GASTSPIEL RAINER STENZENBERGER: Nach oben sitzen in der Politik

 

38 Grad im Schatten, flirrende Luft über dem Asphalt und ein Getriebeschaden. Irgendwo im Niemandsland zwischen Colorado und Utah streikte vor vielen Jahren unser Mietwagen. Immerhin rollte der Chevy noch im Schritttempo und vier Stunden später saß ich in der Polizeistation eines kleinen, staubigen Ortes dem Deputy gegenüber, einem freundlichen Navajo namens Jameson, genannt Jimmy. Er wickelte die Telefonate mit der Mietwagenfirma ab, die uns einen neuen Wagen vorbeibringen wollte. Die Zeit bis dahin verbrachten wir mit allerhand Small Talk, bis uns Jimmy stolz seinen neuen Streifenwagen zeigte. Ein Prachtstück, typisch USA, mit Bullenstoßdämpfern und Bullenmotor, vor allem aber einem Computer in der Mittelkonsole, der neueste Schlager! Der Schlitten wurde vom frisch gewählten Polizeichef angeschafft – ein Wahlkampfversprechen. Sein Gegner hatte als Programm mehr Radarkontrollen vorgeschlagen, um die Einnahmensituation zu verbessern. Da den Bewohnern des dünn besiedelten Countys Sicherheit durch einen mobilen Deputy wichtiger als eine gut gefüllte Stadtkasse war, gewann Tucker F. die Wahl und Jimmy erhielt einen neuen Streifenwagen.

So werden nahezu alle öffentlichen Posten in den Vereinigten Staaten vergeben: Menschen wählen Menschen, die vorher sehr genau erläutern, was die Wähler zu erwarten haben. Vom Sheriff über den Bezirksstaatsanwalt, vom Feuerwehrchef über den Gouverneur, vom Senator bis zum Präsidenten.

Hier in Berlin kennen nur wirklich Interessierte die, um im obigen Beispiel zu bleiben, aktuelle Polizeipräsidentin. Sie ist nie im Polizeidienst gewesen, musste sich nie Wählern erklären und kam durch den SPD-Innensenator an den Job. Das ist der typische Weg für die meisten öffentlichen Ämter in Deutschland. Hunderte, wenn nicht tausende Positionen werden auf diesem Weg vergeben. Vom Bundesamt für Irgendwas über Zweckverbände für Abwasser, Wasser oder Müll, in der Justiz und Polizei, in den Öffentlich-Rechtlichen Medien oder Stadtwerken.

Obwohl die Parteien massiv Mitglieder verlieren und inzwischen nur noch rund ein Prozent der Bevölkerung repräsentieren, halten sie das Land im Griff. Ihr wichtigstes Machtinstrument nach innen ist die Liste. Damit werden eigene Mitglieder diszipliniert, bestraft oder belohnt. Denn durch den Wähler wird in Deutschland meist kein Mensch, sondern eine Partei gewählt, die wiederum bestimmt, wer den Posten erhält. In den Parteien muss man üblicherweise die sogenannte Ochsentour absolvieren: Plakate kleben, Sitzungen besuchen, Ausschüsse belegen, um auf der Liste nach oben zu klettern. Belegt man dann beispielsweise Platz 7 und die Partei erringt bei der Landtagswahl 8 Mandate, hat man die erste Etappe geschafft!

Dieser Mechanismus erklärt, warum ein ganz bestimmter Typus nach oben kommt. Der interne Wahl- und Machtkampf ist deutlich wichtiger als der Kampf beim Bürger um Überzeugungen oder  konkrete Vorhaben. Die Logik der Liste erklärt auch zwei weitere Dinge. Zum einen, warum viele Politiker wie beispielsweise Martin Schulz eine Jahrzehnte lange politische Karriere hinlegen können, ohne auch nur ein einziges Mal von Bürgern gewählt worden zu sein. Zum anderen, warum das politische Establishment volksnahe Politiker wie Trump oder Orban fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.

Eine weitere, für uns alle recht betrübliche Folge ist, dass der Jahre lange Kampf um die besten Listenplätze mit innerparteilichem Hauen und Stechen begabte Quereinsteiger abschreckt. Selbst die wenigen Versuche von CDU und SPD mit frischer, personeller Kompetenz von außen zu punkten, scheiterten. Vom VWL-Professor bis zum Software-Unternehmer wurden sie innerparteilich derart unter Feuer genommen, dass sie entnervt aufgaben.

Zurück in die USA. Auch hier gibt es Vertreter des Establishments, die nichts anderes kennen als Politik. Die aktuellen Führer der Demokraten wie Nancy Pelosi oder Joe Biden mit jeweils mehr als 40 Jahren in der Politik sind passende Beispiele. Aber auch sie wurden immerhin direkt gewählt und sobald man die Bundesebene verlässt, findet man zahlreiche Quereinsteiger, vom ehemaligen Catcher bis zum Schauspieler, vor allem aber sehr viele erfolgreiche Unternehmer, Michael Bloomberg oder Donald Trump als zwei prominente Beispiele.

