gehabt?
    Dann will man den Wohnungsbau fördern. Auch nicht verkehrt. Nur – was wurde denn aus dem Gesetzentwurf, den unser Kabinett Anfang Februar 2016 verabschiedet hat? Ich habe einmal versucht, nachzufragen, kaum jemand von den Abgeordneten oder in den Ministerien wußte überhaupt davon.

    Diese Liste könnte man sicherlich noch erheblich verlängern. Aber was nützt es?

    Wo ist die Alternative? (Sorry an alle AfD-Anhänger: Das geht für mich wirklich nicht).

    • Klaus Beck Antworten

      Alle im Vorfeld von Wahlen von Politikern gezielt zur punktgenauen Manipulation des Wählers im Umlauf gebrachten Themen interessieren weder den einzelnen Politker noch eine Partei. Es geht nur um Macht und um möglichst viel Macht und um das Ausschalten der Macht von Gegnern.

      Sie fragen zurecht nach einer, also nicht der Alternative.
      Parteien haben sich aus meiner Sicht überlebt. Man braucht sie einfach nicht mehr. Demokratie war gestern. Viele Menschen haben sie als ein nicht selten bis in die Kriminalität hineinreichendes Opportunistensystem mit oft pseudomafiös anmutenden Verhaltensweisen entlarvt, was für die Menschen ein schmerzlicher, enttäuschender und auch kränkender Prozess ist und gemeinhin etwas trivial mit dem Begriff der „Politikverdrosseneheit“ beschrieben wird.
      Und wie so oft bei der Verarbeitung von Psychotraumata ist auch hier festzustellen, dass Hass und Liebe in der Wahlkabine oft mit einem Kreuzchen im gleichen Kreis enden. Und bei einer Kanzlerin der Prinzipienlosigkeit findet außerdem jeder einen Grund, sie irgendwie gut zu finden. Von daher verwundern die Wahlergebnisse der letzten Monate und die BTW-Prognose nur auf den ersten Blick.

      Gesellschaftliche Probleme lassen sich mit den ununterbrochen um ihren Machterhalt kreisenden Parteien nicht mehr angehen oder gar lösen, was die Wahlergebnisse in den USA und Frankreich auch zeigen. Hier sind selbsternannte „Heiler“ und nicht mehr die etablierten Parteien gewählt worden. Clinton hätte wohl auch gegen Donald Duck verloren, so groß war/ist die Verzweiflung in den Staaten.
      Es sind also wieder mal charismatische Politik-Kristallisationspunkte gefragt, die die Sehnsüchte der von der Machtpolitik enttäuschten, verdrossenen und entrechteten Menschen erhören sollen.

      • Walter Lerche Antworten

        Mafia = organisierte Kriminalität und Politiker ist so etwa wie Ehe für alle.
        Anders kann ich mir die Situation in unserem Land nicht erklären.
        Verheiratet sind wohl auch die zahllosen Lobby-Vertreter des Großkapitals mit Politikern. Manchmal frage ich mich: Wer von diesen allen ist eigentlich wer?

        Beispiel 1:
        Wenn jemand Kupfer klaut, z.B. öffentliche Statuen, Kabel von Baustellen, dann kann er das in Deutschland und Europa nur gegen Vorlage seines Personalausweises verkaufen. Ausnahme Holland! Würde man die Lkw’s auf der A30 von Osnabrück Richtung Amsterdam kontrollieren, man glaubte es kaum… Angeblich handelt es sich täglich um mehrere Lkw! Frage: Warum lässt man Holland für den anonymen Verkauf offen?

        Beispiel 2:
        Warum stoppt man die Menschenhändler- und Schleuserbanden nicht wirklich? Kann man nicht oder will man nicht?

  8. colorado 07 Antworten

    Lieber Uwe_ aus_D
    Warum soll AfD nicht gehen? Ich frage nicht als Sympathisant dieser Partei. Aber Tatsache ist doch, dass unser demokratisches System keine Opposition hat und Demokratie funktioniert nur mit Opposition.
    Dass Sie AfD nicht wählen und ich auch nicht, ist okay, aber diese Partei aus dem Wettbewerb auszugrenzen, was ständig versucht wird, spricht nun auch nicht gerade für die besseren Argumente der Ausgrenzer.
    Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, mir geht es hier nur um die Sache.
    Wichtig wäre es im Sinne der Demokratie, sich einmal mit den Inhalten dieser Partei pragmatisch auseinanderzusetzen. Dann kann man sie ja offensiv angreifen, wenn diese Inhalte kritikwürdig sind. Aber dass man sie einfach ignoriert, schlecht redet und ihre Vertreter bisweilen sogar handfester Verfolgung aussetzt, ist mir zu billig und entspricht nicht demokratischen Spielregeln. Und irgendwann der Schuss auch nach hinten los.

