Wem kann man überhaupt noch vertrauen, wenn nicht einmal mehr Priestern?

Ich erinnere mich noch genau an diesen Abend in Köln. Es war in der Vorweihnachtszeit 2010, und ich war mit einem hochrangigen Mann der katholischen Kirche in Deutschland zum Essen verabredet. Ein Hintergrundgespräch „unter Drei“, wie man das in Journalistenkreisen nennt. Wir saßen in einem kleinen italienischen Lokal an der Aachener Straße, tranken wunderbaren Wein aus Sizilien, aßen Pasta und Fisch. So ein wenig Einstimmung auf das kurz bevorstehende Weihnachtsfest, der Geburtstag unseres Herrn Jesus Christus, dachte ich. Im Nachhinein fehlte am Menü nur ein herrlich duftender Bratapfel mit Rosinen, Nüssen und Marzipan als Dessert, dann wäre der Abend kulinarisch perfrekt gewesen.

Doch Weihnachtsstimmung kam nicht auf, denn nach ein paar Minuten privaten Geplänkels kam der Mann gegenüber zur Sache. Gerade waren einzelne schlimme Fälle von sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener in katholischen Schulen und Kinderheimen bekannt geworden. „Das ist nur eine kleine Spitze des Eisbergs“, sagte mein Gesprächspartner und griff zu seinem Weinglas. „Da kommt eine Lawine auf unsere Kirche zu von einem Ausmaß, das Du dir nicht einmal vorstellen kannst!“

Wir redeten den ganzen Abend nur über dieses Thema. Er erzählte mir von Ermittlungsakten, die er eingesehen hatte, vom Leid der Kinder, deren Eltern dieser 2000 Jahre alten Institution blind vertraut hatten. Wem, wen nicht einem katholischen Priester kann man seine Kinder anvertrauen? So fragten wir uns und redeten und redeten. Hängt dieses schlimme Thema mit dem Zölibat zusammen, der Ehelosigkeit von katholischen Klerikern? Unfug, denn 90 Prozent der sexuellen Übergriffe auf Kinder, geschehen in der Familie und dem Bekanntenkreis. Da gibt es kein Zölibat, aber Missbrauch jede Menge. UndwWie groß wird der Schaden für die Institution Weltkirche sein, und was wird mit dem Pontifikat des deutschen Papstes Benedikt XVI?

Nein, es war kein unbeschwerter Abend wie einige Male zuvor. Keine Witzchen über den ein oder anderen Monsignore, kein Austausch über all die unappetitlichen Machtspielchen in der Bischofskonferenz. Der Abend war bedrückend, einfach nur bedrückend. Als dann später all der Dreck öffentlich wurde, die schrecklichen Enthüllungen aus katholischen Einrichtungen rund um den Globus, da habe ich immer wieder an dieses Abendessen in Köln gedacht. So auch heute Nachmittag, als ich mich journalistisch mit den schlimmen Vorgängen beschäftigen musste, die sich im katholischen Jungenheim für schwer Erziehbare nahe München ereignet haben sollten. Vor vielen Jahren, aber das macht es ja nicht besser.

Ich habe ein emotionales Verhältnis zu meiner Kirche, in der ich als Kind nicht sozialisiert und in die ich nicht hineingeboren wurde. Und ich stehe fest in meinem  Glauben, den ich vor etwa 30 Jahren entdeckt habe. Damals folgte ich der ungeheuren Faszination des polnischen Papstes Johannes Paul II. Und bis heute bin ich ein Teil der Kirche Jesu, gläubig, demütig – ok, ich gebe zu, das mit der anderen Wange, die man hinhalten soll, wenn man geschlagen wird, das macht mir zu schaffen, denn es widerspricht meinem Naturell. Aber das ist ein anderes Thema.

