Vor zwei Jahren wehten noch schwarz-rot-goldene Fahnen in Kundus, heute haben die Taliban ihre schwarzen Unheilsfetzen gehisst. Kundus ist gefallen, ein Menetekel für die Zukunft Afghanistans. Frau Käßmann hatte nicht recht, als sie vor Jahren sagte „Nichts ist gut in Afghanistan“. Tatsächlich gab es viele Jahre eine bescheidene positiven Entwicklung, oftmals nicht im Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit, die mehrheitlich gegen den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch war. In dem Stadion in Kubal, in dem einst gehenkt und gesteinigt wurde, fanden wieder Fußballspiele statt, bei denen Sängerinnen in der Halbzeit das Publikum unterhielten. Für uns eine Lapalie, für das geschundene Land ein Riesenschritt. Ebenso wie die Fortschritte bei der medizinischen Versorgung und Infrastruktur, der Neubau von Schulen, in denen Mädchen selbstverständlich mit unterrichtet wurden. 13.000 Frauen in Afghanistan absolvieren derzeit eine Berufsausbildung. Ja, die Machthaber waren und sind korrupt, und ja, es gab immer wieder Anschläge. Afghanistan wird nie in freiheitlicher Rechtsstaat nach westlichem Vorbild sein. Und dennoch sagten gerade Soldaten, die dort waren – oft mehrfach, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat. Das ist nun alles gefährdet. Der Westen hat sich militärisch weitgehend zurückgezogen, jetzt sind die Afghanen selbst dran, ihr Land und die paar neu gewonnenen Freiheiten zu verteidigen. Heute haben die Taliban Kundus eingenommen – eine 300.000-Einwohner-Stadt. Die afghanischen Sicherheitskräfte bereiten sich darauf vor, die Stadt zurückzuerobern. Gelingt das, wäre es ein Zeichen an die ganze Welt, dass nicht alles umsonst war. Gelingt es nicht, gibt es für Afghanistan keine Hoffnung.

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Dieser Artikel wurde 14 mal kommentiert

  1. S v B Antworten

    Dass sich, nach Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan, alles wieder auf Los begeben würde, musste jedem, der bis drei zählen kann, von Anfang an klar sein. Ich habe mich deshalb über die oft geäußerte Hoffnung auf eine friedlichere und vor allem „modernere“ Zukunft dieses seit Jahrzehnten geschundenen Landes im Anschluss an den Truppenabzug immer gewundert.

    Als studierte Ethnologin, allerdings ohne Abschluss (immerhin bin ich so ehrlich und gebe dies, im Gegensatz zu manchen Polit-Größen, wenigstens zu) frage ich mich allerdings immer öfter, ob es denn Sinn macht, ob es überhaupt vertretbar und zu rechtfertigen ist, wenn die westliche Welt wo immer sie Bedarf vermutet, mit allen möglichen Mitteln anderen Ländern und Kulturen ihre Vorstellungen bezüglich Herrschafts-, Gesellschafts- und möglichst auch Wirtschaftsform angedeihen zu lassen, ja aufzuzwingen. Ich mag dieses Vorgehen, das erfahrungsgemäß eher zu Unheil und Chaos als zu – wiederum im westlichen Sinne – geordneten und nachhaltig funktionierenden Staatswesen führt, längst nicht mehr gutheißen.

    Im Falle Afghanistans wurde uns zudem vermittelt, dass gar die Sicherheit Deutschlands (oder ganz Europas?) am Hindukusch verteidigt werden müsse. Auch diese Alternativlosigkeit suggerierende Äußerung von Herrn Struck hat sich im Nachhinein als wenig zutreffend erwiesen.

