GASTSPIEL RAFAEL JOCKENHÖFER: Vom Vatertag und meiner ersten selbstgekochten Orangenmarmalade

„Ab in die Röhre“ –  hieß es für mich am 23. April. Also morgens auf zum Kudamm ins MRT-Center, so wie mir mein Kardiologe geheißen hatte. „Wir wollen da mal einiges ausschließen, bevor ich eine Diagnose stelle“, seine Begründung. Da kommt man als über 60-Jähriger in Grübeln – über Gott und die Welt. Doch ich habe vor allem meine Kinder im Kopf und die seit Monaten grassierende Corona-Epidemie. Wie wäre es, wenn ich jetzt plötzlich abtreten würde? Was habe ich ihnen alles noch nicht gesagt? Und vielleicht sie mir nicht?

Während die Maschine ihren Dienst verrichtet und Bilder meines Kontrastmittel-durchfluteten Herzens im 3-D-Format erstellt, habe ich nur die beiden „Kleinen“ im Kopf. Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse wie zuletzt vor einem Jahr in Nürnberg … drei Tage nur wir. Ferienwohnung wie in Kindertagen … „Wir müssen das jetzt öfter machen“, hieß es unisono. Dabei ist es geblieben. Selbst Weihnachten kriegen wir zuletzt nichts auf die Reihe, das liegt aber hauptsächlich an meiner eigenen Planung. Um es mit dem Sänger zu sagen: „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“. Auch darüber muss ich dringend persönlich mit den Kindern reden – vorzugsweise ohne Maske! Ups! Blick in den Kalender … heute in vier Wochen ist Vatertag ;))

Aber jetzt erstmal Maske auf zum … Einkaufen. „Stop!! Nicht ohne Wagen!!“ Der schwarz gekleidete und maskierte Security-Mann am REWE-Eingang, in anderen Zeiten hätte ich gleich an einen Terrorakt gedacht, streckt mir den ausgestreckten Arm entgegen. Meine Erwiderung „bin mit dem Fahrrad gekommen“ wird ignoriert bzw. nicht verstanden, aber diese Einschätzung ist für einige links-grün Gestrickte schon rassistisch. Brav befolge ich die Anweisung des Uniformierten mit objektiv südländischer Herkunft. Rolle den Einkaufswagen mit verächtlichem Blick und gerauntem „wollte nur ´ne Milch“ an IHM, der mir noch einen „Schönen Einkauf“ wünscht vorbei. Prompt hatte ich „o tempora, o mores“ im Sinn. Cäsar, Cicero oder Axterix – wer auch immer – eine treffende Beschreibung der Situation.

Der Blick auf das überdimensionierte Angebotsschild in der Obst- und Gemüse-Abteilung vertreibt mir umgehend alle schlechten Gedanken. „3 kg Orangen 99 Cent“ – da muss sich jemand vertan haben! Doch der Scanner an der Kontrollkasse bestätigt das mir unglaublich erscheinende Angebot. Jetzt oder nie denke ich! Ein langgehegter „to-do-point“ auf meiner imaginären Liste „was ich immer schon in der Küche ausprobieren wollte“ strahlt mir förmlich entgegen – ORANGENMARMELADE! Flugs wandern zwei Säcke Appelsinen – wie wir im Pott zu sagen pflegten – in den Einkaufwagen, der plötzlich eine Daseinsberechtigung erlangt. Dann, dem Smartphone sei Dank, einige gelesene Rezepte später noch Gelierzucker, ein paar Zitronen und ein Flasche Grand Marnier-Likör dazu und ab zur Kasse. Der Plan steht fest: Sch… auf Homeoffice – heute geht’s nur in die Küche.

Aus „heute“ werden dann ungefähre 48 Stunden. Alleine das schälen, putzen und schneiden der Orangen nimmt einen halben Tag in Anspruch. Während der ungewohnten Tätigkeiten an der Arbeitsplatte musste ich immer wieder an die Kinder denken, die ich jahrelang als alleinerziehender Vater bekochte. Und an die vielen Kritiken, die mir meine (nur gedacht) undankbaren Blagen (Pottsprache) entgegen schleuderten. Mein angedachter Plan: Sobald die Marmelade fertig ist, rufst du sie an und versuchst eine Verabredung hinzubekommen. Aber vier Sorten (mit Zimt, mit Grand Marnier, mit Rum und mit Honig), 36 Gläser und zwei Tage später bleibt es bei den guten Vorsätzen. „Erstmal noch das Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen an der Pumpe abwarten, dann lässt es sich leichter reden“, lautet meine Selbstbeschwichtigung.