Was ist Ihnen sagen will: ich kenne inzwischen so unglaublich viele wunderbare Christen – katholische wie evangelische – , die ihren Glauben ernstnehmen und leben. Für die das tägliche Gebet zum Tag dazugehört wie Brot und Kaffee am Morgen. Als ich 2016 einen schweren Herzinfarkt erlitt, war der erste Besucher bei mir auf der Intensivstation ein katholische Priester, den ich seit vielen Jahren kenne. Mein Freund Felix hatte ihn angerufen, um zu erzählen, was passiert war. Und er ließ alles stehen und liegen und raste zum Krankenhaus, um mir beizustehen. Das werde ich ihm nie vergessen. Ich könnte hier zwei Stunden weiterschreiben über viele schöne Dinge und unglablich viel Gutes, was die Kirche Christi leistet auch heute. Über wunderbare Priester und Ordensleute, über Laien in der Gemeindearbeit und bei den Sozialdiensten. Nein, die Kirche Jesu ist kein Sündenpfuhl, sie ist nicht Satans Spielwiese.  Aber sie ist schwer angeschlagen durch das Wirken wirklich böser Menschen, Menschen, die ich abgrundtief verachte für das, was sie sind und was sie getan haben.

Falls Sie den konzern- und staatsunabhängigen Journalismus mögen, den ich und wir hier und auf unseren anderen Portalen pflegen, freuen wir uns über jede Unterstützung auf PAYPAL oder dem oben auf der Startseite zu findenden Spenden-Button. Herzlichen Dank!

image_pdfimage_print

Dieser Artikel wurde 20 mal kommentiert

  1. wkrueger Antworten

    Lieber Herr Kelle,

    wir wissen, was Jesus zu den Verführern gesagt hat (mit Mühlstein um den Hals versenken).

    Deshalb ist richtig und wichtig, dass (im Gegensatz zu bestimmten grünen und so genannten liberalen Bestrebungen in den achtziger Jahren) sexuelle Handlungen an Kindern in unserem Rechtssystem schwere Vergehen sind.

    Bezüglich entsprechender Vorfälle in Einrichtungen für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche, muss jedoch zusätzlich folgendes berücksichtigt werden:
    Wir, die wir in liebevollen Familien sozialisiert worden, können uns kaum vorstellen, wie schwer und anhaltend sozial und emotional gestört schon Kinder und Jugendliche sein können, wenn die ersten Lebensjahre desolat verlaufen. Diese Auffälligkeiten führen regelhaft in die Delinquenz. Weil diese Jugendlichen Bindungsgestört sind haben sie oft auch Schwierigkeiten Nähe und Distanz richtig ein zu halten, zudem fehlt Ihnen oft ein großer Teil der Gewissensfunktion. Sie handeln egozentrisch, für das Wohlergehen anderer haben sie kein Gespür. Aufgrund dieser Bindungslosigkeit tendieren sie zu sexualisiertem Verhalten, zu Delinquenz, Drogenmissbrauch und Gewalttätigkeit.

    Skrupellose Erwachsene können diese Jugendlichen sehr leicht ausnutzen.

    Aber sehr oft scheitern auch gut meinende, kompetente und engagierte Erzieher an diesen kaputten Kindern und Jugendlichen.

    Ich weiß wovon ich rede, denn dies betrifft meinen beruflichen Alltag.

    Mein Fazit daraus: Stärkt um Himmels willen die Herkunftsfamilien. Wo Eltern nicht oder nicht vollständig Erziehungsfähig sind, unterstützt sie ganz praktisch im Alltag in der Erziehung. Ziel sollte sein, dass die Kinder und Jugendlichen nicht unnötig in Wohngruppen untergebracht werden. Leider gibt es solche kompetenten Erziehungshelfer viel zu wenig, die meisten verbringen 2 Stunden in der Woche in der Familie, trinken dort Kaffee und quatschen, übernehmen aber keinen Erziehungsauftrag. So können desolate Familiensituationen nicht verbessert werden. Allerdings gibt es auch in Einzelfällen Eltern, die anhaltend negativ aufs Kind wirken, völlig beratungsresistent sind. In diesen Fällen ist manchmal eine Unterbringung in einer Wohngruppe, die aber sehr gut sein muss, nicht zu vermeiden.