    Warum kann man Ethnien nicht respektvoll auf Augenhöhe begegnen und sie auf die ihnen jeweils sehr eigene Weise leben lassen; sein lassen, im wahrsten Sinne des Wortes? So lange es uns notorisch ungeduldigen Westlern vielleicht auch scheinen mag: wenn die Zeit für Veränderungen in diesen Ländern irgendwann einmal reif sein sollte, werden die Menschen sich selbst für die von ihnen gewünschten Korrekturen stark machen und diese letztlich dann auch herbeiführen. Oder eben nicht. Die Hybris der so genannten Ersten Welt gegenüber anderen Völkern und deren ureigenem Recht, ihr Dasein in all seinen Aspekten nach eigenen Traditionen, Erfahrungen und Wünschen zu gestalten, ist inakzeptabel. Von außen induzierte Veränderungen oder Umbrüche stellen fast immer eine Verletzung der Selbstbestimmung einer Bevölkerung dar. Somit sind sie abzulehnen. Die Welt jenseits von Europa und Amerika ist wahrlich kein Kindergarten, indem man sich nach Belieben austoben darf.

  2. Lottgoser Antworten

    wir werden den ethnien auf augenhöhe begegnen, weil sie sich gerade auf den marsch machen, und zwar nach deutschland. anscheinend haben sie die korrekturen nicht machen können, oder es erschien ihnen leichter, auszuwandern. und wieso sollte man eine „hybris“ über die andere stellen? selbstüberschätzung geht in allen bereichen, egal ob wirtschaft, reichtum oder religion.

  3. Andreas Antworten

    Hm,

    ich gebe zu, Menschen die nicht mal in der Lage sind ein Laberstudium zu beenden mit Hybris zu begegnen.

    Und ich fände es sehr reizvoll wenn solche Menschen, denjenigen die Frauen Nasen und Ohren abschneiden, weil sie irgendwen nicht heiraten wollen und die Menschen töten weil sie z. B. Musik hören, von Angesicht zu Angesicht begegnen würden.

    • S v B Antworten

      Worauf gründet sich bitte Ihre Hybris? Woher wollen Sie wissen, ob nicht vielleicht eine oder gar mehrere andere Ausbildungen absolviert worden sind? Nur soviel zu Ihrer überheblichen, ja zynischen, Antwort. Peinlich.

  4. Tina Hansen Antworten

    Hallo Lottgoser,

    wir sprechen hier von Leuten, die Mädchen verbieten, lesen und schreiben zu lernen. Die Frauen verbieten, ihre erlernten Berufe auszuüben – auch wenn sie keinen Menschen haben, der sie finanziell versorgt. Die ihren eigenen Ehefrauen, Müttern, Schwestern und Töchtern einen Arztbesuch verbieten. (Ja, bitte bildlich vorstellen: Ihre Tochter windet sich vor Schmerzen mit einem geplatzten Blinddarm, und Sie müssen oder wollen sie krepieren lassen.) Die Mädchen und Frauen verbieten, das Haus zu verlassen und das Sonnenlicht zu sehen. Die 9jährige an 60jährige zwangsverheiraten – verordneter sexueller Missbrauch manchmal mit Todesfolge für die kindliche „Ehefrau“. Die Frauen Nasen und Ohren abschneiden… aber halt: das hatten wir oben schon.
    „Ethnien auf Augenhöhe“?
    Bitte ersetzen Sie in meinem Text die Worte „Frau“ und „Mädchen“ wahlweise und ganz nach Ihrem Geschmack durch „Juden“, „Muslime“ oder „Farbige“ und lassen Sie uns diskutieren.

    Herzlich.

  5. Tom Antworten

    Lieb(e Frau) S v B, liebe Frau Hansen,
    Ich würden Ihnen ja gerne zustimmen wenn da nicht das kleine Wörtchen „wenn“ wäre.
    Daran, dass ich zwei diametral entgegengesetzten Standpunkten zustimmen will, mag man die Komplexität erkennen.

    Ich würde Ihnen S v B zustimmen, wenn man Menschen, die es vorziehen in der Vormoderne zu leben, mit einer hohen Mauer einschließen, wenn man Sie von den „Segnungen“ der Moderne ausschließen könnte. Erst dann könnte sich zeigen, dass diese Menschen vielleicht doch nicht auf auf Antibiotika, Mobiltelefon, Auto oder TV verzichten wollen, obwohl oder weil all das Produkte der Moderne sind.