    • Walter Lerche Antworten

      Mit der AfD verfahren die großen politischen Marktführer wie ich es in der Wirtschaft sehe: Ist der neue Mitanbieter neu und noch klein, ignoriert man ihn.
      Wird der neue Mitstreiter größer und lässt sich nicht mehr verschweigen, belächelt man ihn, wertet ihn satirisch ab. Wächst der neue Mitstreiter weiter, dann ist Schluss mit Lustig, dann bekämpft man ihn mit allen Mitteln. Wächst der neue Wettbewerber weiter und der niederträchtige Vernichtungskampf erscheint erfolglos, dann beginnt man, sich mit ihm zu arrangieren. So wie verbittert gegnerische Konzerne sich zusammenfinden, um gegenseitig von ihrer Größe zu profitieren statt sich gegenseitig aufzureiben, genauso wird man sich dem neuen Wettbewerber anbiedern, wenn er ausgewachsen ist.
      Und welche Phase erleben wir gerade bzgl. AfD?

  9. S v B Antworten

    An Uwe_aus_D und Colorado07

    Na toll, da mosern Sie über die politischen Verhältnisse im Land – und dies gewiss nicht erst seit heute. Jetzt, da wir uns mit Riesenschritten auf die nächste BT-Wahl zu bewegen, scheinen Sie sich „Ihrer“ Wahl noch immer nicht sicher zu sein? Es kann doch nicht erwartet werden, dass sich bis zum 24. September noch eine wie auch immer geartete, „andere“ Alternative auftun wird. Auch können wir uns selber keine neue Partei backen. Will für mich heißen, dass man die – einzig wirkliche – Alternative in Betracht ziehen muss, die zur Zeit auszumachen ist.

    Natürlich kann man, bitte schön, am Wahltag auch zuhause bleiben; sich aus Protest der Wahl verweigern, es denen da oben mal so richtig zeigen. Erfreuen kann man mit dieser Haltung allerdings nur diejenigen Parteien, die man keinesfalls gewählt hätte.

    Von keinem Nichtwähler oder gar „Wie-immer-Wähler“ möchte ich später mit irgendwelchen Klagen über einen unerwünschten Wahlausgang oder gar eine Politik belabert werden, die man vielleicht hätte mit verhindern können.

    Ich bin entschlossen, der AfD eine Chance einzuräumen und ihre Entwicklung – falls sie den Einzug in den Bundestag schaffen sollte – während der nächsten Legislaturperiode aufmerksam und kritisch zu verfolgen. Diesen Versuch sind sie mir wert, Deutschland und seine Menschen.

  10. colorado 07 Antworten

    An SvB,
    ich respektiere ja Ihren Mut, dass Sie sich offen als AfD-Wähler bekennen, vermisse aber Ihren Respekt gegenüber denen, die etwas anderes wählen oder auch der Wahl fernbleiben.

    • Walter Lerche Antworten

      Da weder von CDU noch von SPD eine Kurskorrektur zu erwarten ist, sondern eher mit einer Verschärfung bisheriger fataler Gangart, empfinde ich es als logisch konsequent, eine Partei zu wählen, die zumindest den Druck auf die etablierten Parteien wirksam erhöht und zur Kurskorrektur zum realen, tatsächlichen Wohl unseres Landes mit seiner Bevölkerung führt.
      Nicht zu wählen bedeutet, dass man die gegenwärtige fatale Entwicklung mindestens hinnimmt.

  11. Konrad Kugler Antworten

    @ colorado 07

    Mein Respekt vor BERUFSpolitikern geht gegen Null. Nix gelernt außer Gier, die Diäten sind unverzeihlich hoch, das Grauen vor einem Mandatsverlust und kein Gefühl für Deutschland, Charakterlosigkeit.

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