  2. Klaus Beck Antworten

    Lieber Herr Kelle,
    die Antwort auf Ihre Frage im Titel: einfach mal unter „Halo-Effekt“ nachschauen …

  3. Stefferl Antworten

    Guten Morgen!

    Ich habe vor einigen Jahren einmal einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über Kindesmißbrauch in der katholischen Kirche gelesen. Die Süddeutsche ist ja nicht gerade für ihre christliche Ader bekannt. Dennoch las ich darin eine interessante Zahl über die Mißbrauchsquote in katholischen Einrichtungen gegenüber der in öffentlichen Einrichtungen. Dort wurde eine Studie zitiert, nach der die Mißbrauchsquote unter „normalen“, weltlichen Erziehern ca 10 Mal so groß war, wie in christlichen Einrichtungen bzw. unter Pfarrern oder Priestern. Bezüglich der Einzelschicksale ist das natürlich immer noch traurig. Insgesamt betrachtet, kann man sein Kind aber deutlich eher einem Priester anvertrauen, als einem x-beliebigem Erzieher im Auftrag der öffentlichen Hand.

    • HB Antworten

      Hä? Und weil das eine so schöne Statistik ist, die in Ihr naives Weltbild passt, glauben Sie die? Na, Ihr Kind würde ich nicht sein wollen!
      Dann fragen Sie einmal die Ettaler Missbrauchsopfer! Übrigens, bis heute nicht veröffentlicht und die Täter nicht verurteilt. Da wartet man wohl auf die Verjährung, wie in Regensburg.
      Jesus hätte alle diese pädophilen und flüchtlingsmafösen Pfaffen mit der Peitsche aus seinen Tempeln geprügelt!
      Entschuldigung, aber mir kommt gerade die Galle hoch!

      • Christoph Friedrich Antworten

        Fragen sie doch einmal die Opfer von der Odenwaldschule, von Turn- und Sportvereinen usw.

        Also schlucken sie mal Ihre giftige Galle herunter und nehmen Sie einfach zur Kenntnis, daß die Mißbrauchsquote in weltlichen Einrichtungen tatsächlich höher als in kirchlichen Einrichtungen ist.

  4. Christ343 Antworten

    Der Theismus muss durch den Pantheismus ersetzt werden. Heilige Messen sind überflüssig. Mystik und Spirituelles Heilen müssen gefördert werden. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

    • Christoph Friedrich Antworten

      Wieso nennen Sie sich eigentlich „Christ…“ ?

      Im übrigen halte ich Pantheismus für unsinnig und Heilige Messen für sehr wichtig .

  5. Christoph Friedrich Antworten

    Lieber Herr Kelle,

    Sie schreiben von katholischen und evangelischen Christen – kennen Sie keine orthodoxen Christen, z.B. Griechen, Serben oder Ukrainer? Mir scheint es mitunter, daß gerade die Orthodoxen inzwischen Gott noch am ehesten recht ehren (und damit ihrer Konfessionsbezeichnung = Rechtehrende entsprechen). Ein Erlebnis mit einem russischen Chor in einer katholischen Kirche bleibt mir unvergessen: Vor Konzertbeginn trat ein Sänger hervor und bat die Zuhörer, doch nicht zu applaudieren, sei man doch in einer Kirche, und alles in einer Kirche geschehe doch zur Ehre Gottes. Wie sieht es dagegen in katholischen und erst recht in evangelischen Kirchen aus? Da wird applaudiert wie in einem Theater, auch geschwätzt und z.B. während Chorproben auch gegessen und getrunken ähnlich wie in einer Kneipe. Jener Orthodoxe spürte noch die Heiligkeit des Ortes – ein Gespür, das leider vielen Katholiken und Evangelischen verlorengegangen ist.

    Übrigens: Auch ich bin Katholik, gleichsam mit Herz und Seele. Und ich liebe diese Kirche, auch wenn mir so Einiges an ihrem derzeitigen Zustand mißfällt und ich das auch kritisiere. Das gilt auch für mein Vaterland, Deutschland. Liebe und Kritik schließen sich eben keineswegs aus, oder anders gesagt: Wenn man etwas kritisiert, heißt das noch lange nicht, daß man das auch haßt …

  6. Christ343 Antworten

    @ Christoph Friedrich
    Das kirchliche Christentum muss nicht in allem dem wahren Christentum entsprechen. Es gibt auch alternative Ansätze, z. B. die (christliche) Anthroposophie Rudolf Steiners.