    Da dies aber nicht möglich scheint, scheitert z.B. der Versuch Krankheiten auszurotten, solange diese Staaten bei Impfprogrammen nicht mitziehen.

    Ich würde Ihnen Frau Hansen zustimmen, wenn Ihre Empörung so groß ist, dass Sie z.B. in jedes afghanische Dorf eine Gruppe wehrhafter deutscher „Sittenwächter“ senden wollen (eigene Kinder eingeschlossen), die das von Ihnen zu Recht beklagte nach Kräften verhindern, koste es, was es wolle. Wie viele Deutsche wären Sie bereit, für von mir veranschlagte 50 Jahre, zu opfern?

    Das Problem ist doch, dass Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen es nicht einmal schaffen, innerhalb eigener Grenzen eigene Werte durchzusetzen. Mittlerweile gibt es aus Holland bereits einen Bericht, dass die neu angekommenen Männer sich 13-14 jährige Kinderbräute nachkommen lassen, mit denen sie angeblich bereits vor der Flucht verheiratet waren…

    Auch weibliche Zwangsbeschneidung, Ehrenmorde, Zwangsheiraten, etc. sind unter den in Europa lebenden Migranten keine Fremdwörter.

  6. Tina Hansen Antworten

    Lieber Tom,

    wir liegen nicht auseinander, ich bin völlig Ihrer Meinung. Ich hatte mich an dr Formulierung „Ethnien auf Augenhöhe“ gestoßen, aber möglicherweise hatte ich da auch etwas missverstanden in dem Beitrag von Lottgoser (?)
    Ich hatte zufällig an dem gleichen Tag die Möglichkeit, mit einer Gruppe Bundeswehrsoldaten zu sprechen, die in Afghanistan gewesen sind. Einer sagte: „Wir sind dort ursprünglich hingegangen, um den internationalen Terror zu bekämpfen, nicht um das Land vor den Taliban zu retten. Und das können wir auch gar nicht.“

    Einen schönen Feiertag uns allen!

  7. Tina Hansen Antworten

    Habe mir das alles noch mal durchgelesen und korrigiere mich insofern, dass die von mir beanstandete Formulierung „Ethnien auf Augenhöhe“ nicht von Lottgoser, sondern von SvB eingeführt wurde. Ansonsten stehe ich zu meinem Beitrag und auch zu meiner Empörung.
    Mein Vater war Berufsoffizier, zwei Mal in Bosnien. Mein Bruder hat die Bundeswehr nach 12 Jahren verlassen, weil er aus familiären Gründen nicht in den Einsatz wollte. Mir geht das Thema sehr nahe.

  8. Tom Antworten

    Liebe Frau Hansen,

    ich nehme an Sie stört (am Beispiel der Taliban), dass man Menschen „die Mädchen verbieten, lesen und schreiben zu lernen; etc.“ „respektvoll auf Augenhöhe begegnen“ soll.

    Das kann ich sehr gut verstehen. Aber wie würden Sie sich eingedenk des von Ihren Freunden gesagten (das Land vor den Taliban retten .. können wir gar nicht) verhalten, wenn sie einem Vertreter der Taliban irgendwo gegenüber sitzen?
    Ich sehe zwei untaugliche Extreme:
    -dem „Taliban“ in allem und jedem „kultursensibel“ entgegenkommen. Das wird ihn im Glauben an seine Überlegenheit bestärken und sicher nicht zum Nachdenken anregen.
    -dem „Taliban“ (zurecht!) all seine Defizite aufzeigen, wird ihn in die Defensive drängen. Das fördert Nachdenken ebensowenig.
    – daher scheint mir einzig „respektvoll auf Augenhöhe begegnen“ UND selbiges ebenso einzufordern! zielführend.

    Und so habe ich SvB ’s
    „Warum kann man Ethnien nicht respektvoll auf Augenhöhe begegnen und sie auf die ihnen jeweils sehr eigene Weise leben lassen; sein lassen, im wahrsten Sinne des Wortes?“
    aus dem Kontext raus verstanden.

