Warum der gedruckte „Spiegel“ ein Genuss ist
Dieser Blog ist bekannt, ich würde fast sagen berühmt, für unkonventionelles Denken, das – wie der Name sagt – erwünscht ist. Heute möchte ich Ihnen wieder etwas zum Denken geben, das Sie vielleicht überraschen wird: ich will eine Lanze für das linkslastige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ brechen.
Meine Präferenzen bei Printmedien sind eindeutig. Seit fast 40 Jahren lese ich „Die Welt“, die ich damals an der Universität in Bielefeld für ein Jahr kostenlos geliefert bekam, weil ich im RCDS war, danach dann auch deutlich verbilligt. Ich bin der bürgerlichen Tageszeitung bis heute treu geblieben. Damals war sie konservativ, heute ist sie liberal – anspruchsvoll und lesenswert ist sie geblieben. 25 Jahre lang habe ich den Spiegel gelesen, das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“, das es zweifellos auch lange Jahre Jahre gewesen ist. Wie viele Schweinereien in unserer Gesellschaft wurden durch seine Redakteure aufgedeckt? Eine Demokratie braucht unerschrockene Journalisten, sonst funktioniert sie nicht.
Als der großartige Helmut Markwort („Fakten! Fakten! Fakten! Und immer an die Leser denken.“) mit „Focus“ ein bürgerliches Nachrichtenmagazin dagegen setzte, war ich von Anfang an dabei. Als er aufhörte, gefiel es mir schon nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr. Ich verabschiedete mich als Stammleser so wie auch beim gedruckten Spiegel. Dazu müssen Sie wissen, dass ich als politischer Journalist natürlich immer wieder in Spiegel und Focus schauen muss, weil hier oftmals die Agenda gesellschaftlicher Debatten in Deutschland vorgegeben werden. Heute lese ich den gedruckten Focus jede Woche, weil der junge Chefredakteur Robert Schneider dem einstigen Markwort-Magazin eine thematische Breite und eine brillante Optik verpasst hat, die nur noch Spaß bereitet.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass ich seit gut zehn Jahren die konservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ lese – so etwas wie die linksalternative TAZ, nur auf der anderen Seite und journalistisch erheblich anspruchsvoller, sprich: besser.
In den vergangenen drei Tagen habe ich die beiden jüngsten gedruckten Ausgaben des Spiegel gelesen, und es war ein wahrer Genuss. Man denkt ja, das Magazin aus Papier und Spiegel Online seien quasi eins. Doch mitnichten! SPON ist schnell und aktuell, bleibt aber journalistisch weit hinter anderen Medien zurück. Man bedient professionell den Mainstrem und leistet sich mit dem großartigem Kolumnisten Jan Fleischhauer einen brillanten konservativen Autor. Der Rest ist grauer Mainstream-Brei, wie man ihn sonst so konsequent nur noch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern findet.
Aber diese beiden gedruckten Spiegel-Ausgaben waren wie eine Offenbarung nach längerer Zeit, in der ich bewusst auf dieses Lesevergnügen verzichtet habe. „Todesgrüße aus Moskau“ ist der Titel aus der vergangenen Woche überschrieben, eine fesselnde Story über den „mysteriösen Giftanschlag von Salisbury“. Und dann der Beitrag des überragenden Autors Alexander Osang über den Tod einer jungen Amerikanerin im weltweit bekannten Technoklub „Berghain“. Und dann die aktuelle Ausgabe mit dem Titel „Die Falle Facebook“ und den Streitgesprächen mit Feministinnen und Nicht-Feministen*_Innen oder wie man das heute schreiben muss. Klar, ich wollte diese Ausgabe in erster Linie lesen, um zu wissen, wie sich Birgit Kelle, meine Frau, dort geschlagen hat. Und sie war wie erwartet wunderbar. Aber ebenso viel Lesevergnügen hat mir die Geschichte über das politische Ende von Martin Schulz in der SPD bereitet. Nicht, weil ich Freude am galoppierenden Untergang der deutschen Sozialdemokratie habe. Wirklich nicht! Sondern weil der Erzählstil der Kollegen beim Spiegel oftmals mitreissend und ein intellektueller Genuss sind. Etwa wenn wir erfahren, dass Schulz Freundschaften in der Politik für möglich hält und dann hinzufügt: „Aber vielleicht nicht mit Sigmar Gabriel.“
Oder als er auf dem Weg nach Berlin ist, wo er den Vorsitz der traditionsreichen Arbeiterpartei SPD abgeben wird und die Limousine am Flughafen wegen einer „Reifendrucksystenstörung“ nicht weiterfahren kann. Der Autor beschreibt, wie Schulz danach „verfolgt von überraschten, mitleidigen Passantenblicken einmal quer durch den Flughafen“ läuft, um dann in ein Taxi zu steigen. Der Spiegel-Journalist weiter: „Ein Vorgeschmack aufs neue Leben.“ Ganz groß!