Das resultiert in positiven Ergebnissen. Gerade auf regionaler und bundesstaatlicher Ebene finden Entfremdung und Machtlosigkeit auf Seiten der Wähler kaum statt. Politik spiegelt sich immer im Gesicht eines Menschen, gerade auf heute wichtigen Feldern wie Sicherheit und Justiz. Die Parteien spielen auf dieser Ebene keine wesentliche Rolle, es gibt weniger Apparatschiks und weniger Negativauslese als in Deutschland. Man muss sich den Menschen mitteilen können, sonst wird man nicht gewählt.

Was mir angesichts der Personenwahlen und vielen Quereinsteigern am Wichtigsten erscheint, ist der Austausch mit frischen Ideen aus der Privatwirtschaft oder Wissenschaft. Wer in unsere Parlamente blickt, erkennt maximal ein halbes Dutzend Studiengänge, das ein Gros der Vertreter belegt hat und kaum einer von ihnen hat je in der Privatwirtschaft gearbeitet. Dagegen führt der stetige Einfluss von außen in den USA zu positiven Ergebnissen, beispielsweise in der Umweltpolitik. Nahezu alle innovativen Konzepte der letzten Jahrzehnte hatten ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten – vom Flottenverbrauch bis zum Emissionshandel.

Hilft uns diese Analyse weiter?

Selbst als Berufsoptimist glaube ich nicht, dass ausgerechnet diejenigen für einen grundlegenden Wandel stimmen würden, die aktuell am meisten profitieren – die Frösche wollen ihren Sumpf nicht selbst trocken legen und die Klatschhasen, die Merkel elf geschlagene Minuten applaudierten, wollen auch morgen wieder als Listenkandidaten Erfolg haben. Insofern bin ich wenig optimistisch, aber vielleicht habe ich etwas übersehen und bin für Hinweise auf Verbesserungspotenzial dankbar.

Bis dahin arbeitet unsere Familie weiter an ihren Auswanderungsplänen. Durchaus in die räumliche Nähe von Jimmy, der inzwischen seinen wohlverdienten Ruhestand genießen dürfte.

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Dieser Artikel wurde 5 mal kommentiert

  1. Rainer Möller Antworten

    Ich sehe durchaus den Vorteil einer direkten Wahl. Generelle Parteienschelte halte ich trotzdem für falsch. Denn: eine Regierungspartei – eine Gruppe um die Regierung – gibt es immer und überall. Den Begriff „Partei“ als Teil eines Mehrparteiensystems gibt es nur dort, wo Opposition erlaubt ist – nur als Partei kann Opposition überleben.

  2. Alexander Droste Antworten

    Heutzutage ist derjenige Sieger, der der beste Opportunist ist. Keine Haltung zeigen außer der, die gerade Mode ist und immer schön in die Kamera lächeln. Jedoch muss man hintenherum niederträchtiger sein als alle anderen. Nur dann schafft man es bis ganz nach oben. Sachkompetenz ist da nicht so wichtig. Es gibt ja die Experten und für deren Honorare braucht man ja nur ein wenig an der Steuerschraube drehen.
    Die Meinung, was jetzt die richtige Politik sei, verbreitet die gebrieft Presse und die zwangsfinanzierten Staatsmedien. Das Publikum ist begeistert, weil es hat ja keine Ahnung und auch kein Interesse irgendetwas zu hinterfragen. Und wenn, dann sind die ja Spinner, rechts und/oder Verschwörungstheoretiker. Solche Meinung kann sich auch drehen, dann sind die anderen halt Spinner, links und Gutmenschen.
    Das nennt man dann „Demokratie“.

    So viel zu den Klischees. Und leider kann ich mich des Eindrucks deren Wahrheitsgehalt nicht erwehren.

  3. S v B Antworten

    Demnach würde unserem Parteieneintopf wohl eine kräftige Prise meritokratischen Pfeffers gut tun. Allerdings wird man vielleicht feststellen müssen, dass besagtes Gewürz nur noch verdammt schwer aufzutreiben ist.

  4. Christoph Friedrich Antworten

    Zur aktuellen Diskussion über die Sitzplatzbegrenzung ( schreibe ich bewußt so 😉 ) im Bundestag:

    Es heißt immer, daß alle direkt gewählten Kandidaten ein Mandat bekommen müßten. Aber wirklich gewählt ist ein Kandidat doch eigentlich erst, wenn er mehr als 50% Stimmenanteil bekommt. Man könnte die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate sehr wahrscheinlich deutlich herabsetzen, wenn nur Direktkandidaten mit über 50% der Stimmen sicher ein Mandat bekämen. Gäbe es danach für die eine oder andere Partei noch freie Plätze für Direktkandidaten mit den meisten Stimmen in ihrem Wahlkreis, könnte man diese Plätze doch den Kandidaten mit den höchsten Stimmanteilen zuteilen. Man müßte dafür wohl nicht einmal die Wahlkreise ändern.

  5. Stefferl Antworten

    Übrigens sitzen in Illinois vier der letzten sieben Secretary of State im Gefängnis. Auch das könnte doch ein Modell sein, das man sich in den USA abschaut. Eine Haftung der Politiker für das, was sie machen/anrichten. Damit das nicht passiert, wurde hier die Immunität sogar für Landtagsabgeordnete eingeführt.

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