    Es geht darum, den Anderen ZUHAUSE so sein zu lassen, wie ER (sie wohl eher nicht) will; sich also „in der Fremde“ aus all den von Ihnen zurecht beklagten (und auch von mir und wohl auch von SvB als grausam empfundenen) „Familienangelegenheiten“ rauszuhalten UND sich bei allfälligen Begegnungen „auf Augenhöhe“ zu treffen.

    Die Eindrücke der Soldaten vor Ort würden mich interessieren, sind aber kein Thema für dieses Forum.

  9. Tina Hansen Antworten

    Lieber Tom,

    sollten wir beide in die Situation kommen, mit Taliban diskutieren zu müssen / können / dürfen, so würde ich Ihnen den Vortritt lassen 😉
    Mich empören diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu sehr, ich könnte da nicht ruhig und freundlich und sachlich-abwägend bleiben. Ich denke aber in diesem Fall wäre möglicherweise ein männlicher Gesprächspartner sowieso erst mal vorzuziehen… Das könnte die Sache für den Start vielversprechender gestalten.

    Herzliche Grüße!

  10. Tina Hansen Antworten

    Lieber Herr Kelle,

    ich bin hier relativ neu und weiß nicht, ob man Links einstellen darf. Wenn nicht, einfach entfernen. Dies sind Eindrücke aus Afghanistan. Man kann sagen: Schon asbach-uralt. Aber die Männer sind ja glücklicherweise zum größten Teil noch bei uns.

    https://www.youtube.com/watch?v=Gc6a0-sLl9s

  11. Andreas Schneider Antworten

    Eine traurige, aber nicht unvorhersehbare Entwicklung. Schon der Blick in die Vergangenheit zeigte auf, dass dort alle zuvor aktiven ausländischen Mächte gescheitert sind – von den Briten angefangen bis hin zur „Roten Armee“, die doch obendrein den stategischen Vorteil der „Inneren Linie“, also des unmittelbaren Angrenzens an das Land, bevorteilt war. Allein schon deswegen habe ich den Einsatz von vornherein kritisch bewertet.

    Wobei sich weitere, allgemeiner gehaltene Fragen auftun: welches militärische „Auslandsengagement“ (von wem auch immer) seit dem zweiten Weltkrieg hat je das ursprünglich gewünschte Ziel tatsächlich erreicht? Wie konnte man von einer erfolgreichen Mission einer (nicht zuletzt auch rechtlich) auf „Verteidigung“ gepolten Bundeswehr auch nur hoffen – einer Bundeswehr, die nicht einmal über die Logistik verfügt, namhafte Truppenstärken in Fremdländern einsetzen zu können, ohne auf ihre Verbündeten zurück zu greifen?

    Was mich letztlich jedoch wirklich aufbringt, ist die unverhohlene Bigotterie, die den Bürgern im eigenen Lande (oftmals gegen ihre Überzeugung) eine Willkommenskultur und Nachgiebigkeit auch gegenüber wenig wünschenswerten Eigenschaften von „Migranten“ abverlangt, jedoch „westliche Werte“ in deren Heimatregionen durch Einsatz militärischer Gewalt durchzusetzen bemüht ist. Als Angehöriger der Streitkräfte möchte ich erwarten dürfen, dass meine Einsatzspektren nachvollziehbar sind und bleiben. Eben das ist jedoch nicht (mehr) der Fall.

    Wenn die Opfer der toten und gezeichneten Bundeswehrangehörigen (und deren Familien) nicht umsonst gewesen sein sollen, dann muss „Afghanistan“ als Mahnung dienen.

    Mehr halte ich für zweifelhaft. Noch vor ca. einem Monat erst habe ich den aus Afghanistan stammenden Hotelbetreiber bei einem geschäftlichen Treffen angesprochen, ob er denn noch Angehörige in seiner Heimat habe. Die seit über 30 Jahren hier lebenden Eheleute reagierten überraschend abweisend. Nein, man pflege keine Kontakte mehr dorthin. „Und überhaupt, da unten…“ bemerkte der 69jährige mit resigniert wirkendenm Abwinken.

    Und ich soll meinen Söhnen für solche Aktionen die Streitmacht anempfehlen, der ich einst als Zeitsoldat angehörte?

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