Unter diesen kriegsähnlichen Zuständen (pflege ich des Öfteren in Gegenwart von ängstlichen Zeitgenossen zu sagen) vergeht die Zeit ja wie im Fluge. Plötzlich sind es nur noch ein paar Tage bis Vatertag … Zuerst schreibe ich an meine Tochter, sie wohnt ja nur 20 Kilometer entfernt. „Und wo guckst Du am Samstag Bundesliga?“ Antwort: „Gar nicht! Muss arbeiten … ;(( – aber nächsten Donnerstag sehen wir uns auf alle Fälle – oder!?! Scheinheilig schreibe ich zurück: „Warum ausgerechnet Donnerstag??“ – Julia (schon mehr als 20 Jahre alt): „Paaaappiiiii! Schau in den Kalender!“ Wau – sie hat daran gedacht! Das ist gefühlt seit 10 Jahren das erste Mal wieder. Jetzt muss auch den Großen anfunken. Christian wird bald 30 und ist noch unverheiratet. Höchste Zeit, dass ich ihm die Tradition seiner Geburtsstadt Bremen näherbringe: Unverheiratete müssen dort an ihrem 30. Geburtstag die Stufen zum Rathaus kehren und zufällig vorbeikommende Passanten mit Getränken und Häppchen bewirten. Also kurzes Gespräch unter Männern: „Was machst Du nächsten Donnerstag?“ – „Ich schaff nur bis Mittwoch – dann frei bis Montag.“ „Dann komm ein paar Tage nach Berlin!“ „Gut Vatta! Du buchst den Zug. Es gibt seit neustem einen durchgehenden ICE von Heilbronn in die Hauptstadt.“ „Juut mach icke!“

Jetzt hoffe ich noch darauf, dass die beiden bis morgen nicht zusammen chatten – wegen der Überraschung!!

Zwei Dinge haben für mich Premiere: Einen bewussteren Vatertag hatte ich bislang nicht und selbstgemachte Marmelade habe ich meinen Kindern noch nie geschenkt.

Und: Ich freue mich riesig darauf.

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Dieser Artikel wurde 13 mal kommentiert

  1. S v B Antworten

    Nur mal so…
    Also ’ne „echte Marmelade“ ist’s anscheinend dann doch nicht geworden, werter Herr Jockenhöfer. Für diese original „Olde English Marmelade“ benötigt man nämlich ausnahmslos so genannte Seville Oranges (unbehandelt(!!!), versteht sich, da die Schale unbedingt mit verarbeitet werden muss). Die Frucht wird in und mit ihrer Schale in feine (oder auch gröbere, je nach Belieben) Scheiben geschnitten, über Nacht eingeweicht und am nächsten Tag dann weiter verarbeitet. Ist es doch gerade die feine Bitterkeit der Schale, die dem gelungenen Produkt im Glase sein charakteristisch „herb-süßlich-orangiges“ Aroma verleiht. Eben genau das Aroma, das echte Orangen-Marmelade-Fans so sehr schätzen. Hmmm, lecker. NB: im Englischen darf sich übrigens nur der Aufstrich aus Orangen „Marmelade“ nennen; der aus allen übrigen Früchten nennt sich kurz und bündig „Jam“. – Vielleicht ist es mir gestattet, Ihnen ausnahmsweise einen südafrikanischen Import-Klassiker zu empfehlen, der in gut sortierten Aufstrich-Regalen des hiesigen Lebensmittelhandels meist verfügbar ist. Schließlich kann das durch stringenteste Anti-Corona-Maßnahmen wirtschaftlich aufs heftigste gebeutelte Land gerade jetzt unser aller Unterstützung sehr, sehr gut gebrauchen. Halten Sie also Ausschau nach „KOO Bittere Orangen Marmelade mit Schalenstreifen Feinschnitt“ – wow (450 g, in weißgrundiger Dose mit Orangengirlande). Und – lassen Sie sich’s schmecken! – Ich wünsche Ihnen einen schönen Vatertag im Kreise Ihrer Lieben!

  2. gerd Antworten

    „Da kommt man als über 60-Jähriger in Grübeln – über Gott und die Welt.“

    Gott? Da war doch was! Ach ja, heute ist mitnichten Vatertag, sondern
    Christi-Himmelfahrt. Was nichts gegen eine gute Marmelade spricht. 😉

  3. Alexander Droste Antworten

    Christi Himmelfahrt ist Vatertag, weil Jesus gen Himmel zum Vater fährt. Ob der da auch schöne Orangenmarmelade hat?