Ich habe heute Morgen beschlossen: Ab dieser Ausgabe gehört der gedruckte Spiegel wieder zu den Blättern, die ich regelmäßig lesen werde.
Lieber Herr Kelle. Auch ich bin Spiegelleserin… trotzdem… und zwar seit gefühlt 56 Jahren. Lag halt montags zum Briefkasten und die Kinder bekamen ihn eben nach der Schule eher in die Finger als der Papa. Heute stoße ich auf den Reigen, und da fiel mir auf, dass mein Verzicht auf Facebook (nach der BTWahl) mich vollkommen von News von Birgit abgeschnitten hat. Es sei denn, Tichy oder Broder bringen was… lange Rede kurze Bitte: Sie möge bitte einen FB-unabhängigen Feed/Blog einrichten. Dann wäre ich Abonnent (Gen.Maskulinum…) No. EINS. HG Susanne Demmer aus FFM
Journalistische Kunst hin oder her, für mich ist entscheidend, wohin ein Medium die Gehirne seiner Nutzer wäscht.
Großartig! Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.
sehr treffend.
Ist jemand hier manchmal auf Dienstreise und deshalb am Wochenende allein? Ich rate: ein schönes Café, einmal Brunch, viel innere Gelassenheit und der SPIEGEL oder auch die ZEIT. Man kommt zufrieden in die Herberge zurück.
Aber um die ZEIT zu lesen, brauchs
mehr als ein Wochenende.
Und dann kaeme bereits die Neue…
Und wie bewerten dann die geneigten Leser den Beitrag von Georg Blume im Spiegel über das neueste Attentat in Frankreich? (Sinngemäss wohl: Mit diesem Attentat ist Frankreich reifer geworden)
Sie suchen ein Medium, in dem Ihnen alle Artikel gefallen, liebe Frau Bose? Dann viel Vergnügen!
Wohl wahr, lieber Herr Kelle, dieses Luxusproblem habe ich. Das beantwortet aber noch nicht meine Frage, an deren Beantwortung ich ernsthaft interessiert wäre.
Viele Grüße
Heidi Bose
Liebe Frau Bose,
die Frage kann ich natürlich beantworten, aber – glauben Sie es oder nicht – ich sitze gerade daran drei Artikel für Kunden fertigzustellen und mich auf ein Radiointerview vorzubereiten. Ich habe in den nächsten zwei, drei Stunden echt keine Minute Zeit. Aber ich empfehle Ihnen einen Beitrag meiner Kollegin Jennifer Pyka zu dem Herren, in dem Sie interessante Zitate finden wie:
„Der Zionismus, ursprünglich eine nationalistisch-politische Bewegung des Judentums, dominiert inzwischen weitgehend das Denken des Westens. Er sorgt dafür, daß die ruhmreiche Geschichte des christlichen Abendlandes in eine Kriminalgeschichte des „Antisemitismus“ uminterpretiert wird; daß europäische Rechtsprechung, den Holocaust betreffend, immer mehr zur unsere Rechtskultur deformierenden Gesinnungsjustiz gerät; daß schließlich Auschwitz zum neuen Golgatha gemacht wird und ein allgegenwärtiges Holocaust-Gedenken das Christentum als Leitreligion des Westens verdrängt.“
http://jennifernathalie.blogspot.de/2016/05/die-protokolle-des-afd-weisen-vom.html
Tausend Dank lieber Herr Kelle, dass Sie trotz Ihrer knappen Zeit sich diese für meine Frage genommen haben. Ich habe mich informiert, es handelt sich um Dr. Wolfgang Gedeon, einen jetzt fraktionslosen Abgeordneten. Sein Parteiausschlussverfahren läuft anscheinend noch, ich bleibe da dran.