    • Christoph Friedrich Antworten

      Pantheismus ist unchristlich, wider den christlichen Glauben. Wenn Rudolf Steiner Pantheist war, war er KEIN Christ.

  7. gerd Antworten

    Es gab da mal einen Fall, wo ein Gynäkologe heimlich seine Patienten während der Untersuchungen gefilmt hatte. Das hat allerdings nicht dazu geführt, das Vertrauen in die Ärtzeschaft dauernd zu beschädigen. Oder hat irgendjemand einen Shitstorm in Bezug auf diese Fachmediziner bemerkt? Also mal etwas runterkommen, ohne die Straftaten von Ärzten oder Priestern zu verharmlosen. Etwas Vorschuss an Vertrauen sollte jeder Mensch verdienen, sonst ist ein Zusammenleben in der Gesellschaft unmöglich.

  8. S.T. Antworten

    Lieber Gerd,
    ich rate Ihnen, sich gut festzuhalten für das, was dieser Tage von Amerika ausgehend ans Tageslicht geholt wird. Und was ursächlich auch mit der durch und durch korrumpierten Weltkirche zu tun hat. Ich sage nur rote Schuhe…
    Wer 1+1 zusammenzählen kann bzw. gewillt ist, dies auch zu tun, sieht schon lange das, was da verborgen werden und bleiben sollte.
    Von entgegen gebrachtem Vertrauen zu reden, daran zu appellieren, ist allerdings das Allerletzte, was jetzt angemessen wäre.
    Vertrauen kann ich nur jemandem, den ich durch und durch kenne, auf den ich mich verlassen kann. Und selbst dann können Dinge geschehen, die entzweien. Dann kann ich mich als Erwachsene versuchen zu schützen. Um wie viel mehr sind Kinder dazu nicht in der Lage?…!!! Sie sind im Zweifel wehrlos ausgeliefert.
    Vertrauen muß man erwerben, erarbeiten. Das ist etwas ganz ganz Heiliges. Das gibt es nicht auf Vorschuß!
    Alles Gute
    S.T.

    • gerd Antworten

      Liebe(r) S.T.
      Es gibt gar nicht genug Griffe um mich in irgendeiner Form noch festhalten zu können. Die sog. Nachrichten sind noch kaum von der persönlichen Meinung der Überbringer zu unterscheiden.
      Zum Thema Vertrauen: Unterschiedslos alle Priester, um bei dem aktuellen Beispiel zu bleiben, nun an den Pranger zu stellen, so nach der Art, das sind doch alles Verbrecher, bringt die Sache auch zu keinem guten Ende. Wenn mir ein Geistlicher gegenüber steht, den ich nicht kenne, dann gehe ich erst mal davon aus, dass dieser keine Kinder missbraucht hat. Das meine ich mit etwas Vorschuss an Vertrauen.
      Auch Ihnen alles Gute

      • HB Antworten

        Daß Problem ist nicht nur das Schwein, das Kinder missbraucht! Das Problem ist die moralische! Instanz, die diese Schweinereien deckt, klein redet und / oder vertuscht!

  9. Martin Antworten

    Was ich interessant finde, ist die Jenseitsvorstellung bei den verschiedenen Religionen: Soweit ich weiß, spielte im Alten Testament das Jenseits kaum eine Rolle. Ich bin kein Experte, aber ich habe es so verstanden: Es gibt eine Art Vertrag zwischen Jahwe und den Juden: Die Juden tun, was Jahwe will und als Gegenleistung erhalten sie ein schönes Leben auf Erden (große Herden, viel Land, eine große Nachkommenschaft, …). Das Jenseits als Belohnung spielte keine Rolle.
    Bei den antiken Griechen war das Jenseits nur ein Schattenreich, das mies für alle war – ganz egal wie sie zu Lebzeiten gelebt haben. Bei den Ägyptern war das Jenseits fast wichtiger als das Diesseits.
    Meine Hypothese: Das Jenseits als Belohnungssystem war nur notwendig, wenn das reale Leben zu mies war.