    • gerd Antworten

      Christi Himmelfahrt ist Christi Himmelfahrt weil Christus in den Himmel gefahren ist. Von Bolderwagen und Spirituosen steht in der Apostelgeschichte nichts.

      • Alexander Droste Antworten

        „Von Bolderwagen und Spirituosen steht in der Apostelgeschichte nichts.“
        Spiritus sanctus, amen.

        Wir sollten die Apostelgeschichte ergänzen. 😀

  4. HB Antworten

    Darf ich den vorchristlichen, abendländischen Brauch ergänzen?
    Es handelt sich um Flurumgänge, alte Hirtenbräuche und den Thorhammerwurf. Damit wurde die heilige Grenze für ein Jahr Weide- und Besitzrecht erworben. In damaliger Zeit war der Donnerstag der höchste Tag der Woche, abgeleitet von Donar, gleich Thor, dem Bauerngott.

  5. Hans-Joachim Leyh Antworten

    Also ab ins MRT! Bestätigung – Spinalkanalstenose! Ja was kann man da machen?
    Ich bin jetzt 68 Jahre, bin 1,64 Meter klein und 115 kg leicht. Mein BMI ist 42,8.
    Jetzt meint mein Arzt ich soll mal jede Woche ein kg abnehmen. Mit 68 und Schmerzen und Taubheitsgefühl im linken Bein?

    Ich hab mal vor Jahren versucht in der Uniklink Ulm eine Magen OP zu machen.
    Als ich der Frau Prof. sagte das Fett im Essen Geschmacksträger ist war ich raus.

    Ja so ist das!

    Und jetzt ist Marmelade für mich erst mal uninterresant.

    Tag des Herrn auch!

    Ich habe so meine Schwierigkeiten mit der Geschichte über Hiob.
    Wie kann sich Gott auf einen Handel mit Satan einlassen? Und warum sind Unschuldige Leidtragend?

  6. gerd Antworten

    Jeder kann mit Schmerzen und Taubheitsgefühl abnehmen. Eine Sache des Willens und der Einsicht. Ob sich das mit 68 Jahren noch lohnt? Finden Sie es heraus!

    • Hans-Joachim Leyh Antworten

      Hallo Gerd,
      nehmen wir mal an(wer annimmt wird bestraft) ich nehme ab 50 kg.
      Ob die Wirbel dann wieder in die richtige Lage gehen steht aber weiter ind en Sternen.
      Aber was dabei für mich als Rentner mit einer kleinen Rente (ich bin Geschieden) wichtig ist: Ich brauche alles neue Sachen! Lohnt sich das dann mit 69?

      • Tina Hansen Antworten

        Lieber Herr Leyh,

        nur ganz kurz: Wenn Sie schnell Pfunde verlieren möchten und auf Fett weitgehend nicht verzichten wollen, probieren Sie es doch mal mit Low Carb. Da sind Butter, Sahne und gute Öle erlaubt, Fleisch, Fisch, Salate und einige Gemüsesorten, außerdem Eier und Käse. Verzichten müssen Sie konsequent auf Brot, Nudeln und alle anderen Teigwaren, Kartoffeln, Reis, Alkohol und zeitweise (in den ersten zwei Wochen) auch auf Obst. Ist alles kein Traum, weil einem natürlich etwas fehlt, aber es schafft sagenhaft schnell Pfunde. Wenn man dann den Erfolg auf der Waage sieht, wächst die Motivation.

        Viel Erfolg!

        • Hans-Joachim Leyh Antworten

          Hallo Frau Hansen(oder darf ich Tina sagen),
          ich bin ein Lebenslustiger Mensch und auf meiner linken Schulter(ich bin Linkshänder) sitzt der Schalk.
          Jetzt also, das eine Frau über Diäten schreibt war eigentlich zu erwarten.
          Männer nicht! Warum eigentlich nicht? BITTE LACHEN!
          Also mach ich mir einen schönen Schweinsbraten mit Bohnengemüse.
          Die Schweinsbratensauce muss ich aber binden und das macht man mit Mehl.
          Ob jetzt aber das schnelle abnehmen zur Entspannung der Wirbel führt wage ich zu bezweifeln.
          Der Engel auf der rechten schulter sagt – nicht böse sein! Der Engel schreibt immer alles klein
          Gruß Hans

          • Tina Hansen

            Hallo Hans,
            Sie dürfen Tina sagen 😀

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