Gregor Gysi tritt heute von der großen Polit-Bühne ab. Kaum vorstellbar, hat er sich doch in 25 Jahren vereintes Deutschland einen ähnlichen Status erarbeitet, wie einst Helmut Kohl. Irgendwann dachte man: der ist gesetzt und gehört einfach immer dazu. Unabwählbar, sozusagen! Ich gebe zu, ich habe Respekt vor Gysi. Nicht dass ich falsch verstanden werde: der IM Notar-Vorwurf ist unvergessen, die Anschuldigungen in Bezug auf eine wahrscheinliche StaSi-Connection stehen bis heute im Raum, und seine Partei SED/PDS/Linke finde ich heute immer noch so widerwärtig wie früher – aber Gysi ist ein Typ, einer, der mitreißend formulieren kann, der klug und jederzeit schlagfertig ist, und der – da bin ich sicher – längst begriffen hat, wie sehr ein freiheitliches demokratisches System einem Unrechtsstaat wie der früheren DDR überlegen ist. Immer wieder gelang es ihm, pointiert den Finger in die Wunde zu legen und aufzuspießen, wo es eben nicht rund läuft in der neuen gemeinsamen Bundesrepublik. Es ist ja bei weitem nicht alles rosarot hier. Kurzum: Auch wenn er sicher noch hin und wieder als „einfacher Abgeordneter“ das Wort ergreifen wird, nun steht Gysi in der zweiten Reihe. Dem bräsigen Politbetrieb in Berlin wird er fehlen, und er hinterläßt eine so große Lücke, dass sich nun immerhin die Perspektive eröffnet, dass es mit seiner Partei endlich bergab geht. Das hat er bravourös 25 Jahre lang verhindern können. Hauptsächlich er allein.

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Dieser Artikel wurde 2 mal kommentiert

  1. David Decker Antworten

    Teilweise geb ich dir mit deiner Einschätzung recht. Viele von Gysis Gegnern haben den Fehler gemacht, ihn abzutun und zu unterschätzen.

    Allerdings hat er das alles nicht allein „vollbracht“, der Herr Gysi: einer seiner Hinterköpfe ist sein Nachfolger, nämlich Dietmar Bartsch. Weitere Strippenzieher (nicht nur im Hintergrund) waren bzw. sind Andre Brie sowie Lothar Bisky.

    Zu diesen Hintergründen sei die Lektüre von Vera Lengsfeld empfohlen, die diese Zusammenhänge (aufgrund ihrer Biographie…) sehr gut darstellt.

    In einem sind wir uns aber einig: je eher es mit dieser Partei bergab geht, um so besser! 😉

  2. Andreas Schneider Antworten

    Dem kann ich mich anschließen.

    Bei Gysi war ich über all die Jahre hin- und hergerissen – wie bei einigen anderen Politikern hatte ich bei ihm oftmals das Empfinden, dass er in der falschen Partei gelandet sei.

    Herr Decker, die „Strippenzieher“ haben zwar sehr wohl ihren Anteil, aber dennoch war Gysi die „Lichtgestalt“, der die Linke über Jahre hinweg einen großen Teil ihrer öffentlichen Wahrnehmung verdankt. Bisky, Bartsch und Brie würde ich eher dem „Bräsigen“ des Politikbetriebs zuordnen, um Herrn Kelles Worte heran zu ziehen.

    Neben dem nun – hoffentlich – zu erwartenden Niedergang dieser Rest-SED bewegt mich seit geraumer Zeit ein (zugegeben) etwas verstörender Gedanke; als Nachfolger der SED mögen so mache Linke unserer Tage davon betroffen sein: die SED stand für die Politik eines Unrechtsstaates, dessen Unrecht nun nicht eben durchgängig hat aufgearbeitet werden können (sollen?). DAS wiederum erinnert fatal an die Nachkriegszeit, in der – und sei es aus damals so empfundenen „guten“ Gründen – auch Vieles an juristischer Aufarbeitung versäumt wurde. Betrachte ich so manches heutige übereifrig erscheinende Vorgehen der Justiz, die über 90jährige Greise wegen Verfehlungen zu NS-Zeiten in sehr jungen Jahren vor Gericht stellt, so kann ich mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass uns in etwa 20 Jahren eine vergleichbare Welle der Aufarbeitung von DDR-Unrecht blühen mag.

    Ob wir also am Ende auch Gregor Gysi noch einmal sehen werden – auf der Anklagebank, wo er sich gegen den „IM Notar“ u. dgl. m. zu verteidigen haben wird?

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