    • Christoph Friedrich Antworten

      Hm – die Pyramiden Ägyptens, die Grabbeigaben unterschiedlicher Völker wie Kelten, Germanen und Skythen deuten doch sehr darauf hin, daß der Glaube an ein jenseitiges Leben sehr weit verbreitet war.

      • Martin Antworten

        Bei Ägypten haben Sie recht. Bei den Germanen waren es angeblich nur die Männer, die mit dem Schwert in der Hand starben, die nach Walhalla kamen.
        ei den Griechen war das Jenseits nicht schön – ganz egal wie die Person gelebt hat. Und im AT spielte das Jenseits eine eher untergeordnete Rolle.
        Auf jeden Fall glaube ich, dass der Jenseitsglaube bei uns (Man erhält im Jenseits den Lohn oder die Strafe für das Diesseits) nicht in allen Kulturen verbreitet war, sondern schon speziell ist. Und das finde ich interessant.

  10. UJ Antworten

    Benedikt XVI. machte vor rund einem Jahr die 68er-Bewegung mitverantwortlich für die Kirchenkrise und hier insbesondere für die rasante Zunahme der Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker und Ordensleute:
    https://www.katholisch.de/artikel/21325-benedikt-xvi-68er-sind-verantwortlich-fur-missbrauchsskandal

    Aufgrund diesen Artikels wurde Benedikt teils massiv angegangen – schließlich stellt er in seinem Text ein gängiges Narrativ, nämlich dass die sexuelle Revolution den Menschen „befreit“ und die Gesellschaft verbessert habe, in Frage. Eine interessante (und von vielen überlesenes) Aussage Benedikts ist, dass das 68er-Phänomen mit dem Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie, insbesondere der Sexualmoral zusammenfalle. Er beschreibt hier also zwei parallel verlaufende Entwicklungen, die sich in ihren Auswirkungen gegenseitig verstärken: Auf der einen Seite die „weltliche“ Entwicklung, dass in sexueller Hinsicht beinah alles erlaubt sei, auf der anderen Seite die zunehmende Scheu der Theologen, an der Überzeugung festzuhalten, dass es – gerade in sexueller Hinsicht – Handlungen gebe, die in sich schlecht und unmoralisch seien.

    Die kirchenrechtliche Perspektive spricht Benedikt leider kaum an, aber auch sie spielt hier mit hinein. Im CIC vom 1917 wurden Priester, die ihr Zölibatsversprechen brachen, noch folgendermaßen sanktioniert: automatischer Verlust aller Ämter und Privilegien, in schweren Fällen dazu noch die Exkommunikation. Diese Regelungen wurden in den 1970 Jahren kaum mehr angewandt. Im CIC von 1983 wurde jedwede automatische Sanktion in diesem Zusammenhang abgeschafft, etwaige Strafen für Sexualdelikte wurden ins Belieben des Ortsbischofs gestellt.

    Damit hatte man mancherorts den Bock zum Gärtner gemacht, wie z.B. der Fall des ehemaligen Washingtoner Kardinals McCarrick zeigt, der sich auf Bistumskosten eigens ein Anwesen erwarb, wo er sich an Minderjährigen und Priesteramtskandidaten verging. Diejenigen Priester, die unter McCarrick Karriere machten und Bischöfe wurden, hatten z.T. ihrerseits mit massiven Missbrauchsvorwürfen zu kämpfen.

    Von daher, Herr Kelle, kann ich Ihnen einerseits nur Recht geben, wenn Sie sagen, dass es in der Kirche sehr viele gute Priester gebe. Andererseits muss aber auch gesagt werden, dass der Missbrauchsskandal nicht nur auf das Fehlverhalten einzelner zurückzuführen ist. Dadurch dass Pädophile wie McCarrick (und er ist nur ein Beispiel von vielen) in einflussreiche Positionen gelangten, konnten sie die Karriere von Gleichgesinnten befördern, die ihrerseits entweder selbst zum Täter wurden, oder zumindest Täter deckten.