Heidi Bose
Lieber Herr Kelle,
ich mag den Spiegel nicht, weil in den Artikeln, zu denen ich mich erinnere, die Information kleingehackt und unsystematisch war. Dies hatte den Effekt , daß man meinte, es besser zu wissen. Und in Wahrheit war man auf eine Denke hingelenkt worden, ohne eine eigene Analyse geschafft zu haben.
Spiegel: nein danke !
HaPi
Mag den Spiegel auch nicht!!
Liberal?
Was haben doch Augstein u. Genossen, ueber FJS gezeichnet?
Es war widerlich, weit unter Bauchnabel!
Pressefreiheit Spiegel?
Welche?
Doch nur die Eine.mm
„Dieser Blog ist bekannt, ich würde fast sagen berühmt, für unkonventionelles Denken…“
Kann sein, solange nicht gegen Ihre festgezurrte Pro-Amerikanismus und Anti-Russismus unkonventionell kommentiert wird.
Also, wenn ich an Ihre Beiträge denke, dann scheint mir, daß dort das Gegenteil gilt: nämlich festgezurrter Pro-Russismus und entsprechend festgezurrter Anti-Amerikanismus. Ich halte ein bißchen mehr Ausgewogenheit in beide Richtungen für nötig.
Ja, der liebe Herr Lerche hält Russland wirklich für einen prosperierenden Rechtsstaat. Aber sonst ist er wirklich ein sehr sympathischer Mensch!
Auch Sie sollten Herrn Albrechts letztem Satz besonderes Augenmerk schenken, lieber Herr Kelle. Es ist die Ausgewogenheit, welche der Kommentator in diesem ausdrücklich anmahnt. Zurecht, wie ich meine.
Ansonsten: frohe Osterfeiertage!
Lieber Herr Kelle, das funktioniert weder in der Ehe noch auf internationalem Tableau, dass man den anderen verändert nach seinen Vorstellungen, und schon gar nicht mit Druck.
Russland ist kein „Rechtsstaat“, wie man ihn sich hierzulande vorstellt. Es sehe es als zu kurz an, wenn man andere Länder nur nach den aktuellen eigenen Maßstäben misst. Und fatal wäre es, würden wir die Bewertung anderer Länder (wie z.B. Russland) fremdbestimmt als Büttel bzw. Instrument Dritter vornehmen. Ich möchte nicht in Russland leben, auch nicht in USA, dann schon lieber in Fernost in einem friedfertigen Land. Ich bin weder Pro- noch Anti-Russland! Ausgewogenheit erzeuge ich durch Opposition zu Herrn Kelles einseitiger Positionierung, indem ich ein Bild dagegen zeichne. Eigentlich verorte ich mich als Realist, als emotionsloser Analytiker, wirklich frei im Denken und ohne Scheu, mir dadurch berufliche Nachteile einzufangen. Ich sehe überhaupt keinen Sinn, keine halbwegs produktive/nützliche Vorgehensweise darin, wie der Westen seit Jahren und jetzt aktuell mit Russland umgeht. Das hilft weder uns noch den Russen dort im Lande. Da werden gemeinsame Gesprächsplattformen verlassen, wo die Russen im Begriff waren, sich zu integrieren und Verantwortung zu übernehmen. Da schickt man Diplomaten nach Hause, wohl wissen, dass es umgekehrt folgen wird. Da benimmt man sich wie im Kindergaren, wie im Sandkasten: „Mit Dir spiele ich nicht mehr!“ und „Mit Dir rede ich nicht mehr!“ Mal ernsthaft gefragt: Wohin führen solche unsinnigen Zuspitzungen?
Ich möchte nochmal daran erinnern, dass es unser Geld ist und unser Wohlstand, der abgeschöpft und für bzw. über zusätzliche Rüstung umverteilt wird. Auch wenn hoffentlich keine Seite einen Krieg will, so ich in diesem Ausreizen zum Zeck für Aufrüstung ein großes Risiko für den Frieden.
Hoffentlich werden wir das nicht mit dem Leben bezahlen. Das Machtstreben reicher Leute ist unser Leben nicht wert!
Danke für Ihren Kommentar, lieber Herr Lerche. Genau so sehe ich die Sache auch.
Frohe Ostern!