    Beim sexuellen Missbrauch durch Kleriker handelt es sich m.E. also sehr wohl um ein systemisches Problem. Es genügt nicht, auf die vielen guten Priester zu verweisen, um dieses Problem zu beheben. Vielmehr muss sich die Kirche auf ihre Morallehre und das kirchliche Strafrecht zurückbesinnen. Letzteres fordert auch immer wieder der ehemalige Präfekt der apostolischen Signatur, Kardinal Burke. Dabei gilt es, nicht nur auf die einzelnen Täter zu schauen, sondern auch auf diejenigen, die ihre Treiben deckten, vertuschten, vielleicht sogar insgeheim gut hießen.

    Ob dies jedoch unter Franziskus geschehen wird, wage ich zu bezweifeln. Benedikt hatte in seiner Amtszeit zahlreiche Kleriker und Bischöfe sanktioniert – allerdings nicht öffentlich, um keinen Skandal zu verursachen. Rückblickend hat sich das m.E. als Fehler erwiesen, denn viele Sanktionen Benedikts wurden durch seinen Nachfolger aufgehoben – auch hier liefert McCarrick das prominenteste Beispiel. Franziskus hatten den Kardinal rehabilitiert und zu seinem Berater gemacht. Erst als der öffentliche Druck zu groß wurde, ließ er McCarrick fallen.
    Gutes Krisenmanagement sieht anders aus.

  11. Yllunis Antworten

    All diejenigen, die mit dem Finger auf die Priester schauen und mit Statistiken wedeln, vergessen gerne, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen häuslichen und auch sexuellen Gewalt angezeigt wird. Der Weiße Ring vermutet nur 10% der Opfer erstatte überhaupt Anzeige.
    Aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen: es ist schwer. Erster sexueller Missbrauch durch einen 16 jährigen Nachbarn als ich gerade mal 8 Jahre alt war. Kam heulend nach Hause. Wurde von meiner Mutter anschließend grün und blau geschlagen, mit der Begründung: „Erzähl keine Lügengeschichten!“ Die anschließenden Vergewaltigungen habe ich entsprechend niemandem mitgeteilt.
    Zehn Jahre später die letzte Vergewaltigung durch einen anderen Täter, den ich nicht kannte. Ebenfalls nicht zur Anzeige gebracht. Warum? Zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach schlechte Erfahrungen mit Jugendamt und Polizei gemacht, die an entsprechender Stelle wahlweise desinformiert, desinteressiert, überfordert waren und es einfacher ist, wegzuschauen als seine Arbeit zu tun.
    Wer schon einmal Strafanzeigen gestellt hat, weiß wie man bei der Aufnahme des Protokolls teilweise extrem uneinfühlsam zerlegt wird und sich gar nicht traut, etwas zu sagen. Aus Angst das falsche zu sagen. Das einem sowieso nicht geglaubt wird.
    Wer es schon erlebt hat, wie Anklage wegen widersprüchlicher Aussagen abgewiesen wurde, hat kein Vertrauen in dieses System.
    Zumal gerade im Bereich sexueller Missbrauch die Opfer oftmals wie Täter behandelt werden. Was bei einer gerade schwer traumatisierten Person nicht dazu beiträgt, die wenige Zeit, in der man gerade aus denken kann, mit einer Anzeige und dem dazugehörigen Verfahren zu vergeuden. Dann eher verzweifeln bis man einen Therapieplatz bekommt und beten, dass alles irgendwann ein bisschen besser wird. Denn gerade im Bereich Unterstützung von Kindern, Jugendlichen, Gewaltopfern generell bestehen auch in Deutschland massive Defizite.
    Natürlich ist es leicht, die Priester auf das Schärfste zu verurteilen. Und danach die Augen wieder ganz eng zudrücken, damit man Blog nicht mitbekommt, was links und rechts im eigenen privaten Umfeld schief läuft.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert